Welche Seite ist "richtig"? WC-Benützung durch Trans-Menschen
Welche Seite ist "richtig"? WC-Benützung durch Trans-Menschen
Beitrag #1

Vorbemerkung: Dies ist eine mittellange Abhandlung, ihr solltet sie daher nur lesen, wenn euch das Thema wirklich interessiert. Dargestellt wird die österreichische Rechtslage.

In der Praxis stellt sich die titelgebende Frage nur Mann-zu-Frau-Transgendern. Und die Bedeutung der Frage hängt in hohem Maße vom Faktor Passing ab. Wer optisch als Frau wahrgenommen wird, müsste auf dem Klo schon in eine Polizeirazzia mit Ausweiskontrollen und/oder Personsdurchsuchungen geraten, um Probleme zu bekommen. Wer durch eine Personenstandsänderung (PÄ) im Identitätsgeschlecht anerkannt ist, braucht sich überhaupt nicht zu fürchten.

Die konkrete rechtliche Fragestellung lautet: Ist es strafbar oder sonst verboten, als "amtlicher" Mann (Transvestit, Prä-OP-Transsexuelle ohne Personenstandsänderung) eine Damentoilette zu benützen?

Ich beschränke mich dabei auf das Privatleben und auf nach Geschlechtern getrennte, einem breiteren Publikum zugängliche WC-Anlagen. In der Arbeitswelt stellt sich dieselbe Frage natürlich auch, dort ist es aber (Stichworte: Gleichbehandlungsgesetze, Schutz- und Sorgfaltspflichten des Arbeitgebers, festes Wissen über die Person und die Identität des Gegenübers) noch deutlich komplizierter, sie zu beantworten.

Aus rechtlicher Sicht zählt vor allem und meiner Ansicht nach im Zweifel immer das "amtliche" Geschlecht, das in Registern, Personenstandsurkunden und amtlichen Lichtbildausweisen eingetragene Geschlecht. Gegenüber einer Behörde oder z.b. einem Polizeibeamten oder einer Polizeibeamtin macht es meines Erachtens keinen Sinn, mit Begriffen wie "gefühltes Geschlecht" oder "Identitätsgeschlecht" zu argumentieren. Ich rate für den Fall eines ungeplanten Outings vor einem Behördenvertreter daher, die Karten immer klar auf den Tisch zu legen. Das mag emotional oft Schmerzen bereiten, erspart aber Komplikationen oder gar verhängnisvolle Missverständnisse.

Jedoch schreibt kein Gesetz vor,
  1. im "amtlichen" Geschlecht zu leben und aufzutreten,
  2. dem "amtlichen" Geschlecht entsprechende Kleidung zu tragen und
  3. im sozialen Umgang und im Alltagsleben den eigenen "amtlichen" (Vor-) Namen zu gebrauchen.
Was würde z.B. mir drohen, wenn ich als Tivi auf der Damentoilette "erwischt" werde?

Für eine strafrechtlich relevante "sexuelle Belästigung" ist Körperkontakt (zumindest eine Berührung) gefordert. In den geschlossenen Kabinen einer Damentoilette kann man praktisch auch nicht in den Verdacht des Exhibitionismus ("öffentliche geschlechtliche Handlung") geraten. § 218 des Strafgesetzbuchs (StGB) können wir daher getrost abhaken. Und damit das gerichtliche Strafrecht als Ganzes.

Für die Frage des Toilettenbesuchs in weiterer Folge entscheidend ist der Begriff des öffentlichen Anstands und der Verletzung desselben. Dieser gehört ins Rechtsgebiet des Ortspolizeirechts und ist durch Landesgesetz geregelt.

Typische Anstandsverletzungen sind oder waren früher beispielsweise:
  • Nacktbaden beider Geschlechter oder Oben-ohne-Baden von Frauen,
  • gemeinsames Baden von Männern und Frauen,
  • öffentliches Verrichten des großen oder kleinen Geschäfts,
  • öffentlicher Austausch von Zärtlichkeiten gleichgeschlechtlicher Paare oder auch nur deren Händchenhalten,
  • paarweises Tanzen von Personen gleichen Geschlechts,
  • zu kurze Rocklänge oder zu tiefes Dekolletée bei Frauen,
  • Übernachten eines unverheirateten Hetero-Paares im selben Zimmer eines Beherbergungsbetriebs,
  • Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen bzw. "öffentliche Trunkenheit",
  • lautstarkes, vulgäres Schimpfen und obszöne Gesten in der Öffentlichkeit.
Man merkt, einiges davon ist heute noch aktuell und kontroversiell (öffentlicher Alkoholkonsum, Urinieren auf öffentlichen Plätzen), manches ist durch die gesellschaftliche Entwicklung überholt, anderes inzwischen ausdrücklich legalisiert.

Der Tatbestand der "Anstandsverletzung" ist, mit kleineren Abweichungen, in den jeweiligen Landesgesetzen (Landes-Polizeigesetzen, Landes-Sicherheitsgesetzen, Landes-Polizeistrafgesetzen) geregelt, gemeinsam mit Sachen wie Ausübung der Prostitution, Ehrenkränkungen (nicht-öffentlichen, insbesondere brieflichen Schmähungen) und störender Lärmerregung.

