Beitrag #41
11.06.2012, 14:03
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 11.06.2012, 19:01 von Mike-Tanja.)
(11.06.2012, 08:29)Sarah-Michelle schrieb: Frage: nach welcher Qualifikation soll/darf es Verwaltungsbeamten moeglich sein eine Position zu beziehen, ob jemand m oder w ist bzw aussieht.
Verfahrensrechtlich kommen hier zwei Beweismittel in Betracht (nicht vergesssen: im Verwaltungsverfahrensrecht ist der Katalog der Beweismittel nicht abschließend-taxativ; gemäß § 46 AVG "kommt alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist"):
- der Beweis durch Augenschein (mit oder ohne Mitwirkung einer/eines Sachverständigen, § 54 AVG),
- der Sachverständigenbeweis (§ 52 AVG).
ad 2. Ein Sachverständigenbeweis besteht schulmäßig aus Befund (Untersuchungen, Anamnese, Tatsachenfeststellung) und Gutachten, das sind die, je nach Fragestellung der Behörde, daraus zu ziehenden fachlichen Schlussfolgerungen. Für ein Sachverständigengutachten wird Fachwissen verlangt, ein Studium, eine einschlägige Ausbildung und/oder längere berufliche Praxis.
Soll das genderrelevante Erscheinungsbild eines Menschen (also nicht der Hormonspiegel!) in seriöser Weise fachlich begutachtet werden - was ich im Grunde für Unsinn halte -, dann wären sicher wissenschaftliche Kriterien und Methoden heranzuziehen: Gesichtsform, Skelett-, Muskel- und Brustentwicklung, Waist-Hip-Ratio, Haut- und Haartyp, Bewegungsabläufe, Haardichte, Stimmhöhe und -modulation - fällt noch wem was ein? Man merkt schon: Overkill in Reinkultur! Damit könnte man drei bis vier Fachmenschen, z.B. Mediziner/innen, Anthropolog/inn/en, Logopäd/inn/en und Phonetiker/innen, beschäftigen. Kostet bloß mordsmäßig viel Geld, dauert lange, und das Gutachten wäre m.E. für das juristisch zu wertende Verfahrensergebnis genauso relevant (oder irrelevant) wie der Satz "Die Antragstellerin trägt einen Rock und hinterlässt einen femininen Eindruck" in der Niederschrift über Augenschein und Parteienvernehmung durch die Standesbeamtin in Köflach, Weststeiermark!
Wir reden hier nämlich stets über das, was ich gerne "Alibigutachten" nenne. Dabei wird im Grunde gar nichts mit "höherwertigen" Methoden erkundet und festgestellt. Die Behörde möchte nur ein Papier mit der Unterschrift einer/eines Dr.med/Mag.phil./Dr.tech/Prof.univ. etc., um "abgesichert" zu sein. Aber die Behörde nimmt ja auch keinen Beweis drüber auf, ob Oma (flachbrüstig, Damenbart) tatsächlich eine Frau ist, ein Baum eine Pflanze ist, oder man einen VW-Golf vom technisch-fachlichen Standpunkt her als "Personenkraftwagen" bezeichnen kann. Das weiß man einfach, aus dem Bauch oder der Erfahrung raus. Im TG-Bereich gibt's (noch) eine gewisse Unsicherheit. Nur deswegen müssen wir uns damit überhaupt herumschlagen.
Ich schlage einfach vor, den Sachverständigenbeweis möglichst auf Fälle zu beschränken, in denen den Standesbeamt/inn/en das Bauchgefühl nicht reicht, um dem Antrag sofort stattzugeben, bei einem Antrag von Conchita Wurst etwa.
Bevor Angelika jetzt gleich wieder vor "Beamtenwillkür" warnen wird, ein Wort einer praxiserfahrenen Juristin: das kontroversielle Ergebnis eines Augenscheinsbeweises kann man relativ leicht (etwa in einer Berufung) in Zweifel ziehen. Außerdem sitzt man dabei der/dem Betreffenden gegenüber, was psychologisch zum Konsens animiert, denn eine Niederschrift sollte die Partei ja auch unterschreiben. Wenn ein/e Amtssachverständige/r dagegen (in einem später irgendwann, husch-husch, schnell schriftlich verfassten oder hindiktierten Gutachten) einmal den Daumen gesenkt hat (und dabei nicht gerade gestümpert hat), ist ein Antrag in der Regel mausetot - und das durch alle Instanzen! Man tauscht lediglich das einfache Risiko von "Beamtenwillkür" gegen das viel größere von "wissenschaftlich verbrämter Beamtenwillkür" (denn auch die/der Amtsärztin/Amtsarzt arbeitet bei der oder für die Behörde).
Angelika wähnt sich hier sicher und setzt wohl auf den Sachverständigenbeweis, weil sie in Wien mit Dr.in Praschak-Rieder jemanden zur Verfügung hat, der tg-freundlich zu sein scheint. Das würde aber etwa den Landeshauptmann von Tirol (ÖVP) nicht daran hindern, jemanden mit starker TG-Skepsis namhaft zu machen - und das Innenministerium würde ihm dabei derzeit sicher nicht in die Parade fahren!
- Sag' Du mir, in welche Schublade ich passe! -