Beitrag #1
24.01.2016, 17:06
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 24.01.2016, 17:31 von j-unique.)
Hey an alle,
Da ich hier im Forum ab und zu reinschaue und es einfach beruhigend ist zu wissen, dass man mit diesem Thema nicht (komplett) alleine ist, möchte ich mich hier nun auch kurz vorstellen und hoffen, dass mein Text nicht zu wirr ist und irgendjemand was (Positives) damit anfangen kann. Er ist leider sehr lang geworden und beinhaltet Themen, die das Gender-Thema nur am Rand berühren.
Ich bin ~ 30 Jahre und von der (Geschlechts-)Identität her fühle ich mich zwischen Frau und Mann (ich nenne es "dazwischen"). Das heißt für mich, dass ich einfach männliche und weibliche Merkmale aufweise und mich mit ihnen identifizieren kann, sowohl körperlich (Hormone, aber keine OP) als auch psychisch (egal ob ich "Mann" oder "Frau" im Formular ankreuze, es kommt mir einfach beides komisch und unpassend vor).
Ich bin genetisch XY und habe lange "als Mann gelebt", was auch immer das heißen mag: Meinen Körper mochte ich nie wirklich (wobei das ja nicht gerade tg-spezifisch ist) und ich habe mich selbst auch nie gern als Mann oder gar schwul bezeichnet (auch wenn mir diese Eigenschaften zugeschrieben wurden, weil ich eben einen Partner habe). Trotzdem habe ich die "Tatsache" und dass in meinem Ausweis M steht (was ja zwingend aus der Existenz männlicher Geschlechtsmerkmale folgt), zur Kenntnis genommen. Aussehen war eher abgefuckt, also stereotyp männlich auch wenn ich mich nicht explizit so gefühlt habe Über Geschlechterrollen oder sowas habe ich mir nie Gedanken gemacht.
Irgendwann (Anfang 2x Jahre) wurde ich zunehmend unglücklicher, zuerst ohne die Gründe nennen zu können. Ich begann mir in der Phantasie verschiedene Dinge vorzustellen, die sehr tröstlich waren: einen weiblichen/weiblicheren Körper zu haben (v.a. im Zusammenhang mit Sex, aber nicht nur), "Frauensachen" zu tragen, mich femininer zu stylen, weiblicher rüberzukommen (nicht sexuell) usw. Das waren anfangs Phantasien und ich habe versucht, die dann sexuell auszuleben (als "DWT/TV"). Das war nett (sexuell), aber nur ein schwacher Trost: erstens konnte hatte das keinen Einfluss auf das körperbezogene Unwohlbefinden, zweitens wollte ich eigentlich "immer" so sein, wie ich sein will/bin und nicht nur bei Sexdates. Also fasste ich eines Tages den Entschluss: Kein Verstecken mehr! Ich wollte versuchen zu leben wie ich will, und nicht wie es mir die Gesellschaft erlaubt oder vorschreibt!
Also begann ich mich einerseits für dieses Thema zu interessieren und mich aus verschiedenen Quellen zu informieren: Was heißt Geschlecht? Was heißt "als Mann leben" oder "als Frau leben"? Was davon wird sozial aufgrund bestimmter Verhaltensweisen zugewiesen, was aufgrund körperlicher Merkmale und welcher? Wie kommen diese Verhaltensweisen zustande ("angeboren" oder sozialisiert)? Gleichzeitig begann ich eine Psychotherapie (ich kannte schon jemanden von früher), um mich von meinen inneren Zwängen zu befreien. Die waren gewaltig: ich hatte extreme Scheu davor, Sachen zu tun, die Frauen "vorbehalten" sind (betrifft v.a. das Aussehen). Ich lernte den gesellschaftlichen Korrekturdruck ("Du bist Mann, tu was Männer tun und NICHT was Frauen tun!") als solchen zu erkennen (und durfte ihn natürlich auch öfter spüren). Ich lernte ihn aber nicht nur kennen, sondern auch zu verachten.
