Erfahrungen mit Androcur und Estrogel
RE: Erfahrungen mit Androcur und Estrogel
Beitrag #6
Hallo Anna und alle, die mitlesen.
Vor drei Wochen habe ich mit der Einnahme von Estradiol (Gynokadin Gel) begonnen und davor etwa vier Wochen lang Androcur solo.
Zur Wirkung (bei mir, soweit ich das bislang beobachten konnte) komme ich später. Zunächst will ich kurz erwähnen, dass mein Hausarzt mir die Rezepte ohne endekrinologischen Befund und ohne psychologisches Gutachten ausgestellt hat.
Das kommt wahrscheinlich daher, dass mein Arzt einen eher ganzheitlichen Ansatz verfolgt und die Auffasung vertritt, jeder Mensch ist im Grunde der beste Spezialist für seinen eigenen Körper. Ich hatte mich ja auch tatsächlich intensiv mit Hormontherapien beschäftigt und wusste genau was ich will und was mich erwartet. Er kennt mich schon seit vielen Jahren und vertraut darauf, dass ich mit den Hormonen behutsam umgehe und entsprechend sorgfältig auf die Reaktionen meines Körpers achte. Das ist sicherer, als jedes medizische Screening, das ja doch nur Abweichungen von der statistischen Norm feststellt und wenig darüber aussagt, wie es mir geht.
Und wie geht es mir?
Sofort. Vorher muss ich noch ein paar Worte zum psychologischen Gutachten loswerden.
Im Grunde genommen ist sich die Fachwelt darin einig, dass Grundlage für die Diagnose Geschlechterdisphorie (oder transidentitäre/transsexuelle Abweichung oder Störung oder was auch immer) einzig und allein die subjektive Aussage des*der Betroffenen ist, d.h. dass es keine „harten“ Kriterien dafür gibt. Bestenfalls kann der*die Therapeut*in die Transition und den damit einhergehenden Lebensumbruch begleiten, schlimmstenfalls wird er*sie den Therapientritt so lange verzögern, nach dem Motto: „vielleicht ist es ja nur ein Phase“. (Der sogenannte Alltagstest ist ohnehin, je nach dem in welcher Gegend mensch lebt, nur als potentiell abschreckende Maßnahme zu begreifen.)
Vielleicht gibt es ja Menschen, die allzu leichtfertig in ihren Hormonhaushalt eingreifen, ohne sich über die möglichen Folgen im Klaren zu sein. Aber ich gehe davon aus, dass der überwiegende Teil unserer, ich sag mal: community eine freie und mündige Entscheidung getroffen hat, die nicht nachträglich pathologisiert werden sollte. Andererseits muss ich  nun die Zauberhormone aus eigener Tasche bezahlen, aber Gottchen, das sind allerhöchstens 100 Euro im Monat. Mein neuer Zahnersatz kostet mit Krankenkassenbeteiligung das Zehnfache.
Jetzt aber zur Wirkung: also Andracur alleine hat bei mir keine beobachtbare Feminisierung bewirkt. Mein Testosteronhaushalt war wohl noch nie besonders üppig. Glücklicherweise hat mein erotisches Empfinden keine Nachteile erlitten, auf Samenerguss bin ich schon seit Jahren nicht mehr erpicht, daher weiss ich gar nicht, was da noch geht und was nicht.
Estradiol hab ich mit einem Hub täglich begonnen und mich jetzt auf 2 mal 2 Hübe gesteigert. Nach einer Woche traten die erwartberen Nebenwirkungen ein: Übelkeit, Kopfschmerzen, Hautirritationen, ein Ziehen in der Brust… aber alles im Rahmen und durchaus erträglich. Ich weiss nicht, ob ich die Behandlung abgebrochen hätte, wenn ich beispielsweise Migräneattacken dafür hätte in Kauf nehmen müssen. Stimmungsschwankungen sind okay, hatte ich früher auch, im Gegenteil habe ich den Eindruck, dass ich jetzt emotional eindeutiger bin, irgendwie klarer, aber das ist schwer zu beschreiben. Mein Körper ist schon ein kleines bischen üppiger geworden. Noch lange keine Rubensfigur, aber die Richtung stimmt. Und das ständige Enthaaren kann ich jetzt entspannter angehen, weil ausser im Gesicht überall kleine Häärchen nachwachsen und keine Stoppeln mehr.
In Tales of the City gibt es eine schöne Szene, wo Ann Madrigal sagt, dass du dich bei einer Geschlechtsangleichung selber gar nicht mal so stark veränderst, aber die Welt um dich herum ändert sich gewaltig. Wenn du von deinen Mitmenschen endlich als Frau gelesen wirst, oder jedenfalls männliche Zuschreibungen nicht mehr so eindeutig und automatisch erfolgen, hast du ein schönes Stückchen Freiheit gewonnen.
Das war jetzt eine ganz schön lange Antwort auf deine Frage... und für meine paar Wochen Erfahrungsvorsprung auch ein bischen altklug. Aber ich hab natürlich auch gerade einen enormen Redebedarf.
Hoffe, es hat dir wenigstens Mut gemacht.
Alles liebe
deine Windy
Quidquid agis, prudenter agas et respice finem.
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RE: Erfahrungen mit Androcur und Estrogel - von Patricia1975 - 29.10.2019, 10:24
RE: Erfahrungen mit Androcur und Estrogel - von Windy - 01.11.2019, 01:40
RE: Erfahrungen mit Androcur und Estrogel - von Sunburst - 01.11.2019, 17:39
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