Ein Transmann mit ungewöhnlicher Geschichte (Vorsicht, lang!)
Ein Transmann mit ungewöhnlicher Geschichte (Vorsicht, lang!)
Beitrag #1
Hallo allerseits,

ich möchte vorausschicken, dass "Tim" mein vorläufiger Name ist. Er gefällt mir sehr, aber ich weiß noch nicht, ob ich ihn mein Leben lang haben möchte.

Ich bin über 40, lebe im Norden Österreichs und weiß noch nicht lange, dass ich ein Transmann bin. Ich bin mir auch noch nicht 100%ig sicher - ich weiß nur, dass ich mich nicht wie eine Frau fühle.
Der Weg zu dieser Erkenntnis war ein sehr ungewöhnlicher, und manchmal weiß ich nicht, ob ich dankbar sein soll oder nicht.

Ich war eigentlich vom Gefühl her immer schon mehr ein Junge. Matchbox-Autos, Cowboy & Indianer (bloß keine Squaw sein!!), Fußball. Keine Röcke, keine Puppen.
Kurz vor der Pubertät steckte ich mir im Freibad eine kleine Spielfigur vorne in die Badehose, denn ich wollte einen Penis.
Meine erwachende "Weiblichkeit" (sprich: die Pubertät) hieß ich eher widerwillig willkommen. Beim Lesen von Liebesromanen identifizierte ich mich immer mit der männlichen Hauptfigur. Irgendwann, nachdem ich kurz zweimal einen Freund gehabt hatte, dämmerte mir dann: okay, ich bin lesbisch. Das damit verbundene Coming Out war nicht immer einfach aber mir schien mein Weg vorgezeichnet. Ich würde als Frau mit einer Frau zusammen sein. Etwas anderes kam mir eigentlich nicht in den Sinn.

Nun mache ich einen großen Zeitsprung.
2012. Ich erkrankte an Brustkrebs. Riesenschock, wie man sich vorstellen kann. Ich bewältigte jedoch die präoperative Chemotherapie sehr gut. Man hatte mir auch schon am Anfang gesagt, dass man die betroffene Brust (rechts) mastektomieren müsste. Darauf habe ich sehr abgeklärt reagiert, so nach dem Motto: "Das Leben ist wichtiger als eine Brust". Es war von Anfang an kein Problem für mich. Im Anschluss erholte ich mich gut, nur wurde meine Asymmetrie zum Problem... ich bekam Schulter- und Rückenschmerzen von der Prothese, die ich trug (da ich eine große Brust hatte, war die dementsprechend groß und schwer), und bald entschied ich, mich einer prophylaktischen bzw. anpassenden zweiten Mastektomie zu unterziehen.
Und das war dann der erste Schlüsselmoment, im Nachhinein gesehen.
Ich weiß noch gut, wie ich kurz nach der OP zum ersten Mal "flach" im Krankenhaus umherspazierte. Es ging mir unwahrscheinlich gut. Heute ist mir klar - ich war glücklich! Ich war eine Frau mit zwei großen Narben auf dem Brustkorb... und mir hüpfte das Herz.
Aber damals dachte ich noch, dass es mir nur um die Erleichterung ging, keine "Gewichte" mehr herumschleppen zu müssen.

Nicht lange danach hatte ich eine PVA-Untersuchung wegen eines Bescheides. Ich geriet an eine unsensible Ärztin, die - kaum dass ich 30 Sekunden im Raum war - mir auch noch die unverschämte Frage stellte:
"Seit wann fühlen Sie sich dem anderen Geschlecht zugehörig?"
Ich war geschockt - nein, erbost. Innerlich... denn äußerlich war ich wie versteinert. Stammelte irgendwas, dass das gar nicht stimme. Ich brachte den Termin schnell hinter mich und flüchtete. Danach rief ich eine Freundin an, heulte und beschwerte mich bitterlich über das Verhalten der Ärztin. Überlegte sogar kurz, sie bei der Ärztekammer anzuzeigen.
(Heute weiß ich übrigens, dass besagte Ärztin in einer Beratungsstelle für Sexualität - ihr Schwerpunkt: Transgender - arbeitet.)
Das Thema selber wischte ich fuchsteufelswild weg... das war ich nicht!

Im letzten Sommer nun ging ich durch eine harte Zeit. Ich sah mich im Spiegel mit meinen Narben und wusste nicht mehr, wer ich bin. Hatte ich es je gewusst? Weiß ich es jetzt?
Es folgte ein sehr schmerzhafter Prozess, als mir nach und nach klar wurde, was die Ärztin auf Anhieb erkannt hatte und was wahrscheinlich schon mein Leben lang auf der Hand lag:

Ich fühle mich wie ein Mann und ich möchte lieber ein Mann sein als eine Frau.

Das ist eigentlich alles, was ich weiß, und meine Schritte in dieses "neue" Leben sind noch tapsig und unschlüssig.
Manchmal denke ich, ich bin "nichts".
Aber auf jeden Fall lehne ich das Weibliche in mir ab und habe das mein ganzes Leben lang getan. Viele kleine Puzzleteilchen sind mir erst viel später klargeworden und haben sich zusammengefügt.