Eine Hauptfrage der Psychotherapie (die ich wie gesagt freiwillig und aus Überzeugung, dass sie mir helfen könnte, wichtige Fragen für mich selbst zu klären, gemacht habe, und nicht etwa weil ich mich als "krank" sehe) war: Hormone – ja oder nein? Kann ich einfach meine feminine Seite möglichst gut ausleben oder soll ich dem großen Wunsch nach körperlicher Veränderung nachgeben? Während ich dieser Frage nachging, begann ich meinen (glücklicherweise nicht soo stark vorhandenen) Bart wegzumachen (IPL, dann Nadelepilation), den Vornamen auf einen geschlechtsneutralen zu ändern (insgesamt ~ 1000 EUR für "Wunschname" und tw erniedrigende Behandlung am Standesamt, aber das werdet ihr ja kennen). Da mir auch meine Stimme immer unerträglicher wurde, begann ich mit auch angeleitetem Stimmtraining. (Die Stimme ist für mich bis heute ein wichtiger "Schlüssel" zur Identität. Ich mache auch Fortschritte und dafür, dass ich mir nicht vorstellen konnte, JEMALS nicht sofort von der Stimme als "eindeutig männlich" geoutet zu werden, geht es relativ gut. Aber ich weiß auch, dass es noch ziemlich viel Arbeit wird, das soweit zu perfektionieren, bis ich zufrieden bin. Was andere dann davon halten, sollte mir wohl egal sein.) Naja jedenfalls habe ich mich dann auch bezüglich Hormonen nach langem Überlegen DAFÜR entschieden. Mein Körper ist meine Sache (schnell gesagt, hat aber lange gedauert, das zu verinnerlichen), und warum sollte ich dieses Verlangen unterdrücken, unglücklich bleiben und mir das ein Leben lang vorwerfen? Nur weil es "normal" wäre?
Also Gutachten besorgen. Das klang zunächst einfach und ich war voller Vertrauen, auf verständnisvolle Ärzt*innen/Psycholog*innen zu treffen. Das klinisch-psychologische Gutachten war schnell erledigt, wenn auch mit leicht zweifelhaften Komponenten: nachdem ich wahrheitsgemäß meine Identität offen gelegt hatte, durfte ich mir anhören, dass die "Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht" ja durchaus nicht 100% gefühlt wäre (weil ich mich als dazwischen sehe). Mein Argument, dass ich ja wohl selber wissen würde, ob ich mir "das alles" antue, um eine HRT zu bekommen, hat aber gewirkt. Also alles in Ordnung. — Dann die psychiatrische "Begutachtung" (dieses Wort erinnert mich immer an einen Pferdemarkt; ich finde es bei Menschen eigentlich nicht angebracht). Wieder stand ich vertrauensvoll in der Praxis und begann zu erzählen. Ich war noch nie einem Psychiater gegenübergestanden und wusste nicht, wie sowas laufen kann. Ich wurde von intimen und unpassenden Fragen (nach Orgasmen, Partnern etc.) überrascht, bei leiser Kritik am dualen Geschlechtssystem der Gesellschaft als schwer soziophob bezeichnet. Verfolgungswahn wurde nicht ausgesprochen, aber in den Raum gestellt. Die Entscheidung, ob ich Hormone nehmen dürfte (!) oder nicht, wurde mir vollkommen abgenommen und als alleinige Kompetenz des Psychiaters hingestellt. Meine Behauptung, dass ich mit meinem Körper machen dürfte, was ich wolle und schon irgendwie dazu kommen würde, wurde als Manipulationsversuch gedeutet: ich versuche ihn zu manipulieren, um mir schwere und gefährliche Drogen (gemeint waren die Hormone) zu besorgen. Irgendwie habe ich es aber nach