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[Buch] TRANSGENDER VOICES — Beyond Women and Men - j-unique - 11.05.2016 Titel: TRANSGENDER VOICES — Beyond Women and Men Von: Lori B. Girshick ISBN 10: 158465645X ISBN 13: 9781584656456 Inhalt: Grundlage des Buches ist eine Grounded Theory mit Befragung von 150 (trans*/inter-)Personen zum Thema »gender transgression«. Dabei wird versucht, Transidentität in ihren verschiedenen Dimensionen zu erfassen und genauso wie gesellschaftliche Normen zu hinterfragen. Im Text finden sich zu jedem Thema zahlreiche Zitate aus den Befragungen, die dann analysiert und zusammengefasst werden. Das Buch ist englisch und die Befragten (es gibt auch ein paar Fotos) leben großteils in den USA. Zur besseren Nachvollziehbarkeit findet man den Fragebogen im Anhang. Das Buch beginnt mit Ausführungen zu Fragestellung, Anzahl der betroffenen Menschen, Methodik und verwendeten Begriffen. Das erste Kapitel ist der »sozialen Konstruktion biologischer Tatsachen« gewidmet, also dem Zusammenhang zwischen Biologie/Körper und Geschlechtsidentität, der gesellschaftlichen Gender-Zweiteilung als konstruiertes und dennoch reales System, den Mechanismen ebendieser Konstruktion (Medien, Religion usw.) und wie trans*/inter-Personen in diesem System leben. Um Selbstdefinition und Sozialisierung geht es im zweiten Kapitel: um familiären und schulischen Einfluss im Kindes- und Jugendalter, Gender-Sozialisierung; das Lernen, gesellschaftlich unerwünschte Bedürfnisse und Verhaltensmuster zu verstecken; dann aber auch über den Vorgang der »Entdeckung« der eigenen Identität, unklare Gefühle, was Gender betrifft und Cross-Dressing von Kindern und Pubertierenden. Wie konstruiert man selbst die eigene (Gender-)Identität? Welche Möglichkeiten und Herausforderungen sind damit verknüpft? Im dritten Kapitel geht es genau darum: bekannte Probleme wie der Unterschied zwischen innerer Wahrnehmung und äußerem Ausdruck bzw. wie man von außen gelesen wird, sozialem Druck (zur Konformität), dem Bedürfnis, gesehen und akzeptiert zu werden, der Harmonie zwischen Körper und Psyche und was »Transition« eigentlich heißt. Hormone, Stimmtraining, GaOP, Cross-Dressing – man erfährt, wie die Befragten mit diesen Optionen umgehen und für was sie sich in ihren Situationen entscheiden. Im vierten Kapitel geht es um Coming Out und die diesbezüglichen Erfahrungen der Befragten. Wie haben sie es wem gesagt, wie hat die Umwelt reagiert? Die Schwierigkeiten der Kommunikation (Verwendung geschlechtsspezifischer Pronomen, Wechsel davon) sind ebenso Thema wie die oft schwierige Definition der eigenen sexuellen Orientierung, "Autogynephilia", Passing ([Nicht-]Notwendigkeit, Erfolge, Schwierigkeiten), Unsichtbarkeit (lebt man wirklich "unsichtbar" im Identitätsgeschlecht, d.h. ohne dass die Geschichte von anderen "enttarnt" wird? Funktioniert das? Wollen die Befragten, dass es funktioniert?), Community, Beziehungen (wie gehen beispielsweise Partner*innen von Cross-Dresser*innen damit um), internalisierte Homophobie, Eltern-Kind-Beziehungen und wie am Arbeitsplatz mit dem Thema umgegangen wird (und dass zB viele Menschen am Arbeitsplatz ihre Identität zumindest zeitweise "nicht leben"). Kapitel fünf: »Gender Policing«. Betroffene kennen das: die eigene Geschlechtsidentität kann nicht nur bei eigentlichen banalen Dingen wie dem Gang zur Toilette zum großen Problem werden, sondern auch bei medizinischer Betreuung (hier wird v.a. das Thema