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Intersexualität & Non-Binary: Verfahren zu Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Druckversion

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RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Lydia Faustus - 17.01.2018

(17.01.2018, 21:05)mrs.moustache schrieb: Wäre es abgeschafft worden, wäre damit doch auch die existenz eines dritten geschlechts verneint oder zumindest in frage gestellt worden...

In der NS diktatur wäre eine so klare aussage demnach der parteilinie entgegengesetzt gewesen, zumindest meiner auffassung nach. Das kann ich mir bei so einem autor nur eher nicht vorstellen.

Warum nicht? Wissenschaftliche Erkenntnis und rechtliche Anerkennung sind doch zwei Paar verschieden Schuhe.
Trotzdem ein guter Ansatz von dir.

Ob es einen dritten Geschlechtseintrag tatsächlich vor der Nazizeit gab, hab ich noch nicht recherchiert. Wäre aber interessant zu wissen. Jemand anderes Lust auf Recherche?


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Falling Snow - 18.01.2018

aus dem jahre 1794...! ("zwitter"-paragraph aus dem allgemeinen preußischem landrecht.)

[Rechte] der Zwitter.

§. 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen.

§. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle.

§. 21. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt.

§. 22. Sind aber Rechte eines Dritten von dem Geschlecht eines vermeintlichen Zwitters abhängig, so kann ersterer auf Untersuchung durch Sachverständige antragen.

§. 23. Der Befund der Sachverständigen entscheidet, auch gegen die Wahl des Zwitters, und seiner Aeltern.

---

schauderlich, wie "fortgeschritten" die aktuelle gesetzgebung dagegen ist. von 1900 (ersetzung vom preuß. recht durch bürgerlich. gesetzbuch bis zum nationalsozialistischem schland hab ich leider nix gefunden.)

viel spannender find ich den punkt, das sogenannte grundsatzdiskussionen darüber geführt werden, ob es das dritte geschlecht überhaupt gibt.
(diskussionen hin oder her, der gesetzgeber hat das urteil vom bvg akzeptiert.)

erstmal frag ich mich, ob an diesen diskussionen auch jene menschen teilnehmen, die als neugeborgene zwangsoperiert worden sind und noch immer werden. was ja nicht nötig wäre, wenn es etwas "drittes" gar nicht gibt.
ich würd es ebenso toll finden, wenn diskussionen darüber geführt werden, ob es überhaupt DAS männliche/weibliche geschlecht gibt. und wenn ja... wie wird es definiert?
ich freu mich schon drauf, wenn es heißt... männer haben einen penis. gleichbedeutend mit: männer, die ihn durch einen unfall/op was auch immer nicht mehr haben, sind dann dementsprechend frauen... oder frauen gebären kinder. die, die es nicht können, sind dann dementsprechend männer Smile wer traut sich, eine definition von mann/frau zu erheben? der gesetzgeber und die biologie jedenfalls nicht ^^

oder wenn der weisheit letzter schluß die gene sind.
von denen wir 25.000  haben, die sich auf 46 chromosome verteilen. und EINES von ebenjenen (x oder y) soll nun die menschliche identität bestimmen. wichtig für fortpflanzung. und dann sag noch jemand, das die kategorisierung in mann/frau nicht sexistischer scheiß ist.
ganz davon abgesehen, das biologische eigenschaften medizinisch veränderbar sind...
von identität mal ganz abgesehen.

usw. und so fort.
mir scheint, wir haben noch eine historische lücke von 1900 bis zum nationalsozialistischem reich.
freiwillige vor


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Bonita - 18.01.2018

Danke Mous, Lydia und Snow!

(18.01.2018, 02:40)Falling Snow schrieb: aus dem jahre 1794...! ("zwitter"-paragraph aus dem allgemeinen preußischem landrecht.)