monatelanger Wartezeit (NACH diesem Termin!) doch geschafft, ein positives Gutachten zu bekommen. Die "Begutachtung" war ein traumatisches Erlebnis für mich, das mich wochenlang beschäftigt hat. In dieser Zeit habe ich mich aus persönlichen (Leute, die ich kenne, mit "Psychiatrieerfahrung") und anderen Quellen (auch denen der Psychiatrie selbst) weiter über die Psychiatrie, was sie ist und was sie treibt, informiert und bin zur (für mich) traurigen Erkenntnis gelangt, dass sie ein äußerst zweifelhafter und unwissenschaftlicher Teilbereich der Medizin ist und Machtverhalten, Einweisungen gegen den Willen der Betroffenen, Psychospielchen, Willens-Brechen bei Ungehorsam die Regel sind. Psychiater*innen werden hoheitliche Aufgaben übertragen und dürfen über Inhaftierung ("Unterbringung") und Folter (medikamentöse Zwangsbehandlung, Fesslung usw.) von Menschen entscheiden, ohne dabei irgendwie überwacht zu werden (die notwendige gerichtliche Zustimmung ist Formalakt). Natürlich gibt es auch Fälle, bei denen medikamentöse Behandlung Sinn macht und letztlich von den Betroffenen auch gewünscht wird. Trotzdem sind Psychiatrie und deren Systemangehörige für mich etwas, um das ich einen weiten Bogen mache und das empfehle ich auch allen anderen.
Nun ja, jedenfalls hatte ich dann alle Gutachten beisammen und der Rest war kein Problem: im AKH habe ich sehr nette und kompetente Betreuung (Danke!) und letztlich auch die Medikamente bekommen. Medizinisch ist alles in Ordnung.
Ich sehe mich übrigens nicht als geisteskranken Mann an, dem man zugesteht, zur Linderung seiner Symptome Hormone nehmen zu dürfen (natürlich nur falls ein Psychiater das gestattet). Meine Dazwischen-Identität berechtigt sich durch ihre Existenz selbst, und die Hormone sehe ich als Mittel, um meinen Körper so zu verändern, wie ich mich wohl fühle. Das ist freie persönliche Entwicklung und dazu brauche ich nicht persönlichkeitsgestört sein, auch wenn Amt und Psychiatrie das so sehen. Die HRT sehe ich nicht als psychiatrischen Gnaden- oder Behandlungsakt, sondern als Umsetzung meiner freien Lebensgestaltung. (Und ja, ich bin nicht darauf aus, dass die Krankenkasse das zahlt! Ich nehme es natürlich, aber das verlange ich nicht. Wobei die Krankenkasse ja nicht nur für Behandlungs-, sondern auch für Präventivkosten und Kosten andeer medizinische Umstände aufkommt [Geburt = Krankheit?].) Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich in meiner Psychotherapie wirklich positive Unterstützung erfahren habe und die pathologische Sichtweise dort klar abgelehnt wird. Für mich ist ein Großteil der "Geisteskrankheiten" nur ein Synonym für "gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten". Es unterliegt der ständigen gesellschaftlichen Definitionshoheit, was geisteskrank ist und was nicht – man braucht nur über die Frage nachzudenken, ob Gotteslästerung oder Homosexualität gestört ist und inwieweit das eine medizinische Fragestellung ist. Allein die bloße Fragestellung ist außerhalb des forschenden Kontexts nicht gerechtfertigt und diskriminierend und impft Betroffenen Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle ein (die zB ich immer noch habe, wenn auch mit sinkender Intensität).
