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Intersexualität & Non-Binary: Verfahren zu Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Druckversion

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RE: Inter: "Gericht in Oberösterreich soll ein drittes Geschlecht anerkennen" - Mike-Tanja - 11.10.2016

(11.10.2016, 00:22)j-unique schrieb:
(10.10.2016, 22:32)Mike-Tanja schrieb: Am Ende könnte die europaweit verbindliche Entscheidung stehen, wonach eine gender-binäre Rechtsordnung mit Art 8 EMRK nicht in Einklang zu bringen ist.

Oder dass sie es ist (was ich eher erwarte, bei der derzeitigen Akzeptanz von non-binary im Allgemeinen), und das hält dann wieder für 100 Jahre Smile
[hier gekürzt]

Ja, das könnte durchaus so sein.

Es gibt aber ein starkes Argument, das man mit juristischen Argumentationskünsten nicht weg bekommt: Intersexualität ist eine biologische, somatische, daher glasklar nachweisbare Tatsache, keinesfalls eine Frage des sozialen Lebensstils und der Psyche. Man kann sagen, dass der Gesetzgeber das (und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber) berücksichtigen müsste, um Intersex-Menschen nicht ohne sachliche Rechtfertigung zu diskriminieren, indem er sie in eine von zwei gesetzlich bestimmten Geschlechtsrollen zwingt.

Ich will aber nicht verschweigen, dass eine solche Argumentation auch gewisse Risiken (für die TG-Community) birgt:

  • Sie rückt Gender-Fragen wieder in den Fokus der Biologie und naturwissenschaftlicher Methoden zur Geschlechtsbestimmung (--> Gene!);
  • Sie könnte langfristig dazu führen, dass ein vollständiger Wechsel der Gender-Rolle schwieriger wird, weil es ja dann einen "Ne-uter-Personenstand" ("ne uter", vgl "neutral", lateinisch "keine(r)/keines von beiden") gäbe. Vor allem Non-OP-TS könnten davon betroffen sein. Man könnte die (hypothetische) Situation nach einer solchen Gerichtsentscheidung sogar gegen uns wenden: Nur mehr "echte" Cis-Menschen (in eventu: Post-OP-Transfrauen und -männer  mit äußerlich "korrekten" Genitalien) dürften dann als Frauen oder Männer registriert werden.



RE: Inter: "Gericht in Oberösterreich soll ein drittes Geschlecht anerkennen" - Bonita - 11.10.2016

(11.10.2016, 10:02)Mike-Tanja schrieb: ... gewisse Risiken (für die TG-Community) ...

Naja, wir unterscheiden aber schon noch das "biologische Geschlecht" und das "soziale Geschlecht", unabhängig davon, wie nun TS/TI/IS auch immer entstehen mag; Es kann nicht nur eine anerzogene Rollenspezifik sein und vice versa kann es auch nicht nur eine genetische sein (wobei das obendrein noch gar nicht wissenschaftlich erwiesen ist); Jedenfalls ist das biologische bei IS-Menschen eben sowohl als auch, unabhängig davon, wie nun das soziale sich manifestierte respektive ausgelebt wurde/wird...

Bei TS/TI-Menschen gibt es biologisches nicht sowohl als auch, es weicht das eine eben vom anderen der überwiegend biologischen Geschlechter (weiblich und männlich) idR diametral ab, somit kann man das nicht mit IS per se vergleichen; Der TS/TI-Weg bis zu einer gewünschten Angleichung - ob nun "nur" am Papier oder eben auch mit entsprechenden (Ga-) OPs - bleibt ohnehin weiter bestehen: Am Ende steht darauf schließlich das gefühlte/gelebte soziale Geschlecht, welches auch bei einem 3. (oder 4. etc pp) amtlichen Geschlechtseintrag entweder weiblich oder männlich sein wird; Freilich kann ein/e IS-Person auch weiterhin bei zukünftig mehr amtlichen Möglichkeiten den TS/TI-Weg einschlagen und sich für eine der beiden überwiegenden Seiten entscheiden...

