Intersexualität & Non-Binary: Verfahren zu Anerkennungen eines dritten Geschlechts
RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts
Beitrag #84
(29.06.2018, 19:30)SingingComet schrieb: und das sind die Folgen für die Praxis (in Österreich): aus "Die Presse":
[hier gekürzt]Was soll eine Person nachweisen, die ein drittes Geschlecht eintragen lassen will?

Beschwerdeführer im Anlassfall war Alex Jürgen (Jahrgang 1976), der auch anhand seiner Geschlechtsmerkmale weder klar männlich noch weiblich zuzuordnen ist. Aber auch wer körperlich klarer als männlich oder weiblich einzustufen ist, darf sich ein anderes Geschlecht eintragen lassen, wenn er sich anders fühlt. So ist schon länger ausjudiziert, dass jemand für einen amtlichen Geschlechtswechsel (also Mann zu Frau oder umgekehrt) keine genitalverändernde Operation vornehmen muss.
Ähnliches gelte künftig auch für Personen, die sich weder männlich noch weiblich fühlen, erklärt Anwalt Helmut Graupner, der die VfGH-Entscheidung für seinen Mandanten erkämpfte. Die Behörde habe Selbsteinschätzungen grundsätzlich zu akzeptieren.
Schön wär's, ich lese das Erkenntnis des VfGH allerdings etwas zurückhaltender. Meines Erachtens verlangt das Höchstgericht mehr als eine (begründete) Selbsteinschätzung.

Der VfGH beruft sich bei seinen Erwägungen insbesondere auf eine Stellungnahme der Bioethikkommission zu Intersexualität und Transidentität vom 28.11.2017. Der VfGH bezeichnet, darauf aufbauend (Erkenntnis, Seite 11f, Randziffer 15), ausdrücklich nur die Intersexualität, nicht die Transidentität (als Sammelbezeichnung für Transsexualität, Gender-Dysphorie, Transgender, Gender-Inkongruenz), als für seine Entscheidung relevante Fallkonstellation. Es ist also zweifelhaft, ob andere als intersexuelle Menschen aus dieser Entscheidung überhaupt irgendetwas gewinnen können. Die Selbstbestimmung gilt in diesem Sinne nur für Intersexuelle ("Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich und weib
lich", Erkenntnis, Seite 14, Randziffer 23 passim). Also ist Geschlechtsidentität doch am Ende wieder eine Frage der Biologie.

Außerdem anerkennt der VfGH zumindest indirekt (Erkenntnis, Seite 12, Randziffer 16) die Pathologisierung der Transidentität im obigen Sinne.

Sehr bemerkenswert an diesem G-Verfahren war aus meiner Sicht, dass die Bundesregierung sich jeder Äußerung enthalten hat. So etwas gibt es nicht oft. Eigentlich sollte (muss?) die Bundesregierung ja die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen verteidigen, da das Parlament als Gesetzgeber vor dem Höchstgericht kurioserweise keine Parteistellung hat. Ob das wohl ein bewusst gesetztes Signal war oder von einem Dissens innerhalb der Regierung zeugt? Thinking
Zitat:3. Die Bundesregierung hat keine Stellungnahme erstattet. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei hat eine Äußerung vorgelegt, in der sie den im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes beitritt, sich jedoch für eine verfassungs- und grundrechtskonforme Interpretation ausspricht und eine Aufhebung der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung folglich nicht für notwendig erachtet.
Heißt: Der VfGH hat genau das getan, was der von Dr. Graupner vertretene intersexuelle Beschwerdeführer wollte. Er lässt dabei eine nähere Regelung der personenstandsrechtlichen Geschlechtsregistrierung unter Berücksichtigung der von ihm aufgestellten, nur für Intersexuelle geltenden Grundsätze durch Gesetz oder Verordnung ausdrücklich zu.

Man wird sehen, ob und welche Schritte das Innenministerium jetzt setzen wird. Es könnte eine Gesetzesvorlage für eine Ergänzung des PStG 2013 erstellen oder eine Verordnung (Rechtsverordnung) oder einen Erlass (Verwaltungsverordnung) zur näheren Vorgehensweise bei Geschlechtseinträgen Intersexueller vorbereiten. Tja, ob so etwas bei den derzeitigen Machtverhältnissen wohl sehr liberal ausfallen würde....?
- Sag' Du mir, in welche Schublade ich passe! Wave   -
WWW
Zitat



Nachrichten in diesem Thema
RE: Intersexualität: Gerichtsverfahren zur Anerkennungen eines dritten Geschlechts - von Mike-Tanja - 29.06.2018, 22:36
(m/w/d) -> "d" schon möglich? - von mike. - 05.04.2019, 21:21

Gehe zu: