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Geschlechterzuordnung und Erkennbarkeit - Druckversion

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Geschlechterzuordnung und Erkennbarkeit - _joan_ - 06.11.2011

Also ich muss mich hier großteils Angelika anschließen. Es ist wohl jeder selbst zu überlassen wie sie sich optisch präsentieren mag, und in unserem konkreten Fall, wie sie mit Korsetts umgeht. Ich finds ja auch spannend. Aber dennoch sollte nicht vergessen werden, dass es sowas wie konstante Schöhnheits- oder Erkennungsmerkmale von "Weiblichkeit" einfach nicht gibt. Zu allen Zeiten gab es da immer unterschiedlichste Vorstellungen, von denen halt manche hegemonial, also tonangebend waren. Wieso sehen wir der Werbung und im Fernsehen auch immer zumeist abgemagerte Models, und selbst wenn mal explizit versucht wird andere Bilder zu zeigen (Bsp. Dove-Werbung) dann ist das ja noch immer absurd übertrieben und die Bilder bzw. die Darstellung der Frauen extrem geschönt und konstruiert. Daraus, und daraus dass wir uns diesen Bilder kaum entziehen können, entstehen dann auch viele unserer Bedürfnisse was das eigene Körperbild betrifft. Inzwischen wirken derartige Normen durchaus zunemend auch auf Männer.

Und was auch nicht vergessen werden sollte, dass diese Bilder auch zu allen Zeiten immer an der Realität des Großteils der Bevölkerung vorbeigegangen ist. Wie Angelika auch bereits angedeutet hat, sind proletarische Frauen, bzw. das Proletariat im Allgemeinen nie als Maßstab genommen wordern, sondern immer die viel kleinere Schicht der ökonimisch einigermaßen gut aufgestellten Bürgerlichen. So ignorierte beispielsweise die Medizin im 19. Jahrhundert bei ihren Beschreibungen und Forschungen an Frauen und Geschlecht den großteil der Bevölkerung. Kein Wunder wenn dann gewisse Vorstellungen entstehen, die zwar als Allgemein gesetzt werden (da ja wissenschaftlich-empirisch ermittelt) aber dann für die meisten Menschen nicht passen. Diesbezüglich kann ich das Buch "Geschlecht: Wider die Natürlichkeit." von Heinz-Jürgen Voß sehr empfehlen (2010, Schmetterling Verlag; um 10 EUR auf amazon zu haben, oder direkt beim Verlag aus der Reihe theorie.org zu beziehen).

Also es geht mir auch nicht darum, die so konstruierten Bedürfnisse zu leugnen. Ich hab sie ja auch, und ich finds auch ok denen nachzugehen. Aber ich finde auch wir sollten uns dabei einen kritischen Blick bewahren, gerade aus der Perspektive welche großen Anforderungen an uns gestellt werden, die an andere nicht gestellt werden. Das Ziel muss es letztlich ja sein, dass alle sein können wie sie wollen, ohne dafür komisch angeguckt oder gar schlimmer diskriminiert zu werden.


RE: Korsett - Carina_in_Graz - 07.11.2011

(06.11.2011, 13:04)_joan_ schrieb: Aber dennoch sollte nicht vergessen werden, dass es sowas wie konstante Schöhnheits- oder Erkennungsmerkmale von "Weiblichkeit" einfach nicht gibt.

Die geschlechtsspezifischen Merkmale sind zwar bei den Menschen nicht so ausgeprägt wie bei Fasanen oder Erdkröten, aber glaubt Ihr wirklich, daß es so etwas wie einen - nicht ausschließlich kulturell bedingten und damit patriarchalisch geprägten - seit 100000 Jahren stabilen Sexualdimorphismus bei den Menschen nicht gibt? Daß gewisse Merkmale von der Mode mal akzentuiert und mal eher verborgen werden (da können wir sogar beim Korsett bleiben, das mal die Brust eher flachdrücken und mal (hervor-)heben sollte), ändert doch nichts daran, daß Frauen und Männer von Frauen und Männern als Frauen und Männer - und zwar offenbar eben genau anhand dieser geschlechtsspezifischen Merkmale - in der Regel richtig erkannt werden, und zwar auch ohne oder trotz gleicher Kleidung. Diese mitunter im Einzelnen recht subtilen statistischen Unterschiede in ihrer Gesamtheit trotz solch großer Schwankungen, daß es bei einzelnen Merkmalen Überlappungszonen mit dem anderen Geschlecht gibt, ziemlich verlässlich deuten zu können, ist keine menschliche Kulturleistung, sondern eine biologische Grundausstattung praktisch aller lebenden zweigeschlechtlichen Arten der irdischen Fauna und unsere macht hier keine Ausnahme, nur daß sie sich darauf aufbauend noch zusätzliche Signale ausgedacht hat oder mal dieses oder mal jenes in den Vordergrund gerückt oder unterdrückt hat. Aber nur diese zusätzlichen Merkmale (Rock/Hose, Haarlänge...) sind kulturspezifisch (...und damit oft patriarchalisch geprägt), modeabhängig, ergeben sich aus einem Schönheitsideal und sind damit beliebig variabel.