[Rechte] der Zwitter.
§. 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen.
§. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle.
§. 21. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt.
§. 22. Sind aber Rechte eines Dritten von dem Geschlecht eines vermeintlichen Zwitters abhängig, so kann ersterer auf Untersuchung durch Sachverständige antragen.
§. 23. Der Befund der Sachverständigen entscheidet, auch gegen die Wahl des Zwitters, und seiner Aeltern.
---
schauderlich, wie "fortgeschritten" die aktuelle gesetzgebung dagegen ist. von 1900 (ersetzung vom preuß. recht durch bürgerlich. gesetzbuch bis zum nationalsozialistischem schland hab ich leider nix gefunden.)
...
mir scheint, wir haben noch eine historische lücke von 1900 bis zum nationalsozialistischem reich.
freiwillige vor

Ah! Deutschland besteht ja auch aus Bundesländern, und jedes dieser Länder darf auch eigene Gesetze erlassen; Somit könnten diese Ur-Alt-Gesetze rein theoretisch noch Gültigkeit haben, ähnlich wie in Österreich auch noch Gesetze aus der Monarchie (tw) gültig sind; Es gibt zwar kein Bundesland "Preußen", aber dieses Land hatte ja wohl auch ein oder mehrere "Nachfolge"-Länder?!  Und, auch sind noch Gesetze aus der NaSo-Zeit (tw) gültig - somit wäre es wirklich interessant, wie das tatsächlich war und ist; Wie so oft wirft eine Frage viele weitere auf...


(18.01.2018, 02:40)Falling Snow schrieb: ... (diskussionen hin oder her, der gesetzgeber hat das urteil vom bvg akzeptiert.)
Ist ja keine Ermessensfrage, das muss so sein...


(18.01.2018, 02:40)Falling Snow schrieb: ... erstmal frag ich mich, ob an diesen diskussionen auch jene menschen teilnehmen, die als neugeborgene zwangsoperiert worden sind und noch immer werden. was ja nicht nötig wäre, wenn es etwas "drittes" gar nicht gibt.
... wer traut sich, eine definition von mann/frau zu erheben? der gesetzgeber und die biologie jedenfalls nicht ^^
Zumindest über div Gerichtsverfahren bzw durch Vereinsarbeit, ua auch über die Medien, nehmen Betroffene an der Diskussion indirekt teil; Fakt ist jedenfalls, dass es auch biologisch zumindest "etwas Drittes" und/oder "anderes" gibt; Und der Gesetzgeber traut sich gehörig, Frau und Mann zu definieren - zumindest gibt es einige Gesetze, woraus sich Rechte und Pflichten für zB Eltern ableiten; Heirat nur zwischen Frau und Mann ist ja - zumindest in D bereits, in Ö bald - eh kein Thema mehr...


(18.01.2018, 02:40)Falling Snow schrieb: ... oder wenn der weisheit letzter schluß die gene sind.
von denen wir 25.000  haben, die sich auf 46 chromosome verteilen. und EINES von ebenjenen (x oder y) soll nun die menschliche identität bestimmen. wichtig für fortpflanzung. und dann sag noch jemand, das die kategorisierung in mann/frau nicht sexistischer scheiß ist.
ganz davon abgesehen, das biologische eigenschaften medizinisch veränderbar sind...
von identität mal ganz abgesehen.

usw. und so fort.
Naja, Du vermischt da mal wieder biologisches und soziales Geschlecht - beides gibt es, beides muss irgendwie unter einen Hut gebracht werden, zumindest "gesetzlich", sonst lernts der überwiegende Teil der Gesellschaft - also "nur" Frauen und Männer, bei denen beides übereinstimmt - doch nie...


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Falling Snow - 18.01.2018

nachtrag:
mit der einführung des bürgerl. gesetzbuches ab 1900 gibt es für geschlechtlich "unbestimmte" personen keine rechtliche erwähnung mehr.
wodrauf sich der anrufer im podcast beruft... keine ahnung.

ändert sich aber dieses jahr. Tongue


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Bonita - 18.01.2018

Der in der Radiosendung erwähnte Anrufer meinte es gab vor den National-Sozialisten ein Zwitter-Gesetz, welches von denen abgeschafft worden wäre - wohl nur ein Teil Wahrheit...

