Beitrag #16
24.09.2015, 21:52
(24.09.2015, 19:00)Eva_Tg schrieb: Mal eine ganz doofe Frage: Glaubst wirklich, du bist die erste die auf solche Ideen kommt?
Keine Ahnung. Im Ernst: An solches habe ich erstmal nicht gedacht, als ich dies als naiv-laienhafte Idee hingeschrieben habe.
Zitat:Falls es dich wirklich interessiert, es gibt unzählige Transsexuellen Verbände in Deutschland, die genau dieses Thema lang und breit durchgekaut haben und sehr viel Material dazu ins Netz gestellt haben. Und die Fragen wurden durchaus von Betroffenen mit Fachkenntnissen analysiert, ja es gibt wohl Transsexuelle mit einem Abschluss in Rechtswissenschaften.
Natürlich interessiert es mich wirklich. Das sollte aus meinen bisherigen Beiträgen durchaus herauszulesen sein.
Ich weiß ja nicht so genau wie es bei euch oben in DE ist.
Bei uns gab es auch einst so Sachen wie Scheidungszwang und Zwang zur gaOP um eine PStÄ zu bekommen; oder Schikanen wie teure Gutachten vor und für NÄ und PStÄ, sowie ein solches teures und unsinnig, weil die ganze Geschichte nacherzählendes Gutachten nach der gaOP von der (ausschließlich) Wiener Gerichtsmedizin, samt erniedrigender Fleischbeschau, ob Onkel Doktor auch wirklich seine Arbeit getan hat. Etc. pp.
Als ich ab Mitte der 90er-Jahre zu "predigen" begonnen habe,
* dass alle diese Schikanen sich über den Rechtsweg kippen lassen können,
* dass die unseligen, zwischenzeitlich von den Höchstgerichten kassierten Erlässe schlichtweg bloß Dienstanweisungen für die Beamten sind/waren und damit keine Rechtswirkung auf die betroffenen Personen haben und
* dass die Personenstandsbücher als quasi personenstandsrechtliche "Buchhaltung des Staates" nur nachziehende, aber nicht Rechtsstatus begründende Wirkung haben,
... ja, da haben mich alle mehr oder minder belächelt. Auch gestandene JuristInnen haben mir nicht geglaubt.
Und das heutige Ergebnis: Die Geschichte hat mir recht gegeben, dank einer Handvoll unerschrockener TS/TG, die es sich dann doch nicht mehr länger gefallen lassen und erfolgreich den Verwaltungsrechtsweg beschritten haben - mit den erfreulich gekippten Schikanen.
Hier nun mit Absicht ungekürzt:
Zitat:Nun lange Rede kurzer Sinn: Juristisch ist dem ganzen nicht beizukommen, solange weder Regierung noch Parlament Handlungsbedarf sehen.
Lass mich mal sehen, es gibt ca. 30 Urteile des Bundesverfassungsgerichts, in denen entschieden wurde das dieser oder jener Teil des TSG mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist; ferner enthalten die meisten dieser Urteile die dringende Empfehlung an die Bundesregierung das TSG zu reformieren oder neu zu verfassen.
Aber es erfolgt keine Reaktion, das Gesetz ist ein Schweizer Käse und beinahe jedes Jahr wird ein neues Loch reingeschossen. Es gibt keinerlei politischen Willen sich mit den Gesetz zu befassen. Und wenn jemand meint, ein Teil des Gesetzes schränkt seine Grundrechte ein, der Weg zum Verfassungsgericht steht ja offen. Und theoretisch kann dieses "Aussitzen" ewig so weiter gehen.
Um mal zu verdeutlichen für wie belanglos die Regierung dies Gesetz hält, die UN Kommission für Menschenrechte hat schon auf höflich, diplomatischen Wege kommuniziert, dass sie große Bedenken hat, dass das TSG in seiner aktuellen Form mit der Allgemeinen Erklärung des Menschenrechte vereinbar ist. Wie gesagt, keine Reaktion, das typische Aussitzen.