In dem Zusammenhang finde ich es übrigens auch blöd, immer zwischen DWT/TV/"echter TS" unterscheiden zu müssen. Was bin ich? Androgyner MANN mit weiblichen Hormonen? TS? "Echte" TS? Oder bin ich vielleicht "unecht" (rhetorische Frage!)? Oder doch eine "Frau mit Männerkörper"? Unsinn… Ich glaube, es wäre wichtig, den Menschen mehr im Vordergrund zu sehen. Auf vielen Formularen, Ausweisen usw ist "Name: HERR/FRAU X Y" zu finden – nein, das ist nicht der Name! Das Geschlecht ist für die meisten Sachen unwichtig, daher fände ich es auch konsequent, es nur dort zu verlangen, wo es eine Rolle spielt, und dann auch andere Angaben als M und F zuzulassen. Meine sexuelle Orientierung ist übrigens pansexuell: ich durfte schon Männer, Frauen und Transgender-Leute kennenlernen, die ich sehr attraktiv finde. Primär steh ich zwar auf Männer (keine primitiven Primaten), aber ich mag auch Frauen (v.a. wenn sie etwas androgyner sind ) und "Dazwischen-Leute" (dachte ich früher nicht, bis ich einen solchen Typen getroffen habe, wow ). (Soviel zum "schwul" sein, das mir wegen "Mann-Sein" + Mann als Partner haben zugeschrieben wird.)
Im Moment (~ 4 Monate HRT) beschäftige ich mich damit, meinem Freundeskreis das "er" abzugewöhnen (bevorzugt auf geschlechtsneutrale Anrede/Sprache, wenn es um micht geht; zugegebenerweise schwierig, aber durchaus machbar; alternativ "sie") – eine schwierige Sache. Ich glaube auch deswegen, weil ich stylemäßig zwar bestimmte "feminine" Sachen (Nagellack und Makeup, bevorzugt schwarz ) mag, davon abgesehen aber eher androgyn bis sogar "männlich" unterwegs bin (was mir durchaus gefällt). Es gibt schon femininere Sachen, die mir gefallen würden, aber da muss ich noch etwas Selbstverständlichkeit aufbauen, bis ich mich das "traue" (= ohne allzugroße Angst vor ständigem Korrekturdruck "Ist das ein Mann oder eine Frau?? Ich glaub doch ein Mann oder?!" rumlaufen zu können). Eigentlich könnte man von Freunden ja Unterstützung erwarten, aber bis auf meinen Partner (!!) ist es eher ein Kampf. Mal sehen, was draus wird und wer letztlich übrig bleibt …
An Personenstandsänderung habe ich früher nie gedacht (weil es mir egal war), aber da gewisse Sachen langsam sichtbar werden komme ich mir langsam schon blöd vor, mich überall als "Mann" zu bezeichnen – und man muss das ja ständig tun. Ihr kennt das ja, bei jedem Online-Kauf ist die allerwichtigste und erste Frage im Formular: Mann oder Frau? Aber auch bei jedem Uni-, Amts-, Kundenkontakt … daher denke ich langsam wirklich ernsthaft über PÄ nach. Andererseits halten mich wohl die meisten Leute für einen Mann (vermutlich wegen Style, siehe oben ; wobei der gleiche Style bei einer "echten Frau" wohl nicht dazu führen würde, dass man sie für einen Mann hält). Naja, von meiner Identität und Überzeugung her ist sowieso "M" und "F" falsch (richtig wäre "X"), aber wenn ich mich schon in eine falsche Kategorie einteilen lassen muss, wäre mir "F" wohl lieber als "M". Wird noch schwierig …
Beruflich habe ich es relativ gut erwischt, da ich nicht sehr abhängig bin und das Thema dort daher keine Rolle spielt. Wobei ich es bezeichnend finde, dass bei geschlechtsneutralem Namen im Alltag eher von einer Frau ausgegangen wird, im technischen Kontext aber SELBSTVERSTÄNDLICH ist, dass es sich um einen Mann handeln muss.
So, ihr habt es überstanden Wie gesagt, ich hoffe, dass irgendjemand was damit anfangen kann, eigene Verhaltensmuster oder Probleme wiedererkennt und vielleicht froh ist, dass es nicht nur ihm/ihr so geht. Diskutiere auch gerne darüber.