Das BGB hatte auch ein "Einführungsgesetz",
https://dejure.org/gesetze/EGBGB/1.html schrieb:Einführungsgesetz BGB
1. Teil - Allgemeine Vorschriften (Art. 1 - 49)
1. Kapitel - Inkrafttreten. Vorbehalt für Landesrecht. Gesetzesbegriff (Art. 1 - 2)
Art. 1
(1) Das Bürgerliche Gesetzbuch tritt am 1. Januar 1900 gleichzeitig mit einem Gesetz, betreffend Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Zivilprozeßordnung und der Konkursordnung, einem Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung, einer Grundbuchordnung und einem Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kraft.
(2) Soweit in dem Bürgerlichen Gesetzbuch oder in diesem Gesetz die Regelung den Landesgesetzen vorbehalten oder bestimmt ist, daß landesgesetzliche Vorschriften unberührt bleiben oder erlassen werden können, bleiben die bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften in Kraft und können neue landesgesetzliche Vorschriften erlassen werden.
wonach sehr wohl noch ältere (hier halt preußische) Landesgesetze gültig (aber ev nicht mehr angewendet?) werden; Es gab also das allgemein preußische Landesrecht (ab 1794) mit dem Zwitter-§ sowie das BGB (ab 1896) des Königreich Preußens, welches bis 1918 existierte, danach bis 1932 den Freistaat Preußen, wo diese Gesetze wohl noch gültig waren; Nach den Na-So ab 1932 killten diesen Freistaat die Allierten 1947, wobei das BGB und tw wohl auch noch Landesgesetze (sofern inzwischen nicht aufgehoben) Gültigkeit besitzen; Interessanter Weise gabs Überlegungen, ein "Bundesland Preußen" – Wieso? Weshalb? Warum? wieder auferstehen zu lassen;


NACHTRAG: Soeben entdeckt...
https://de.wikipedia.org/wiki/Zwitterparagraf
Zitat:... Mit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum 1. Januar 1900 sind die Regelungen des Preußischen Allgemeinen Landrechts gegenstandslos geworden. Bereits ab Einführung der staatlichen Standesregister zum 1. Januar 1876 durch das Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875 musste in das Geburtsregister das Geschlecht des Kindes eingetragen werden. Die Bekanntmachung, betreffend Vorschriften zur Ausführung des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 25. März 1899 führte dafür ein entsprechendes Formular ein.
Zum 1. November 2013 wurde diese Regelung revidiert.[8] § 22 Abs. 3 PStG bestimmt seitdem, dass der Personenstandsfall ohne Angabe eines Geschlechts in das Geburtenregister einzutragen ist, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann.[9] Die betreffenden Kinder brauchen also nicht mehr – wie ab den 1960er Jahren üblich – noch im Säuglingsalter einer Operation zur Herstellung einer klaren Geschlechtszuordnung unterzogen zu werden. Dies hatte bei den Betroffenen im weiteren Verlauf ihres Lebens nicht selten zu schweren körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen geführt.[10]
Mit der zunehmenden rechtlichen Gleichstellung von Frauen und Männern (Gleichberechtigung) entfällt auch das praktische Bedürfnis nach einer Abgrenzung der biologischen Geschlechter. Die Gender-Debatte stellt zudem die überkommenen Geschlechterrollen in Frage.
...
Die neuen Änderungen aufgrund des BVerfG 10.10.2017 – 1 BvR 2019/16 würden dann aber auch für den ganzen Bund (und nicht nur einzelne Bundesländer) gelten, was ja auch sinnvoller ist.