Dass sich die eine und der andere TS/TI jedoch dazu entschließen könnte, sich als ein - noch nicht installiertes - weiteres amtliches Geschlecht definieren zu lassen, spräche dem ursächlichen Beweggrund bei IS auch nicht unbedingt entgegen; Der amtliche Eintrag bezöge sich bei IS zwar auf die biologische Seite, die weder das eine noch das andere aktuell amtliche Geschlecht darzustellen vermag; Ein/e TS/TI kann sich allerdings genauso wie ein/e IS-Person "zwischen den Stühlen" der sozialen Geschlechter fühlen bzw definieren - also muss etwas "Neues" her, neben den beiden bestehenden amtlichen Einträgen...

Und das stellt letztlich auch "den (kleinen aber feinen) Unterschied" zu TV/CD idR dar, da sich diese Menschen nicht permanent einem Wechsel des sozialen Geschlechtes "antun" wollen, und für diese ist die Namens- bzw Personenstands-Änderung ohnehin kein wirkliches Thema; Was wohl das tatsächlich "trennende Moment" innert der TG-Gemeinschaft darstellt und für so manche - leider - weiterhin das Zankapferl bleibt...


RE: Inter: "Gericht in Oberösterreich soll ein drittes Geschlecht anerkennen" - j-unique - 11.10.2016

(11.10.2016, 05:30)chipsi schrieb:
(11.10.2016, 00:22)j-unique schrieb: [gekürzt] ...Und wenn man als NB in ein Männergefängnis kommt, kann man sich mit etwas Phantasie ja immer noch umbringen.

Demnach müssten aber eigene NB-Gefängnisse errichtet werden, den ein Frauengefängniss passt ja ebensowenig?

Nein, es braucht auch keine dritte Toilette. Eine reicht. Und ein Gefängnis, in dem halbwegs geschaut wird, dass man auch in Haft halbwegs menschenwürdig über die Runden kommt, egal was man da unten oder da oben oder im Kopf hat. Und sollte es nicht möglich sein, Männer, Frauen und NBs zusammen zu tun, ohne dass es automatisch zu Mord und Vergewaltigung im großen Stil kommt, sollte man eine Freitodmöglichkeit bereitstellen, für Leute die in so einer Welt nicht leben wollen.


RE: Inter: "Gericht in Oberösterreich soll ein drittes Geschlecht anerkennen" - Mike-Tanja - 08.11.2017

Intersexuelle Menschen haben heute für das Ziel, ein gesetzliches "drittes Geschlecht" zu schaffen, massive Unterstützung vom deutschen Bundesverfassungsgericht bekommen:

Pressemeldung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 2017

Moderationshinweis: Betreff des Themas erweitert.


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Bonita - 08.11.2017

http://tvthek.orf.at/profile/ZIB-1/1203/ZIB-1/13952427/Deutschland-fuehrt-dritte-Geschlechtsoption-ein/14170775
Zitat:Deutschland führt dritte Geschlechtsoption ein | 01:35 Min.
Deutschland führt nach einem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts ein drittes Geschlecht ein. Damit soll es möglich sein, im Geburtenregister als weiblich, männlich oder "anders" eingetragen zu werden.




http://orf.at/stories/2414031/

http://orf.at/stories/2414031/2414036/


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - signo - 08.11.2017

Ich habe das ^^ gerade im deutschen Fernsehen vernommen.

Verstanden hab ich es noch nicht ganz (und bevor ich jetzt wie irre zu googeln beginne frage ich euch).

Wie mir scheint, erging dieses prinzipiell positive Urteil deswegen, weil sich Intersexuelle grundsätzlich in einer Zwickmühle befinden (auch bereits vor der Kenntnis ihrer verzwickten Situation) und sie sich nicht mehr, und niemand vorher für sie, für ein Geschlecht entscheiden müssen.
Stattdessen nun die Möglichkeit kein (eigenartig, oder?) Geschlecht oder das 3. zu wählen.

Doch hat das Auswirkung auf sonst wen, der nicht ein "herkömmliches" Geschlecht (m/w) wählen will?


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Lydia Faustus - 08.11.2017

Was schreibt denn mein Lieblingsverein atme.ev dazu?

"Das Bundesverfassungsgericht hat nun ein drittes Geschlecht für den Eintrag im Geburtenregister gefordert. Damit soll Menschen, die laut Gericht "weder männlich noch weiblich" sind, ermöglicht werden ihre Identität "positiv" eintragen zu lassen. Wir freuen uns da erst einmal nicht.