An alle die das gelesen haben liebe Grüße und die Hoffnung, dass ihnen und ihren Angehörigen möglichst keine Probleme durch persönliche Merkmale wie der Geschlechtsidentität entstehen (ach ja und Weltfrieden…),
j-unique
Da ich hier im Forum ab und zu reinschaue und es einfach beruhigend ist zu wissen, dass man mit diesem Thema nicht (komplett) alleine ist, möchte ich mich hier nun auch kurz vorstellen und hoffen, dass mein Text nicht zu wirr ist und irgendjemand was (Positives) damit anfangen kann. Er ist leider sehr lang geworden und beinhaltet Themen, die das Gender-Thema nur am Rand berühren.
Ich bin ~ 30 Jahre und von der (Geschlechts-)Identität her fühle ich mich zwischen Frau und Mann (ich nenne es "dazwischen"). Das heißt für mich, dass ich einfach männliche und weibliche Merkmale aufweise und mich mit ihnen identifizieren kann, sowohl körperlich (Hormone, aber keine OP) als auch psychisch (egal ob ich "Mann" oder "Frau" im Formular ankreuze, es kommt mir einfach beides komisch und unpassend vor).
Ich bin genetisch XY und habe lange "als Mann gelebt", was auch immer das heißen mag: Meinen Körper mochte ich nie wirklich (wobei das ja nicht gerade tg-spezifisch ist) und ich habe mich selbst auch nie gern als Mann oder gar schwul bezeichnet (auch wenn mir diese Eigenschaften zugeschrieben wurden, weil ich eben einen Partner habe). Trotzdem habe ich die "Tatsache" und dass in meinem Ausweis M steht (was ja zwingend aus der Existenz männlicher Geschlechtsmerkmale folgt), zur Kenntnis genommen. Aussehen war eher abgefuckt, also stereotyp männlich auch wenn ich mich nicht explizit so gefühlt habe Über Geschlechterrollen oder sowas habe ich mir nie Gedanken gemacht.
Irgendwann (Anfang 2x Jahre) wurde ich zunehmend unglücklicher, zuerst ohne die Gründe nennen zu können. Ich begann mir in der Phantasie verschiedene Dinge vorzustellen, die sehr tröstlich waren: einen weiblichen/weiblicheren Körper zu haben (v.a. im Zusammenhang mit Sex, aber nicht nur), "Frauensachen" zu tragen, mich femininer zu stylen, weiblicher rüberzukommen (nicht sexuell) usw. Das waren anfangs Phantasien und ich habe versucht, die dann sexuell auszuleben (als "DWT/TV"). Das war nett (sexuell), aber nur ein schwacher Trost: erstens konnte hatte das keinen Einfluss auf das körperbezogene Unwohlbefinden, zweitens wollte ich eigentlich "immer" so sein, wie ich sein will/bin und nicht nur bei Sexdates. Also fasste ich eines Tages den Entschluss: Kein Verstecken mehr! Ich wollte versuchen zu leben wie ich will, und nicht wie es mir die Gesellschaft erlaubt oder vorschreibt!
Also begann ich mich einerseits für dieses Thema zu interessieren und mich aus verschiedenen Quellen zu informieren: Was heißt Geschlecht? Was heißt "als Mann leben" oder "als Frau leben"? Was davon wird sozial aufgrund bestimmter Verhaltensweisen zugewiesen, was aufgrund körperlicher Merkmale und welcher? Wie kommen diese Verhaltensweisen zustande ("angeboren" oder sozialisiert)? Gleichzeitig begann ich eine Psychotherapie (ich kannte schon jemanden von früher), um mich von meinen inneren Zwängen zu befreien. Die waren gewaltig: ich hatte extreme Scheu davor, Sachen zu tun, die Frauen "vorbehalten" sind (betrifft v.a. das Aussehen). Ich lernte den gesellschaftlichen Korrekturdruck ("Du bist Mann, tu was Männer tun und NICHT was Frauen tun!") als solchen zu erkennen (und durfte ihn natürlich auch öfter spüren). Ich lernte ihn aber nicht nur kennen, sondern auch zu verachten.