Der Unterschied im Körperbau gehört nicht zu den Modemerkmalen.

Ein netter Startpunkt für weiterführendes, selbständiges Surfen zum Thema der weiblichen Taille und ihrer evolutionspsychologischen Bedeutung wäre beispielsweise
http://periodicals.faqs.org/201106/2375818431.html


RE: Korsett - _joan_ - 07.11.2011

(07.11.2011, 02:55)Carina_in_Graz schrieb:
(06.11.2011, 13:04)_joan_ schrieb: Aber dennoch sollte nicht vergessen werden, dass es sowas wie konstante Schöhnheits- oder Erkennungsmerkmale von "Weiblichkeit" einfach nicht gibt.

Die geschlechtsspezifischen Merkmale sind zwar bei den Menschen nicht so ausgeprägt wie bei Fasanen oder Erdkröten, aber glaubt Ihr wirklich, daß es so etwas wie einen - nicht ausschließlich kulturell bedingten und damit patriarchalisch geprägten - seit 100000 Jahren stabilen Sexualdimorphismus bei den Menschen nicht gibt?

Ich hab ja auch nicht gesagt, dass es keine Unterschiede gibt. Ich hab gesagt, dass es sowas wie konstante Unterschiede nicht gibt. Klar gibts Unterschiede, auch ganz wirkmächtige, vor allem weil wir unsere Gesellschaft so start in weiblich/männlich strukturiert haben. Der Punkt war aber, dass sich die Unterschiede stets verändern, bzw. die Wahrnehmung dieser, und eben daran angschlossen auch die Wahrnehmung dess was als "attraktiv" gilt.

Und es zweifelt auch kaum eine*r an, dass sowas wie Sexualdimorphismus festgestellt werden kann. Kann er ja ganz offensichtlich, sonst würd die Forschung nicht so ausschauen wie sie das grad tut Wink Der Punkt ist auch hier nicht zu leugnen, dass es sowas wie Geschlecht gibt, sondern die Option für ein breiteres Verständnis dieses zu öffnen, das dann queere, Trans- und vor allem Intersex-Personen nicht ignoriert, diskriminiert und gewaltvollen Prozeduren aussetzt.



RE: Geschlechterzuordnung und Erkennbarkeit - Carina_in_Graz - 08.11.2011

(07.11.2011, 11:32)Angelika schrieb: Klar, wenn es nur darumgeht wie wir von Menschen zugeordnet werden, die auf der Straße einfach an uns vorbeigehen, dann spielen zu allererst die Äußerlichkeiten eine Rolle. Und hier gilt primär, dass alles was einen sichtbaren Busen hat erst mal sowieso als Frau eingeordnet wird, während alles was einen Bart oder Bartschatten hat primär in die "Männerschublade" kommt.

Ah, ich glaub ich weiß endlich, warum wir dieses Thema gar so beharrlich diskutieren: Meine größte Angst - um nicht zu sagen Panik - ist es, daß ich einer Gruppe von Menschen auf der Straße hinsichtlich meiner Transidentität auffalle und daß es zu unguten, peinlichen, bis hin zu womöglich gefährlichen Situation kommt. Inwieweit diese Angst berechtigt ist, sei mal dahingestellt (daß jemand unter Höhenangst leidet, heißt ja auch nicht, daß er nicht wirklich herunterfallen kann), der Punkt ist aber der, daß ich sie habe und wohl in höherem Maß als die meisten. Ich arbeite daran nicht ohne Erfolg, aber mein Mut reicht noch immer gerade mal dazu aus, mich nach Aufbietung all meines Könnens hinsichtlich Bartschattenabdeckung, Haarpflege, eindeutig-weiblich-aber-nicht-zu-auffälliger Bekleidungsstil überhaupt aus dem Haus zu trauen. Wer diese Panik nicht kennt, nie kannte oder nicht in der Stärke, kann es nicht nachfühlen (höchstens theoretisch verstehen), wie wichtig mir genau dieses "remote passing" auf der Straße ist. Und da zumindest laut dem einen Link die Taille (und nicht der Busen) das wichtigste optische Erkennungsmerkmal auf weiter Distanz ist (abgesehen von der Kleidung), lege ich darauf ein für unerschrockenere Seelen wohl unverständlich großes Augenmerk.

