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Intersexualität & Non-Binary: Verfahren zu Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Druckversion

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RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Sunburst - 04.01.2019

Symbole sind meistens nur Symbole Blush, äh... ich meine, von denen geht magischerweise keine reale Wirkung aus. Also in diesem Falle schon gar nicht.

Bedauerlicherweise liegt der Fall bei politischen Prozessen doch anders Sigh

Ceterum censeo, daß einen "Beweis für Intersexualität nach wissenschaftlichen Standards" zu verlangen, eine leckere Dose Würmer aufmacht. Welche wissenschaftlichen Standards hätten die denn gerne? Wie soll man mit Streit- und Grenzfällen verfahren? (Abgesehen davon, daß ein Beweis ein bißchen viel verlangt ist Confused)


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Mike-Tanja - 04.01.2019

(04.01.2019, 12:19)Sunburst schrieb: Symbole sind meistens nur Symbole Blush, äh... ich meine, von denen geht magischerweise keine reale Wirkung aus. Also in diesem Falle schon gar nicht.

Bedauerlicherweise liegt der Fall bei politischen Prozessen doch anders Sigh

Ceterum censeo, daß einen "Beweis für Intersexualität nach wissenschaftlichen Standards" zu verlangen, eine leckere Dose Würmer aufmacht. Welche wissenschaftlichen Standards hätten die denn gerne? Wie soll man mit Streit- und Grenzfällen verfahren? (Abgesehen davon, daß ein Beweis ein bißchen viel verlangt ist Confused)
Moment, Moment, hier geht's nicht darum, einen akademisch validen Beweis dafür zu erbringen, was IS ist, oder welche Form von IS beim konkreten Probanden/der konkreten Probandin vorliegt. Es geht darum, die Personenstandsbehörde (also die Bürgermeisterin/den Bürgermeister von X-Hausen, eine/n approbationsbefugte/n Standesbeamt/in/en oder wer auch immer für die Gemeinde oder den Standesamtsverband X-Hausen unterschreiben darf) davon zu überzeugen, dass der/die Antragstellerin in eine von verschiedenen, wissenschaftlich anerkannten Kategorien von Intersexualität fällt.

An was man dabei gedacht hat? Der VfGH hat ausführlich aus einer zweiundsiebzigseitigen  Abhandlung der Bioethikkommission der österreichischen Bundesregierung zu "Intersexualität und Transidentität" aus dem Jahr 2017 zitiert. Was da drinsteht, wird also in nächster Zeit der "wissenschaftliche Standard" sein, an dem sich Verwaltungsbehörden und Gerichte orientieren.

Das ist eine Situation, in der ein Sachverständigenbeweis zu erbringen ist. Da es für diesen Fall keine Sonderregeln gibt, ist § 52 AVG anzuwenden. Die (Rechts-) Frage wäre also, ob der BMI einfach per Erlass, also per Weisung an alle Personenstandsbehörden, diesen "VdG-Board" zum Amtssachverständigen bestimmen kann. Den habe ich übrigens unter diesem Namen mit Google nur in (Medien-) Zitaten aus der VIMÖ-Presseaussendung gefunden.


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Sunburst - 04.01.2019

Ok. Danke für die Erklärung Smile


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - SingingComet - 05.01.2019

ich habe jetzt nicht die ganze Abhandlung der Bioethikkommission gelesen. Aber gleich der erste Satz des zweiten Absatz scheint mir sehr bedenklich: "Intersexualität und Transidentität sind zwei grundsätzlich verschiedene Phänomene und dürfen nicht miteinander verwechselt werden."

Transsexualität ist doch auch nur eine spezielle Art der Intersexualität (https://ldsgender.wordpress.com/2012/06/13/transsexuality-is-one-form-of-intersexuality/)


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Sunburst - 05.01.2019

"Dürfen" klingt so bedrohlich Undecided

Ob TS eine Art von IS "ist", ist eher eine inner-akademische Debatte. Sie hat nichteinmal erkennbare Auswirkungen auf die Praxis der betreffenden Sexualmediziner. Geschweige, daß sich juristische Diskurse darauf stützten.

Ich weiß auch nicht (und ich meine damit à la lettre, daß ich nichts weiß), ob man (bitte individuell-distributiv zu lesen, nicht kollektiv) sich juristisch oder auch persönlich einen großen Gefallen damit tut, man sei mit IS so etwas wie "gleich" zu stellen. Angesichts der politischen Misere vielleicht doch. Früher hätte ich Skrupel gehabt.