Eine Hauptfrage der Psychotherapie (die ich wie gesagt freiwillig und aus Überzeugung, dass sie mir helfen könnte, wichtige Fragen für mich selbst zu klären, gemacht habe, und nicht etwa weil ich mich als "krank" sehe) war: Hormone – ja oder nein? Kann ich einfach meine feminine Seite möglichst gut ausleben oder soll ich dem großen Wunsch nach körperlicher Veränderung nachgeben? Während ich dieser Frage nachging, begann ich meinen (glücklicherweise nicht soo stark vorhandenen) Bart wegzumachen (IPL, dann Nadelepilation), den Vornamen auf einen geschlechtsneutralen zu ändern (insgesamt ~ 1000 EUR für "Wunschname" und tw erniedrigende Behandlung am Standesamt, aber das werdet ihr ja kennen). Da mir auch meine Stimme immer unerträglicher wurde, begann ich mit auch angeleitetem Stimmtraining. (Die Stimme ist für mich bis heute ein wichtiger "Schlüssel" zur Identität. Ich mache auch Fortschritte und dafür, dass ich mir nicht vorstellen konnte, JEMALS nicht sofort von der Stimme als "eindeutig männlich" geoutet zu werden, geht es relativ gut. Aber ich weiß auch, dass es noch ziemlich viel Arbeit wird, das soweit zu perfektionieren, bis ich zufrieden bin. Was andere dann davon halten, sollte mir wohl egal sein.) Naja jedenfalls habe ich mich dann auch bezüglich Hormonen nach langem Überlegen DAFÜR entschieden. Mein Körper ist meine Sache (schnell gesagt, hat aber lange gedauert, das zu verinnerlichen), und warum sollte ich dieses Verlangen unterdrücken, unglücklich bleiben und mir das ein Leben lang vorwerfen? Nur weil es "normal" wäre?
Also Gutachten besorgen. Das klang zunächst einfach und ich war voller Vertrauen, auf verständnisvolle Ärzt*innen/Psycholog*innen zu treffen. Das klinisch-psychologische Gutachten war schnell erledigt, wenn auch mit leicht zweifelhaften Komponenten: nachdem ich wahrheitsgemäß meine Identität offen gelegt hatte, durfte ich mir anhören, dass die "Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht" ja durchaus nicht 100% gefühlt wäre (weil ich mich als dazwischen sehe). Mein Argument, dass ich ja wohl selber wissen würde, ob ich mir "das alles" antue, um eine HRT zu bekommen, hat aber gewirkt. Also alles in Ordnung. — Dann die psychiatrische "Begutachtung" (dieses Wort erinnert mich immer an einen Pferdemarkt; ich finde es bei Menschen eigentlich nicht angebracht). Wieder stand ich vertrauensvoll in der Praxis und begann zu erzählen. Ich war noch nie einem Psychiater gegenübergestanden und wusste nicht, wie sowas laufen kann. Ich wurde von intimen und unpassenden Fragen (nach Orgasmen, Partnern etc.) überrascht, bei leiser Kritik am dualen Geschlechtssystem der Gesellschaft als schwer soziophob bezeichnet. Verfolgungswahn wurde nicht ausgesprochen, aber in den Raum gestellt. Die Entscheidung, ob ich Hormone nehmen dürfte (!) oder nicht, wurde mir vollkommen abgenommen und als alleinige Kompetenz des Psychiaters hingestellt. Meine Behauptung, dass ich mit meinem Körper machen dürfte, was ich wolle und schon irgendwie dazu kommen würde, wurde als Manipulationsversuch gedeutet: ich versuche ihn zu manipulieren, um mir schwere und gefährliche Drogen (gemeint waren die Hormone) zu besorgen. Irgendwie habe ich es aber nach