Im Moment hänge ich in der Luft. Ich weiß nämlich noch nicht, ob ich den Weg überhaupt gehen kann. Ich muss noch 2 Jahre lang wegen meiner Brustkrebserkrankung Medikamente nehmen, so dass ich im Wechsel bin, weil mein Körper kein Östrogen in den Eierstöcken mehr produziert.
Ich habe gegoogelt wie blöd, aber ich bin auf keinen einzigen Fall gestoßen, in dem eine Frau mit Brustkrebs später ein Mann wurde. Ich weiß nicht, ob das überhaupt geht, und ob ich dann nach 2018 einfach auf Testosteron "umschwenken" könnte oder ob Kontraindikationen bzgl. Brustkrebs gibt. Ich scheue mich im Moment noch, mit meinem Onkologen darüber zu reden - er ist die Vertretung meiner eigentlichen Onkologin, die derzeit in Karenz ist. Ich würde eigentlich lieber mit ihr darüber reden. Oder mit sonst jemandem, der sich auskennt.
Aber im Großen und Ganzen habe ich es jetzt nicht brennend eilig. Mein neues "Bewusstsein" muss sich ohnehin erst mal noch festigen.

Ich sollte noch erwähnen, dass ich eine Lebenspartnerin habe, die Bescheid weiß und die den Weg - egal welcher das sein wird - mit mir gehen möchte. Das tut natürlich unendlich gut.

Das ist erst mal alles für's Erste. Danke für's Lesen soweit, auch wenn's etwas länger geworden ist (aber ich hätte das beim besten Willen nicht in ein paar kurze Sätze kleiden können).

Ich würde mich über Kontakte zu anderen Transmännern in meinem ungefähren Alter freuen, aber natürlich ist mir ein allgemeiner Austausch sehr willkommen.

Liebe Grüße,
Tim
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RE: Ein Transmann mit ungewöhnlicher Geschichte (Vorsicht, lang!)
Beitrag #2
Hallo Tim

Ich bin zwar kein Transmann sondern eine Transfrau aber ich schreibe dir trotzdem kurz. Ich bin 2 Jahre jünger als du. Ich wusste zwar dass ich TS bin aber hab es lange verleugnet dann. Das mit deiner Tumorerkrankung ist natürlich schlimm aber dass es nach einer schweren Krise richtig "kommt" wenn ich es so bezeichnen darf ist nicht selten. Ich war schwer medikamentensüchtig, eine Folge unterdrückter Gefühle und da klopfte der Sensenmann schon an die Tür viel fehlte nicht. Der Entzug die Hölle. Nach überstandener Krise gings richtig los, die unterdrückten Gefühle sind gekommen so richtig. Letztes Jahr Outing und mach nun Angleichung. Psychisch geht's gut auch wenns nicht leicht ist aber wenn deine Partnerin mit dir den Weg geht ists schon viel wert. Es klingt jetzt zynisch aber wenn du keine Östrogene mehr hast ists auch ein Vorteil weil du keine Blocker benötigst aber HRT auf jeden Fall damit du keine Porose bekommst. Ich hab Testomangel wegen IS, auch angeboren. Ist nicht so ein schwerer Hintergrund aber brauch auch keine Blocker. Siehs nach hoffentlich überstandener schwerer Krankheit auch als Chance für neues Leben.

LG Ann Lie
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RE: Ein Transmann mit ungewöhnlicher Geschichte (Vorsicht, lang!)
Beitrag #3
Hallöchen Tim! Heart -lich Willkommen in unserer kleinen aber feinen Gemeinschaft!Was dir widerfahren ist tut mir schrecklich leid und ich hoffe das du in Zukunft dein Glück findest!

Für immer Böhse. 

Zitat

RE: Ein Transmann mit ungewöhnlicher Geschichte (Vorsicht, lang!)
Beitrag #4
Hi Tim!

Packende Geschichte, Dein Leben. Wünsch dir und Deiner Lieben alles Gute und natürlich sei Herzlich Willkommen!

Ich weiß nicht wie gut Dein englisch ist. Aber da findet Google schon einiges.

http://www.sciencedirect.com/science/art...0911001121
Zitat

RE: Ein Transmann mit ungewöhnlicher Geschichte (Vorsicht, lang!)
Beitrag #5
Hallo, herzlich willkommen und gesundheitlich alles Gute!  Smile
- Sag' Du mir, in welche Schublade ich passe! Wave   -
WWW
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RE: Ein Transmann mit ungewöhnlicher Geschichte (Vorsicht, lang!)
Beitrag #6
Hallo und herzlich willkommen.

LG
Um die Welt in einem Sandkorn zu sehn,
und den Himmel in einer wilden Blume,
halte die Unendlichkeit in deiner Hand
und die Stunde rückt in die Ewigkeit.

-= VERITAS VINCIT =-
WWW
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RE: Ein Transmann mit ungewöhnlicher Geschichte (Vorsicht, lang!)
Beitrag #7
Hallo Tim,
ich bin auch Transmann, allerdings etwas jünger (24) und viele der Gefühle, die du beschreibst, kommen mir sehr bekannt vor.
Was du da gesundheitsmäßig durchgemacht hast, tut mir sehr Leid! Aber gut, dass du das Schlimmste erstmal hinter dir zu haben scheinst.
Ich drück die Daumen, dass mit der Genesung alles klappt und du danach die Möglichkeit einer HRT haben kannst, wenn du das möchtest.
Alles Gute!
Zitat



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