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Falling Snow - 10.01.2019

(04.01.2019, 23:24)Mike-Tanja schrieb: Das ist eine Situation, in der ein Sachverständigenbeweis zu erbringen ist...

was mich daran irritiert, abgesehen von dem punkt, das m/w-ts recht auf einen entsprechenden eintrag haben, OHNE entsprechende körperliche "definitionen" erfüllen zu müssen...

wenn ich einen beweis zu erbringen habe über meine körperliche konstitution und nur daraufhin anspruch auf einen entsprechenden eintrag hab...
dann dürften z.b. im umkehrschluß frauen, deren eierstöcke/gebärmutter/brüste whatever entfernt wurden, keinen anspruch darauf haben, weiterhin als frau eingetragen zu sein, sondern wären rechtens "divers"? (oh mein gott, wie sehr ich dieses wort hasse)


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Bonita - 10.01.2019

(04.01.2019, 23:24)Mike-Tanja schrieb: ... diesen "VdG-Board" zum Amtssachverständigen bestimmen kann. Den habe ich übrigens unter diesem Namen mit Google nur in (Medien-) Zitaten aus der VIMÖ-Presseaussendung gefunden.
Die suchen wohl selbst noch danach...

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/J/J_02487/ schrieb:... Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Mario Lindner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend Empfehlungen zu Varianten der Geschlechtsentwicklung ... 20.12.2018  ...
https://www.kommunalnet.at/news/einzelansicht/drittes-geschlecht-bmi-erlass-fuer-die-praxis.html schrieb:... Der Link zu einer Liste der Kontaktdaten dieser VdG-Boards soll sich auf der Liste des Sozialministeriums finden lassen. In der Recherche ließ sich dieser aber noch nicht finden. Eine entsprechende Anfrage wurde vom Sozialministerium bis zur Veröffentlichung des Artikels nicht beantwortet ... 04.01.2019  ...
https://www.google.com/search?q=Variante+der+Geschlechtsentwicklung+(VdG)+site%3Asozialministerium.at
&
https://www.google.com/search?q=Variante+der+Geschlechtsentwicklung+(VdG)+site%3Agesundheit.gv.at

- jeweils keine Ergebnisse;

Der Erlass Das Empfehlungsschreiben des BMI: [attachment=1043]


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Sunburst - 10.01.2019

(10.01.2019, 03:18)Falling Snow schrieb: was mich daran irritiert, abgesehen von dem punkt, das m/w-ts recht auf einen entsprechenden eintrag haben, OHNE entsprechende körperliche "definitionen" erfüllen zu müssen...

Das sind verschiedene Begriffe von "Recht". Einen entsprechenden gesetzlich verankerten Rechtsanspruch haben TS (natürlich auch ♀ → ♂) in D oder Ö eben immer noch nicht. Menschlich ist das anders zu sehen, und da dürften wir uns hier einig sein. Darüberhinaus erlaube ich mir das auch in moralischer bzw. religiös-philosophischer Hinsicht anders zu sehen. Verkürzt gesagt, denke ich, daß man Menschen nicht davon abhalten darf, ihren Weg zu gehen. Das ist für alle Beteiligten schlecht.

Zitat:wenn ich einen beweis zu erbringen habe über meine körperliche konstitution und nur daraufhin anspruch auf einen entsprechenden eintrag hab...
dann dürften z.b. im umkehrschluß frauen, deren eierstöcke/gebärmutter/brüste whatever entfernt wurden, keinen anspruch darauf haben, weiterhin als frau eingetragen zu sein, sondern wären rechtens "divers"? [...]

Die Analogie ist unzulänglich. Auch wenn ich ähnliches schon in meiner Jugend gehört habe. Allerdings ging es da eher um das "Mangelzustand"-Modell von TS, wobei sich diese Leute ähnlich Frauen mit einschlägigen Krankheitsbildern und manchen Intersexen zu denken versuchten. Zum einen sind das alles doch verschiedene körperliche Konstitutionen, zum anderen kann man einen Personenstand nicht gegen den Willen einer erwachsenen Person aberkennen.