Warum? Erst einmal ist es nur eine Schublade mehr. Diese schützt weder vor chirurgischen Eingriffen an Neugeborenen, noch hilft sie, Menschen, die ihr Geschlecht kennen, in diesem auch vor dem Gesetz anerkannt zu werden.

Und wenn wir nicht aufpassen, dann wird es noch schwieriger werden diesen alten neuen Geschlechterschubladen zu entkommen. Nämlich dann, wenn Menschen mit körperlichen Variationen dazu genutzt werden, die genitale Agenda zu stützen, die Geschlecht an Körpermerkmalen festmacht, anstatt geschlechtliche Aussagen fürwahr zu nehmen.

Es würde nämlich herzlich wenig bringen, wenn geschlechtliche Deutung sich dann anstatt auf zwei in Zukunft auf drei Katgorien beziehen würde.

Davon ist aber aktuell auszugehen. Selbstaussagen von Menschen gelten ja nicht als Aussagen über das Geschlecht, sondern als Aussagen über die "Geschlechtsidentität", die - so die immergleiche Erzählung - vom "biologischen Geschlecht" abweiche.

Ein dritter Geschlechtseintrag hilft herzlich wenig, diese Weltanschauung zu überwinden und Menschen zuzutrauen, dass sie ihr Geschlecht kennen. Es kann sogar sein, dass dieser als ein weiteres Tool für geschlechtliche Fremdbestimmung genutzt werden wird.

Wir müssen da sehr aufpassen, wie sich das entwickeln wird.

Übrigens: Das Transsexuellengesetz hatte sich hinterher auch als Werkzeug zur Aufrechterhaltung stereotyper Geschlechtervorstellungen und als Geldmaschine für ein medizinisch-psychiatrisches Behandlungssystem herauskristallisiert. Daran sollten wir uns immer erinnern."


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Mike-Tanja - 08.11.2017

(08.11.2017, 22:37)signo schrieb: [hier gekürzt]
Stattdessen nun die Möglichkeit kein (eigenartig, oder?) Geschlecht oder das 3. zu wählen.


Doch hat das Auswirkung auf sonst wen, der nicht ein Geschlecht (m/w) wählen will?
Stimmt, aber das wird man erst wissen, wenn die deutsche Gesetzgebung eine Regelung trifft. Die denkbare Minimalregelung scheint zu sein, dass eine Kategorie "inter" o.ä. nur bei nachgewiesener Intersexualität eingeführt wird. Darüber hinaus...tja!


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - Eva_Tg - 13.11.2017

(08.11.2017, 23:00)Mike-Tanja schrieb: Stimmt, aber das wird man erst wissen, wenn die deutsche Gesetzgebung eine Regelung trifft. Die denkbare Minimalregelung scheint zu sein, dass eine Kategorie "inter" o.ä. nur bei nachgewiesener Intersexualität eingeführt wird. Darüber hinaus...tja!

Ich finde das furchtbar stigmatisierend. Mir kommt es so vor, als dürfte man selbst, bei nachgewiesener Intersexualität, gar keine klare Geschlechtszugehörigkeit haben. Es wird immer so getan, als wenn man soetwas nicht besitzt, wenn man intersexuell ist.
Aber Menschen, die sagen "Ich bin die dritte Option." sind eher eine Minderheit. Manche Intersexuelle wissen nicht mal das sie inter sind oder sie stoßen durch Zufall darauf und das löst eine psychische Krise aus.
Da ist es aus rechtlicher Sicht ja besser, wenn nichts eindeutig nachgewiesen wird, dann muss man sich auch nicht mit den rechtlichen Aspekt auseinander setzen.

Ich meine, wenn meine Vermutungen bezügliches meines Zustandes korrekt sind, dann bin ich eine transidente Frau, die genetisch zwar männlich ist, aber mit einem intersexuellen Syndrom und auf Grund dieser Intersexualität hat sich mein Körper weiblich entwickelt, aber mit äußerlich normalen Hoden und Penis und künstliche Östrogene muss ich auch noch nehmen, damit mein Körper richtig funktioniert.
Und das ist nur die Kurzbeschreibung. Auf einen juristischen Eiertanz um meinen körperlichen Zustand hätte ich keine Lust, so etwas ist belastenden.