Pathologisierung und Psychiatrisierung per DSM behandelt), im Umgang mit dem Staat bzw. öffentlichen Institutionen (NÄ/PÄ/Zeugnisse umschreiben) … Kapitel sechs beschäftigt sich mit der inneren »Aufgewühltheit«, die Betroffene oft erfahren, wenn sie realisieren, dass sie betroffen sind. Dass man plötzlich anders (und stigmatisiert) ist, dass man sich mit dem eigenen Körper nicht identifizieren kann, dass man mit dem »Geburtsfehler« zurechtkommen muss, dass man extreme Schamgefühle und Depressionen entwickelt und sich vielleicht Schaden zufügt. Auch Missbrauchs- und andere Gewalterfahrungen Betroffener werden nicht ausgespart. Letztlich muss aber doch jede*r Wege finden, um mit der Situation umzugehen. Im abschließenden Epilog über »Gender Liberation« werden Ideen vorgestellt, um körperliches Geschlecht (biologisch/medizinisch zugewiesen), Geschlechtsidentität, -ausdruck und sexuelle Orientierung besser zu beschreiben. Nach einem kurzen Ausflug in das T der LGBT-Community gibt es noch einige Anmerkungen von Betroffenen, wie sich ihr Leben seit dem Beantworten des Fragebogens verändert hat: zB durch eine abgebrochene Hormonbehandlung, Scheidung; dann ist da noch jemand, die nach männlichen wieder weibliche Pronomen für sich selbst verwendet. Mein Eindruck: Ein wunderbares Buch, wenn man die Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Identitäten kennen lernen und sich dabei nicht nur auf theoretische Abhandlungen oder auf Aussagen "von cisgender über trans/inter" verlassen will. Von den 150 Befragten bezeichnen sich selbst (Mehrfachnennungen möglich) 57 als MtF-TS, 30 als FtM-TS, 26 als »männlicher Cross-Dresser«, 21 als weiblich (female), 16 als männlich (male), 9 als transgender, 8 als Butch, 8 als intersex, 6 als genderqueer, 4 als transgender (ohne weitere Nennungen) und 2 als femme. Daran erkennt man schon, dass die Welt (und das Buch) nicht schwarz-weiß ist. Ein interessanter und auch bewegender Ausflug in die Lebensrealität und Gedankenwelt von trans*/inter-Menschen, egal ob sie das duale Gender-System gutheißen und sich darin zurechtfinden oder es als Hindernis ansehen. Sehr sympathisch finde ich auch, dass außer der Selbstidentifikation keine weitere Klassifizierung oder Diskriminierung vorgenommen wird. Cross-Dresser, die sich so bezeichnen, sind eben das, werden aber vom theoretischen Unterbau nicht irgendwie anders behandelt als "fulltime-stealth-TS". Mir persönlich hat das Buch sehr geholfen, zu realisieren, dass es nicht genau »einen transsexuellen Weg« gibt. Identität ist hochpersönlich und -individuell, und es wird deutlich, dass jede*r anders denkt und einen anderen Umgang mit vorgegebenen Rahmenbedingungen hat. Was die Rahmenbedingungen betrifft, lohnt es sicher darüber nachzudenken, ob/wie Geschlecht sozial konstruiert ist und ob/wie das mit der Biologie verknüpft ist (was ja vom Großteil der Nicht-Betroffenen als unverrückbare Wahrheit angesehen wird). Es ist auch erfrischend anders, als was man in einschlägigen Dokus oder typischen TV-Sendungen zu hören bekommt. Das Buch und die Erfahrungen und Meinungen der Betroffenen sind durchaus nicht nur positiv und froh machend, aber insgesamt hat mir das Buch sehr geholfen, zu akzpetieren, wer ich bin. Durch die Vielfalt der Meinungen und Ansichten findet man die eigenen Ansichten irgendwo fast sicher wieder, was sehr aufbauend sein kann. Ich kann das Buch nur jedem*r empfehlen – auch Nicht-Betroffenen, die ihren Horizont erweitern wollen. |