Also bleibt uns deutschen Transsexuellen nichts weiter übrig als weiter Klagen beim Verfassungsgericht einzureichen, aber dafür muss ja auch erstmal ein konkreter Fall von Verfassungbruch vorliegen. Zu sagen das Gesetz an sich beschränkt mich, reicht für keine Klage.
Oder wir warten bis sich vielleicht doch irgendwann eine politische Mehrheit findet, um das Gesetz zu reformieren. Nur wann soll das sein? Welche Partei interessiert sich schon ernsthaft für ein Gesetz, das nicht mal 1% der Bevölkerung betrifft? Ja, aktuell sitzen 3 Parteien im Bundestag, die hatten sich die Verbesserung der Situation der Transsexuellen ins Wahlprogramm geschrieben, aber das sind nur schöne Worte.
Es scheitert nicht an der Unfähigkeit der Betroffenen oder an den juristischen Mitteln, sondern am Desinteresse der Politiker.
Meine bescheidene Meinung:
Vergesst das Gesetz - ob das TSG mittlerweile durchlöchert ist, wie Schweizer Käse; ob es reformiert wird oder nicht: Niemand braucht ein derart TS/TG-hinderndes Gesetz. Diesem Irrtum waren wir hier in AT - so auch ich! - damals auch erlegen, ein TG-Gesetz a la eurem damals modernen und hoch gepriesenen TSG zu fordern.
Tatsache ist: Niemand braucht heutzutage noch ein solches Sondergesetz. Gebraucht werden TG-freundliche Bestimmungen in den normalen Gesetzen, wo sie zur Klärung von Problemfällen nötig sind. Denn umso mehr in einem Sondergesetz reglementiert ist, umso mehr davon muss dann aufwändig erst wieder weggeklagt werden.
In der heutigen aufgeklärten Welt braucht es keine pathologisierende Gesetze, in denen alles verboten ist, was nicht ausdrücklich erlaubt ist. Wir brauchen heute einzelne klärende Gesetzesbestimmungen, die näher das Erlaubte definieren, ansonsten aber nur, dass alles das erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist.
Vgl. z.B.:
* Friederike Boll: Mehr als bis 2 zählen — queere Kritik am Transsexuellengesetz in "unique", Ausgabe 6/11
* Anna Pfeiffer: Das Transsexuellengesetz – Leid oder Segen? in "LGS Legal Gender Studies", 21. Januar 2013
Zitat:Wir können gegen das Gesetz klagen, ja; aber wir können niemanden verklagen des Gesetz zu ändern.
Ja dann. Weiter klagen gegen das Gesetz wo notwendig, sag ich ja. Und weiter den Schw^^^ deutschen Käse durchlöchern. Bis der ganze Schmarrn ersatzlos weg ist.
Dass es auch ohne Sondergesetz und ohne neue Personenstands-Erlässe geht, ist ja nun bei uns in AT hinreichend nachgewiesen. Vornamens- und Personenstandsänderungen sind erst dadurch im Normalfall recht unproblematisch und rasch erwirkbar geworden.
Wobei im gegenständlichen (deutschen) Fall gehts ja um den schikanösen Gutachten-overkill zu horrenden Lasten der Betroffenen. Die Art und Anzahl der Gutachten, wie sie in § 4 und § 9 TSG gefordert werden, sind schon schikanös per se; und das Ganze ist dann wohl erst recht noch von der Auslegungsfähigkeit und Gutmütigkeit vom Amtsrichter abhängig. Und dagegen muss sich rechtlich vorgehen lassen können. Wenn nicht anders, dann eben auf Ebene des EGMR wegen Verletzung des Grundsatzes auf ein faires Verfahren ("fair trial").
Zuletzt und am Rande noch bemerkt: Warum es nach deutschem Recht erforderlich sein muss, Personenstandssachen über den Gerichts- statt auf dem Verwaltungsweg abzuhandeln, habe ich noch nie verstanden.