Beitrag #9
05.08.2014, 13:30
(05.08.2014, 10:36)Sopherl schrieb: Seitens der Familienrichter gibt es allerdings Bestrebungen das Verschuldensprinzip abzuschaffen und durch "objektive Kriterien" zu ersetzen. Für diese Reformgedanken der Richterschaft [... hier gekürzt ...]
Das sehen wohl nicht alle aus der Richterschaft so, wie der ggst. Fall uns lehrt.
Zitat: Warum der OGH einen neuen Verschuldensgrund, Täuschung durch verschwiegene Transsexualität, hinzugefügt hat, ist angesichts dieser Reformbestrebungen befremdend.
Am Rande bemerkt: Von Täuschung ist - zumindest in der OGH-Entscheidung - keine Rede.
Das Problem ist hier nicht beim OGH zu suchen, sondern im Teufel des Details der ständigen Rechtsprechung. Der OGH konnte gar nicht anders entscheiden, wollte er nicht die bisherige RSpr über den Haufen werfen, denn:
1. TS fällt nach gesicherter RSpr unter den Begriff "Krankheit", vgl. OGH 3Ob570/95, SZ 68/247; vgl. OGH 10ObS2303/96s, SZ 69/209.
2. OGH im ggst Fall:
Zitat: Dass die heterosexuell orientierte klagende Partei [hier: Die die Auflösung begehrende Cis-Ehefrau] ein Recht hatte, von diesen Umständen (selbst wenn sie nicht gesichert waren) zu erfahren, bewegt sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl RIS-Justiz RS0056356 zu einer Krankheit, deren medizinische Bedeutung dem Kranken nicht gänzlich bekannt ist).
3. Rechtssatz RS0056356:
Zitat: Es ist nicht notwendig, daß der kranke Verlobte die ganze medizinische Bedeutung seiner Krankheit kennt: er hat all sein Wissen um die Krankheit seinem Verlobten mitzuteilen. Tut er das nicht und ist das, was er selbst über die Krankheit weiß, doch so schwerwiegender Natur, daß der Verlobte, wenn er davon Kenntnis gehabt hätte, bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von deren Eingehung abgesehen hätte, dann trifft ihn ein Verschulden an der Aufhebung der Ehe.
Mal von dem möglicherweise gescheiterten oder unterbliebenen Versuch auf eine einvernehmliche Scheidung (siehe vorher in meiner Antwort an Mike-Tanja) abgesehen:
Der eigentliche Fehler im Streitverfahren begann bereits damit, dass seitens der beklagten Partei, sprich: der Transfrau, nicht die Aufhebung der Ehe an sich bekämpft und diese sohin in erster Instanz rechtskräftig wurde, sondern nur der - im Berufungsverfahren bekämpfte - zwangsläufig (RS0119589: "Bei einer Aufhebung einer Ehe nach § 35 EheG ist im Aufhebungsurteil von Amts wegen ein allfälliger Schuldausspruch aufzunehmen.") vom Erstgericht auszusprechende Verschuldensspruch.
Nur die Bekämpfung der Aufhebung der Ehe (§ 37 EheG, siehe bei Mike-Tanja zuvor zitiert) an sich wäre die einzige Möglichkeit gewesen, dem Verschuldensausspruch zu entgehen. Nur damit hätte sich eventuell erfolgreich durchjudizieren lassen können, dass TS zwar unter den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff fällt, eine Aufhebung nach EheG jedoch z.B. einer Diskriminierung aufgrund der gechlechtlichen Identität gleichkommt. Oder sonst irgend ein Rechtsgrund, der europäischer RSpr (EGMR) bzw. europäischen Richtlinien (EU, EP) der Aufhebung aufgrund TS entgegensteht.