Aus der Perspektive ist es ganz gut, dass bei mir nichts nachgewiesen werden konnte und es sich auf Spekulationen beschränkt. Damit erfolgt meine Behandlung gemäß der Diagnose F64.0 und juristische wurde mein Personenstand nach dem TSG geändert. Aus meiner Sicht die praktischere Handlungsweise, als sich mit einer dritten Option auseinander setzen zu müssen. Und so denken sicherlich noch ein paar mehr.


RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - mrs.moustache - 14.11.2017

(13.11.2017, 22:34)Eva_Tg schrieb:

(08.11.2017, 23:00)Mike-Tanja schrieb:



Stimmt, aber das wird man erst wissen, wenn die deutsche Gesetzgebung eine Regelung trifft. Die denkbare Minimalregelung scheint zu sein, dass eine Kategorie "inter" o.ä. nur bei nachgewiesener Intersexualität eingeführt wird. Darüber hinaus...tja!




Ich finde das furchtbar stigmatisierend. Mir kommt es so vor, als dürfte man selbst, bei nachgewiesener Intersexualität, gar keine klare Geschlechtszugehörigkeit haben. Es wird immer so getan, als wenn man soetwas nicht besitzt, wenn man intersexuell ist.




Du findest es vielleicht stigmatisierend. Es betrifft dich aber, abgesehen von deiner zwanghaften identifikation mit dem intersexuellen syndrom, nicht.
Es geht vor allem darum, den druck zu nehmen, der auf den eltern lastet- nämlich sich zwischen einem der zwei, meist gleichermaßen unrichtigen, geschlechtszuschreibungen zu entscheiden. Eine dritte option gibt es ja nicht!
Nur dadurch wurden die ganzen eingriffe in den genitaltrakt legitimiert. 

Es geht nicht darum jemanden eine geschlechtsidentität abzusprechen (das meinst du wohl mit zugehörigkeit), sondern diese nicht von genitalien abhängig zu machen. 



Zitat:
Aber Menschen, die sagen "Ich bin die dritte Option." sind eher eine Minderheit.

Woher weißt du das so genau?

Zitat:
Manche Intersexuelle wissen nicht mal das sie inter sind oder sie stoßen durch Zufall darauf und das löst eine psychische Krise aus.


Meist wissen es die eltern, meist werden eingriffe vorgenommen. Meist wird nicht darüber geredet. Weil es nur männlich und weiblich gibt. Weil die eltern für das kind bestimmen.


Zitat:
Da ist es aus rechtlicher Sicht ja besser, wenn nichts eindeutig nachgewiesen wird, dann muss man sich auch nicht mit den rechtlichen Aspekt auseinander setzen.


Um die personen, bei denen die intersexualität quasi unauffällig ist geht es doch gar nicht. Es geht um offensichtliche fälle und darum, verstümmelnde operationen zu verhindern in dem man das kind nicht als abnormal, sondern als eine weitere normvariante betrachtet UND AUCH EINTRAGEN! kann.

Zitat:

Ich meine, wenn meine Vermutungen bezügliches meines Zustandes korrekt sind, dann bin ich eine transidente Frau, die genetisch zwar männlich ist, aber mit einem intersexuellen Syndrom und auf Grund dieser Intersexualität hat sich mein Körper weiblich entwickelt, aber mit äußerlich normalen Hoden und Penis und künstliche Östrogene muss ich auch noch nehmen, damit mein Körper richtig funktioniert.
 



Wenn dich diese vorstellung glücklich macht... 

Zitat:
Aus meiner Sicht die praktischere Handlungsweise, als sich mit einer dritten Option auseinander setzen zu müssen. Und so denken sicherlich noch ein paar mehr.


Aus der sicht eines menschen, den es de facto nicht betrifft ist das auch logisch.
Da es den betroffenen aber auch um zukünftig betroffene kinder geht und die möglichkeit den (i.d.r) körperlichen zustand der intersexualität zu normalisieren, anstatt zu operieren, muss auf praktisch geschissen werden.