In intensiveren sozialen Interaktionen als jener, auf der Straße aneinander vorbeizugehen, sind natürlich die anderen Faktoren wichtiger. Vor "Konfrontationen" mit einem einzelnen Gegenüber habe ich aber nicht diese grundsätzlich Angst vor dem, was passieren könnte, wenn meine Transidentität auffallen sollte.

Anmerkung: Hab mal den Betreff korrigiert, Chris


RE: Geschlechterzuordnung und Erkennbarkeit - ChrissieWien - 08.11.2011

(08.11.2011, 02:16)Carina_in_Graz schrieb: Und da zumindest laut dem einen Link die Taille (und nicht der Busen) das wichtigste optische Erkennungsmerkmal auf weiter Distanz ist (abgesehen von der Kleidung), lege ich darauf ein für unerschrockenere Seelen wohl unverständlich großes Augenmerk.

Busen? Taille???
Halte ich beides für Unsinn!

Die wichtigsten Passing-Kriterien sind Körperhaltung, Gang, Erscheinungsform und vor allem: Haare! Wer also nicht über eine gute Eigenhaar-Frisur verfügt, sollte sich nicht scheuen, etwas mehr Geld in eine gute Perücke zu investieren. Denn nichts ist verrätischer als eine schlecht sitzende und auf den ersten Blick als solche ersichtliche Perücke.




RE: Geschlechterzuordnung und Erkennbarkeit - Lara K - 16.12.2011

hier passt evtl auch: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/534225/Mega-Push-Up


RE: Geschlechterzuordnung und Erkennbarkeit - signo - 16.12.2011

(08.11.2011, 03:24)ChrissieWien schrieb: Busen? Taille???
Halte ich beides für Unsinn!

Die wichtigsten Passing-Kriterien sind Körperhaltung, Gang, Erscheinungsform und vor allem: Haare! Wer also nicht über eine gute Eigenhaar-Frisur verfügt, sollte sich nicht scheuen, etwas mehr Geld in eine gute Perücke zu investieren. Denn nichts ist verrätischer als eine schlecht sitzende und auf den ersten Blick als solche ersichtliche Perücke.

Stimm ich voll zu - und über Busen und Taille steht (nicht nur in der Höhe) noch der Hals in gestreckter Haltung, usw.




RE: Geschlechterzuordnung und Erkennbarkeit - Ulli - 16.12.2011


[/quote]

Stimm ich voll zu - und über Busen und Taille steht (nicht nur in der Höhe) noch der Hals in gestreckter Haltung, usw.


[/quote]

Dann lasse uns doch mal ein Vollbild von Dir sehen (mit gestreckter Haltung und Hals) und nicht nur aus der Anonymität heraus uns Weisheiten zu übermitteln! Das wär mal was. Nämlich standing!




RE: Geschlechterzuordnung und Erkennbarkeit - Mike-Tanja - 16.12.2011

Ich nutze die Gelegenheit, um an ein paar Punkte aus den Forumsregeln zu erinnern:

Zitat:6. Grundsatz der Pseudonymität

6.1 Die Forumsleitung verlangt von den Userinnen und Usern weder die Angabe eines Realnamens noch einen sonstigen Identitätsnachweis oder einen Nachweis der Richtigkeit von Angaben im Profil. Die Wahl eines Pseudonyms (Nick, Nickname, Avatarname o.ä) ist ausdrücklich erwünscht. Die Userinnen und User werden darauf aufmerksam gemacht, dass auch Angaben in den Inhalten eines Postings unter Umständen Rückschlüsse auf ihre Identität ermöglichen können.

6.2 Die Betreiberin geht davon aus, dass hinter den registrierten Pseudonymen zwar reale Menschen stehen, eine Identifizierung an Hand des gewählten Pseudonmys aber mit rechtlich zulässigen Mitteln gegen den Willen des oder der Betroffenen nicht möglich ist. Eine solche wird auch nicht angestrebt. Die Profildaten der Userinnen und User sind für die Betreiberin daher indirekt personenbezogene Daten (§ 4 Ziffer 1 zweiter Fall des Datenschutzgesetzes 2000 – DSG 2000).

6.3 Niemand darf im Forum wegen der Wahrung seiner Pseudonymität diskriminiert oder in seiner Glaubwürdigkeit angezweifelt werden. Die Betreiberin übernimmt auch bei der Verwendung eines real klingenden Pseudonyms keinerlei Gewähr dafür, dass es sich um einen Realnamen handelt.