Ps: Dass wir in Ö auch ziemlich arg hinter der Fassade dran sind mit alten Gesetzen, zB auch aus der NaSo-Zeit, wird einem durch diesen Artikel schlagartig klar: http://www.augustin.or.at/zeitung/tun-und-lassen/nationalsozialistisches-gedankengut-in-gesetzen.html - ähnlich/anders in D: http://www.taz.de/!5068958/ - alles kaum zu glauben, aber Realität... Facepalm


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - mrs.moustache - 18.01.2018

(17.01.2018, 23:14)Katzenmutti Lydia schrieb:
(17.01.2018, 21:05)mrs.moustache schrieb: Wäre es abgeschafft worden, wäre damit doch auch die existenz eines dritten geschlechts verneint oder zumindest in frage gestellt worden...

In der NS diktatur wäre eine so klare aussage demnach der parteilinie entgegengesetzt gewesen, zumindest meiner auffassung nach. Das kann ich mir bei so einem autor nur eher nicht vorstellen.

Warum nicht? Wissenschaftliche Erkenntnis und rechtliche Anerkennung sind doch zwei Paar verschieden Schuhe.

Wissenschaftliche erkenntnisse gehen mit rechtlicher anerkennung schon irgendwie hand in hand. U.a durch den daraus folgenden gesellschaftlichen diskurs.

Die verfolgung, bestrafung und "therapie" (inklusive elektroschocks) homosexueller männer hat stark nachgelassen, seit es medizinische gewissheit ist, dass es keine krankheit ist homosexuell zu sein. So traurig es klingt.

Die ideologen des NS regimes hatten noch mehr den anspruch, sich durch naturwissenschaften und pseudowissenschaften zu legitimieren. 
Zitat:Trotzdem ein guter Ansatz von dir.

Trotzdem?
Bissl gehässig, ohne eigene argumente, findest du nicht.


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Falling Snow - 19.01.2018

hmm, ganz nebenbei... ist mein pc/monitor dran schuld, das die zitate und das geschreibe mir förmlich ins gesicht springen in ihren aufdringlichen dimensionen?
abgesehen von den letzten drei zeilen?


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Bonita - 19.01.2018

Formatierung korrigiert


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - mrs.moustache - 20.01.2018

Das liegt übrigens daran, dass das forum ein wenig spinnt, wenn ich übers handy schreibe.


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Mike-Tanja - 27.02.2018

Die Sache (es dürfte sich um die Beschwerde gegen folgendes Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich handeln: LVwG-750369/5/MZ/MR vom 5.10.2016) steht auf dem Arbeitsprogramm des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) für die gerade begonnene Frühjahrssession: Presseaussendung

Der VfGH hat dabei zweieinhalb verfahrensrechtliche Optionen: er kann 1.a. die Gerichtsentscheidung bestätigen oder 1.b. wegen massiver Rechts- oder Verfahrensmängel ("Willkür") als gleichheitswidrig aufheben, ohne die materielle Rechtslage (Personenstandsgesetz 2013 - PStG 2013) anzutasten. Im ersteren Fall müsste er auch, vom Beschwerdeführer sicher vorgebrachte, Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des PStG 2013 widerlegen. Oder er fasst 2. einen Prüfungsbeschluss für die anzuwendenden Bestimmungen des PStG 2013, die eine Einteilung in die Geschlechter Mann oder Frau vorsehen, der dann in einem eigenen Gesetzesprüfungsverfahren ("G-Verfahren") behandelt würde. Damit würde er zwar die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken bestätigen, die Entscheidung aber faktisch für einige Zeit aufschieben ("Schnellschüsse", wie im Fall der Ehe für alle, sind hier wohl nicht zu erwarten).

An der Märzsession nimmt erstmals der neu ernannte Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter (früherer Justizminister, gilt daher als ÖVP-nahe) als stimmberechtigtes Mitglied teil. Zwei nachzubesetzende Richter (Präsidentin und Vizepräsident wurden aus dem Kreis der bereits ernannten Verfassungsrichter/innen besetzt) werden noch durch Ersatzmitglieder vertreten. Diese Stellen sollen dem Vernehmen nach aber bald Vertrauensleuten der FPÖ zufallen - also sicher keinen TG-Freunden.