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Mike-Tanja - 13.01.2019

(10.01.2019, 03:18)Falling Snow schrieb:
(04.01.2019, 23:24)Mike-Tanja schrieb: Das ist eine Situation, in der ein Sachverständigenbeweis zu erbringen ist...

was mich daran irritiert, abgesehen von dem punkt, das m/w-ts recht auf einen entsprechenden eintrag haben, OHNE entsprechende körperliche "definitionen" erfüllen zu müssen...

wenn ich einen beweis zu erbringen habe über meine körperliche konstitution und nur daraufhin anspruch auf einen entsprechenden eintrag hab...
dann dürften z.b. im umkehrschluß frauen, deren eierstöcke/gebärmutter/brüste whatever entfernt wurden, keinen anspruch darauf haben, weiterhin als frau eingetragen zu sein, sondern wären rechtens "divers"? (oh mein gott, wie sehr ich dieses wort hasse)
Also in Fällen einer Personenstandsänderung (PÄ) aus dem Grund der Transsexualität (nur m --> w oder w --> m) wird jene Bestimmung im Personenstandsrecht angewendet, nach der die entsprechende Eintragung nachträglich (ex-nunc) unrichtig geworden und daher zu ändern ist (§ 41 PStG 2013). Die entsprechende Rechtsprechung geht erkennbar davon aus, dass hier kein (rein) biologischer (insbesondere genetischer) sondern ein sozialer Geschlechtsbegriff zur Anwendung kommt - also mehr "Gender" und weniger "Sex". Gefordert ist aber nicht nur die Selbstdeklaration als Angehörige/r des Nicht-Geburtsgeschlechts (soziale Transition) sondern auch eine nicht näher definierte äußere "Annäherung" an das Nicht-Geburtsgeschlecht durch eine geschlechtsangleichende Behandlung (medizinische Transition). Diesbezüglich ist rechtlich nur klargestellt, dass eine geschlechtsangleichende Operation nicht erforderlich ist (VwGH, E 27.02.2009, VwSlg 17640 A/2009). Faktisch kriegt inzwischen jede/r in Österreich die PÄ, wenn der Personenstandsbehörde eine entsprechende gesicherte Diagnose und Therapie nachgewiesen wird. Eine körperliche Begutachtung ist nicht üblich, ebensowenig ein Real-Life-Test.

Bei Fällen einer PÄ auf "divers" aus dem Grund der Intersexualität ist das möglicherweise ein bisserl anders. Im Anlassfall der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH, E 15.6.2018, G 77/2018-9) wurde ausdrücklich eine rückwirkende (ex-tunc) Berichtigung der Eintragung des Geschlechts in den Personenstandsregistern beantragt, gestützt auf § 42 PStG 2013. Der für die zukünftige Verfahrensführung entscheidende Satz dürfte sich in Rz 15 des VfGH-Erkenntnisses finden: "Dabei handelt es sich bei der (im Folgenden relevanten) Fallkonstellation der Intersexualität um eine Variante der Geschlechtsentwicklung, die, weil die geschlechtsdifferenzierenden Merkmale durch eine atypische Entwicklung des chromosomalen, anatomischen oder hormonellen Geschlechts gekennzeichnet sind, die Einordnung eines Menschen als männlich oder weiblich nicht eindeutig zulässt." Für eine Berichtigung des Geschlechtseintrags auf "divers" (o.ä.) muss daher wohl eine atypische Entwicklung des chromosomalen, anatomischen oder hormonellen Geschlechts nachgewiesen werden.


Von einer, am Ende gar amtswegigen, Änderung von Personenstandseintragungen aus anderen Gründen des Gesundheitszustandes (wie Zeugungs- oder Gebärfähigkeit) kann keine Rede sein.


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Mike-Tanja - 14.01.2019

Im Anhang befindet sich der Intersex-Erlass des BMI (GZ: BMI-VA1300/0528-III/4/b/2018 vom 20. Dezember 2018).

Interessant sind aus meiner Sicht zwei Dinge.

Erstens, dass dort nur der Fall einer nachträglichen Änderung des Geschlechtseintrags auf "divers" nach § 41 PStG 2013 vorgesehen ist. Der m.E. denkbare, ja logisch richtigere Fall, dass die biologische Tatsache der Intersexualität bei der Geburt einfach nicht erkannt und daher falsch beurkundet worden ist, wird nicht berücksichtigt.

Zweitens ist da tatsächlich die Begutachtung durch einen (es ist von mehreren die Rede) "VdG-Board" zwingend vorgesehen. Na, bravo! Thinking