Typisch für Anstandsverletzungen ist, dass hier auf das allgemeine "Sittlichkeitsempfinden" (oder ähnlich klingende Begriffe) Bezug genommen wird. Verboten (und strafbar) ist, was dagegen verstößt, dadurch "Anstand" (verständliche, allgemeine Empörung) erregt und daher als polizeilich zu beseitigender, das soziale Leben störender Missstand empfunden wird.

Nehmen wir als (Muster-) Beispiel das möglicherweise derzeit strengste einschlägige Landesgesetz, den 4. Abschnitt des Tiroler Landes-Polizeigesetzes, LGBl. Nr. 60/1976 in der geltenden Fassung:


Zitat:
4. Abschnitt

Wahrung des öffentlichen Anstandes

§ 11

Verbot


(1) Es ist verboten, den öffentlichen Anstand zu verletzen.

(2) Als Verletzung des öffentlichen Anstandes gilt jedes Verhalten, das einen groben Verstoß gegen die in der Öffentlichkeit zu beachtenden allgemein anerkannten Grundsätze der Schicklichkeit darstellt.

§ 12

Polizeiliche Maßnahmen


Die Behörde kann, um eine Verletzung des öffentlichen Anstandes zu beenden,

  1. Personen, die eine Verletzung des öffentlichen Anstandes verursachen, von einem öffentlichen Ort verweisen;

  2. Sachen abnehmen oder sicherstellen.

§ 13

Strafbestimmung


Wer den öffentlichen Anstand verletzt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 360,- Euro zu bestrafen.

Der zentrale Begriff hier sind die "allgemein anerkannten Grundsätze der Schicklichkeit". Was sich "schickt" ist in sozialer Hinsicht eine variable Größe. Diese kann örtlich verschieden sein und sich im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung verändern, wobei man nicht davon ausgehen darf, dass die Entwicklung stets zu immer größerer Freiheit und Freizügigkeit führen muss. Und was sich in der (Mittel-) Stadt Innsbruck oder im Schi-Tourismusort Sölden durchaus "schickt", kann in einer Dorfgemeinde abseits des Touristenstroms noch immer Anstand erregen.

Das Problem ist, dass man so unter Umständen erst an der Reaktion einer gewissen Zahl von Menschen auf das eigene Verhalten ermessen könnte, ob man "Anstand erregt" und sich damit eventuell strafbar gemacht hätte. Würde man daher rein auf den sozialen Effekt des Handelns an einem konkreten Ort abstellen, wären die einschlägigen Gesetze aus verschiedenen Gründen (Gleichheitssatz, Keine-Strafe-ohne-Gesetz-Grundsatz) verfassungswidrig. Daher verlangen die Höchstgerichte für die rechtliche Beurteilung der Strafbarkeit unter Berücksichtigung grundrechtlicher Prinzipien einen objektiven Maßstab:

Zitat:Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen. (Verwaltungsgerichtshof, Erkenntnis vom 15.09.2011, 2009/09/0154, RS1)

Eine einschlägige Entscheidung, die Bezug zu TG/CD hätte, ist mir nicht bekannt.

In Summe unser aller Erfahrungen in der Öffentlichkeit glaube ich ohne Wenn und Aber sagen zu können, dass im Jahr 2013 das Auftreten eines rechtlich als Mann geltenden Menschen in Frauenkleidern und mit femininem Erscheinungsbild objektiv jedenfalls keinen "groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat." Das aus den Grundrechten auf Meinungsfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit sowie aus einer Fundamentalbestimmung des Bürgerlichen Rechts ableitbare allgemeine Recht, eine selbstbestimmte Persönlichkeit zu sein ("Jeder Mensch hat angeborne, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten", § 16 Satz 1 ABGB), berechtigt meines Erachtens jeden Menschen, die Kleider zu tragen, die er für passend und richtig hält.

Dazu kommt, dass ein Trans-Mensch - und das ist eine Erfahrung, die ich als Tivi vor Gericht bezeugen könnte -, jedenfalls im groß- bis kleinstädtischen Milieu vielleicht ab und zu Aufmerksamkeit aber keinesfalls allgemeine Empörung zu erregen vermag. Und ich glaube nicht, dass die vielleicht in einem Dorf im hintersten Winkel Tirols noch geltenden besonders strikten Moralvorstellungen ausreichend sein können, um den vom Verwaltungsgerichtshof geforderten "objektiven Maßstab" dessen, was sich schickt, entsprechend eng zu machen.

Aber was gilt für die Frage der Toilettenbenutzung, darf man durch die zum Outfit passende Tür?