monatelanger Wartezeit (NACH diesem Termin!) doch geschafft, ein positives Gutachten zu bekommen. Die "Begutachtung" war ein traumatisches Erlebnis für mich, das mich wochenlang beschäftigt hat. In dieser Zeit habe ich mich aus persönlichen (Leute, die ich kenne, mit "Psychiatrieerfahrung") und anderen Quellen (auch denen der Psychiatrie selbst) weiter über die Psychiatrie, was sie ist und was sie treibt, informiert und bin zur (für mich) traurigen Erkenntnis gelangt, dass sie ein äußerst zweifelhafter und unwissenschaftlicher Teilbereich der Medizin ist und Machtverhalten, Einweisungen gegen den Willen der Betroffenen, Psychospielchen, Willens-Brechen bei Ungehorsam die Regel sind. Psychiater*innen werden hoheitliche Aufgaben übertragen und dürfen über Inhaftierung ("Unterbringung") und Folter (medikamentöse Zwangsbehandlung, Fesslung usw.) von Menschen entscheiden, ohne dabei irgendwie überwacht zu werden (die notwendige gerichtliche Zustimmung ist Formalakt). Natürlich gibt es auch Fälle, bei denen medikamentöse Behandlung Sinn macht und letztlich von den Betroffenen auch gewünscht wird. Trotzdem sind Psychiatrie und deren Systemangehörige für mich etwas, um das ich einen weiten Bogen mache und das empfehle ich auch allen anderen.
Nun ja, jedenfalls hatte ich dann alle Gutachten beisammen und der Rest war kein Problem: im AKH habe ich sehr nette und kompetente Betreuung (Danke!) und letztlich auch die Medikamente bekommen. Medizinisch ist alles in Ordnung.
Ich sehe mich übrigens nicht als geisteskranken Mann an, dem man zugesteht, zur Linderung seiner Symptome Hormone nehmen zu dürfen (natürlich nur falls ein Psychiater das gestattet). Meine Dazwischen-Identität berechtigt sich durch ihre Existenz selbst, und die Hormone sehe ich als Mittel, um meinen Körper so zu verändern, wie ich mich wohl fühle. Das ist freie persönliche Entwicklung und dazu brauche ich nicht persönlichkeitsgestört sein, auch wenn Amt und Psychiatrie das so sehen. Die HRT sehe ich nicht als psychiatrischen Gnaden- oder Behandlungsakt, sondern als Umsetzung meiner freien Lebensgestaltung. (Und ja, ich bin nicht darauf aus, dass die Krankenkasse das zahlt! Ich nehme es natürlich, aber das verlange ich nicht. Wobei die Krankenkasse ja nicht nur für Behandlungs-, sondern auch für Präventivkosten und Kosten andeer medizinische Umstände aufkommt [Geburt = Krankheit?].) Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich in meiner Psychotherapie wirklich positive Unterstützung erfahren habe und die pathologische Sichtweise dort klar abgelehnt wird. Für mich ist ein Großteil der "Geisteskrankheiten" nur ein Synonym für "gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten". Es unterliegt der ständigen gesellschaftlichen Definitionshoheit, was geisteskrank ist und was nicht – man braucht nur über die Frage nachzudenken, ob Gotteslästerung oder Homosexualität gestört ist und inwieweit das eine medizinische Fragestellung ist. Allein die bloße Fragestellung ist außerhalb des forschenden Kontexts nicht gerechtfertigt und diskriminierend und impft Betroffenen Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle ein (die zB ich immer noch habe, wenn auch mit sinkender Intensität).