Niemand hat hier überprüft, wer real und wer eine Web-Fantasie-Identität ist. Das gilt auch für User/innen mit Gesichtsbild wie mich. Außer denen, die mich persönlich kennen, kann keine/r sagen, wie Mike oder Tanja im realen Leben wirklich ausschauen.


RE: Korsett - iris_evenstar - 19.03.2012

(07.11.2011, 02:55)Carina_in_Graz schrieb: Die geschlechtsspezifischen Merkmale sind zwar bei den Menschen nicht so ausgeprägt wie bei Fasanen oder Erdkröten, aber glaubt Ihr wirklich, daß es so etwas wie einen - nicht ausschließlich kulturell bedingten und damit patriarchalisch geprägten - seit 100000 Jahren stabilen Sexualdimorphismus bei den Menschen nicht gibt? Daß gewisse Merkmale von der Mode mal akzentuiert und mal eher verborgen werden (da können wir sogar beim Korsett bleiben, das mal die Brust eher flachdrücken und mal (hervor-)heben sollte), ändert doch nichts daran, daß Frauen und Männer von Frauen und Männern als Frauen und Männer - und zwar offenbar eben genau anhand dieser geschlechtsspezifischen Merkmale - in der Regel richtig erkannt werden, und zwar auch ohne oder trotz gleicher Kleidung. Diese mitunter im Einzelnen recht subtilen statistischen Unterschiede in ihrer Gesamtheit trotz solch großer Schwankungen, daß es bei einzelnen Merkmalen Überlappungszonen mit dem anderen Geschlecht gibt, ziemlich verlässlich deuten zu können, ist keine menschliche Kulturleistung, sondern eine biologische Grundausstattung praktisch aller lebenden zweigeschlechtlichen Arten der irdischen Fauna und unsere macht hier keine Ausnahme, nur daß sie sich darauf aufbauend noch zusätzliche Signale ausgedacht hat oder mal dieses oder mal jenes in den Vordergrund gerückt oder unterdrückt hat. Aber nur diese zusätzlichen Merkmale (Rock/Hose, Haarlänge...) sind kulturspezifisch (...und damit oft patriarchalisch geprägt), modeabhängig, ergeben sich aus einem Schönheitsideal und sind damit beliebig variabel.

Der Unterschied im Körperbau gehört nicht zu den Modemerkmalen.

Ein netter Startpunkt für weiterführendes, selbständiges Surfen zum Thema der weiblichen Taille und ihrer evolutionspsychologischen Bedeutung wäre beispielsweise
http://periodicals.faqs.org/201106/2375818431.html

Da gebe ich Carina vollkommen recht (und danke auch für den interessanten Link)!

Kulturspezifische Unterschiede sind sicher interessant und wichtig, aber für uns Transgenderpersonen ist doch vor allem relevant, wie die tatsächliche Geschlechtswahrnehmung in "Alltagssituationen" funktioniert. Denn mit diesem Wissen können wir (vorausgesetzt, uns ist "Passing" und Unauffälligkeit im gefühlten Geschlecht wichtig) uns unseren Alltag erleichtern.

Ich mag ein humanistisches Menschenbild wie das von Angelika. Natürlich sollten wir mittlerweile über andere Methoden als so simple neuronale Verschaltungen wie die Waist-Hip-Ratio zur Geschlechtsdiskriminierung verfügen - tun wir ja auch. Trotzdem sind jene Mechanismen da, und wir funktionieren einfach nach ihnen, ob wir es wollen oder nicht.

Eine "verstandesmäßige" oder "kulturspezifische" Erfassung des Geschlechts wird immer erst NACH diesen unbewusst ablaufenden Prozessen einsetzen. Das sieht man sehr schön bei Kleinkindern, die TG-Personen oft als solche erkennen, auch wenn es Erwachsene nicht tun - warum wohl? Sie haben die kulturellen Konventionen noch nicht (vollständig) gelernt und führen ihre Geschlechtseinordnung daher hauptsächlich aufgrund der physischen Grundprinzipien wie Gesichtsgeometrie oder eben WHR durch. Schlecht für uns, denn diese sind schwerer zu ändern...

Fazit: Der aktuelle Forschungsstand sagt uns eindeutig, dass die WHR eben ein wesentliches Kriterium für die Geschlechtswahrnehmung ist. Wir haben es in der Hand: Wir können dieses Wissen für uns nutzen, oder eben nicht.

Ich habe mich dafür entschieden, es zu nutzen, und ich fahre gut damit.

Liebe Grüße,
Iris

--

P.S. Gerade habe ich gesehen, dass es beim ursprünglichen Beitrag um Korsetts ging. Aua! Zum Glück gibt es auch sanftere und bequemere Methoden, um die WHR in einen weiblicheren Bereich zu bringen.