Hier betreten wir endgültig eine Grauzone, denn eine öffentliche Damentoilette muss wohl nach allgemeinem "Schicklichkeitsempfinden" nicht nur als Ort definiert werden, an dem man Stoffwechselabfälle ausscheidet und wegspült. Sie ist für Frauen auch ein intimer Rückzugsraum. Dort wechselt "frau", Bio-Frau natürlich, Hygieneartikel während ihrer Tage, frischt ihr Make-up auf und kann sich fremden Blicken entziehen. Dies gilt klarerweise für männliche Blicke. Folgerichtig ist es für eine TG hier die gefährlichste Situation, wenn bei einer Frau das Gefühl entsteht, ein "verkleideter Mann" versuche sich in diesen Rückzugsbereich einzuschleichen. In so einem Fall können Misstrauen und Verdachts-Assoziationen (ein Sittenstrolch, ein Voyeur, ein Perverser?) die Folgen sein.

Ganz besonders heikel wird die Situation aus sozialer und psychologischer Sicht dann, wenn ein Kind, ein Mädchen, mit weiblicher Begleitung anwesend ist. Das eventuelle Misstrauen in Kombination mit Beschützerinstinkten kann zu unvorhersehbaren Reaktionen führen.

Heißt das nun, dass ich als TG, als Mann meinen Papieren und meiner amtlichen Identität nach, durch dieses Eindringen in einen weiblichen Rückzugsbereich den Anstand verletzt und mich dadurch strafbar gemacht habe?

Meiner Ansicht nach ist dies zu verneinen. Denn in der österreichischen Rechtsordnung ist seit dem Fall des Operationszwanges das Geschlecht keine Frage der genetischen oder genitalen Ausstattung mehr sondern eine rechtliche Kategorisierung, die von sozialen Realitäten ausgeht. Dies muss meiner Meinung nach auch bei Beurteilung der Frage, was "sich schickt", ins Kalkül gezogen werden. Eine Bio-Frau muss heute damit rechnen, dass die Benutzerin der Nachbarkabine rein äußerlich über ein männliches Genital verfügt, was auch immer in ihren Papieren stehen mag. Würde man rein nach der genitalen Ausstattung urteilen, wären Prä-OP-Transfrauen ohne PÄ außerdem gesetzlich und aus Gründen des Anstands verpflichtet, ebenfalls die Herrentoilette zu benutzen, da sie, rein rechtlich betrachtet, nichts von Tivis unterscheidet.

Daraus folgt, dass ich mich keiner Anstandsverletzung schuldig mache, wenn ich als "amtlicher" Mann in Frauenkleidern und mit femininem Erscheinungsbild eine Damentoilette benütze.

Natürlich muss ich den Hinweis anbringen, dass diese Frage nicht ausjudiziert ist, und sich das Gesetz denkmöglich auch strenger auslegen lässt. Und vor allem: Nur wer keinen Anstand erregt ( --> Passing), kann sich vor dem Vorwurf einer Anstandsverletzung weitgehend sicher fühlen.

Abschließend daher zur Erinnerung ein paar praktische Empfehlungen zur Sache:
  1. Ruhe, Höflichkeit und gepflegtes, dem Ort angemessenes Aussehen sind immer gut!
  2. Auf Damentoiletten heißt es viel häufiger warten und sich anstellen, das ist Teil der Übung, und wer hier kehrtmacht und aufs Männerklo ausweicht schadet seiner Sache!
  3. Keine unnötigen Aufenthalte, kein verdächtiges "Herumlungern"!
  4. Wenn man von anderen Frauen "durchschaut" wird, Ruhe bewahren, lächeln.
  5. Wenn man Stirnrunzeln oder gar empörte Äußerungen wahrnimmt, besser vorsichtig den Rückzug antreten.
  6. Jeder Streit und jede Diskussion sind zu vermeiden, denn sie schrauben das eigene Passing (Stimme!) möglicherweise entscheidend herunter und machen für das Gegenüber aus einem Zweifelsfall einen klaren Fall von "Mann auf dem Damenklo"!
  7. Frauen mit Kindern nach Möglichkeit ausweichen.
Sollte es zu einem recht unwahrscheinlichen Zwischenfall kommen, etwa jemand einen Türsteher, den privaten Sicherheitsdienst oder gar die Polizei rufen, würde ich im Fall, dass ich es mit Privaten zu tun habe, einfach ruhig darauf hinweisen, nur auf dem Klo gewesen zu sein oder mir die Nase gepudert zu haben. Fragen danach, ob ich eine Frau oder ein Mann bin, würde ich nicht beantworten. Niemand ist einer Privatperson darüber Rechenschaft schuldig! Einem Polizeibeamten oder einer Polizeibeamtin würde ich hingegen einen Ausweis zeigen, klar deklarieren, dass ich amtlich ein Mann und ein/e TG/Tivi bin, und nachdrücklich darauf hinweisen, was ich gemacht habe ("Bin nur auf dem Klo gewesen oder habe mir...etc."), also nicht Anderes als das, was alle Frauen dort machen.

Wenn man es ruhig erklärt, dann war's das mit höchster Wahrscheinlichkeit auch schon.
- Sag' Du mir, in welche Schublade ich passe! Wave   -
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Welche Seite ist "richtig"? WC-Benützung durch Trans-Menschen - von Mike-Tanja - 13.02.2014, 17:43

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