In dem Zusammenhang finde ich es übrigens auch blöd, immer zwischen DWT/TV/"echter TS" unterscheiden zu müssen. Was bin ich? Androgyner MANN mit weiblichen Hormonen? TS? "Echte" TS? Oder bin ich vielleicht "unecht" (rhetorische Frage!)? Oder doch eine "Frau mit Männerkörper"? Unsinn… Ich glaube, es wäre wichtig, den Menschen mehr im Vordergrund zu sehen. Auf vielen Formularen, Ausweisen usw ist "Name: HERR/FRAU X Y" zu finden – nein, das ist nicht der Name! Das Geschlecht ist für die meisten Sachen unwichtig, daher fände ich es auch konsequent, es nur dort zu verlangen, wo es eine Rolle spielt, und dann auch andere Angaben als M und F zuzulassen. Meine sexuelle Orientierung ist übrigens pansexuell: ich durfte schon Männer, Frauen und Transgender-Leute kennenlernen, die ich sehr attraktiv finde. Primär steh ich zwar auf Männer (keine primitiven Primaten), aber ich mag auch Frauen (v.a. wenn sie etwas androgyner sind ) und "Dazwischen-Leute" (dachte ich früher nicht, bis ich einen solchen Typen getroffen habe, wow ). (Soviel zum "schwul" sein, das mir wegen "Mann-Sein" + Mann als Partner haben zugeschrieben wird.)
Im Moment (~ 4 Monate HRT) beschäftige ich mich damit, meinem Freundeskreis das "er" abzugewöhnen (bevorzugt auf geschlechtsneutrale Anrede/Sprache, wenn es um micht geht; zugegebenerweise schwierig, aber durchaus machbar; alternativ "sie") – eine schwierige Sache. Ich glaube auch deswegen, weil ich stylemäßig zwar bestimmte "feminine" Sachen (Nagellack und Makeup, bevorzugt schwarz ) mag, davon abgesehen aber eher androgyn bis sogar "männlich" unterwegs bin (was mir durchaus gefällt). Es gibt schon femininere Sachen, die mir gefallen würden, aber da muss ich noch etwas Selbstverständlichkeit aufbauen, bis ich mich das "traue" (= ohne allzugroße Angst vor ständigem Korrekturdruck "Ist das ein Mann oder eine Frau?? Ich glaub doch ein Mann oder?!" rumlaufen zu können). Eigentlich könnte man von Freunden ja Unterstützung erwarten, aber bis auf meinen Partner (!!) ist es eher ein Kampf. Mal sehen, was draus wird und wer letztlich übrig bleibt …
An Personenstandsänderung habe ich früher nie gedacht (weil es mir egal war), aber da gewisse Sachen langsam sichtbar werden komme ich mir langsam schon blöd vor, mich überall als "Mann" zu bezeichnen – und man muss das ja ständig tun. Ihr kennt das ja, bei jedem Online-Kauf ist die allerwichtigste und erste Frage im Formular: Mann oder Frau? Aber auch bei jedem Uni-, Amts-, Kundenkontakt … daher denke ich langsam wirklich ernsthaft über PÄ nach. Andererseits halten mich wohl die meisten Leute für einen Mann (vermutlich wegen Style, siehe oben ; wobei der gleiche Style bei einer "echten Frau" wohl nicht dazu führen würde, dass man sie für einen Mann hält). Naja, von meiner Identität und Überzeugung her ist sowieso "M" und "F" falsch (richtig wäre "X"), aber wenn ich mich schon in eine falsche Kategorie einteilen lassen muss, wäre mir "F" wohl lieber als "M". Wird noch schwierig …
Beruflich habe ich es relativ gut erwischt, da ich nicht sehr abhängig bin und das Thema dort daher keine Rolle spielt. Wobei ich es bezeichnend finde, dass bei geschlechtsneutralem Namen im Alltag eher von einer Frau ausgegangen wird, im technischen Kontext aber SELBSTVERSTÄNDLICH ist, dass es sich um einen Mann handeln muss.
So, ihr habt es überstanden Wie gesagt, ich hoffe, dass irgendjemand was damit anfangen kann, eigene Verhaltensmuster oder Probleme wiedererkennt und vielleicht froh ist, dass es nicht nur ihm/ihr so geht. Diskutiere auch gerne darüber.
An alle die das gelesen haben liebe Grüße und die Hoffnung, dass ihnen und ihren Angehörigen möglichst keine Probleme durch persönliche Merkmale wie der Geschlechtsidentität entstehen (ach ja und Weltfrieden…),
j-unique
Das Leben ist eine Komödie und wir sind die Clowns.