Literatur-Rätsel
RE: Literatur-Rätsel
Beitrag #34
Das gesuchte Buch ist das Romanfragment "Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar" von Bertolt Brecht, geschrieben in den Jahren 1938 und 1939 im Exil in Dänemark.

Der vollendete Teil des Romans stellt die Ereignisse rund um die sogenannte "Verschwörung des Catilina" (63/62 v.Chr.) dar.

Erzählt wird einerseits in einer Rahmenhandlung aus der Perspektive des (fiktiven) Mummlius Spicer, der im Windschatten des römischen Diktators vom Geldeintreiber für Caesars Gläubiger zu dessen Finanzberater und steinreichem Bankier aufsteigt. Zu diesem kommt der namenlose Erzähler der Rahmenhandlung, um Einsicht in ein historisches Dokument, die "Aufzeichnungen des Rarus" zu erhalten, die er für eine geplante Biografie des Julius Caesar auswerten möchte. Spicer gewährt ihm dies, jedoch unter der Bedingung, auch seine mündlich überlieferten Erinnerungen an den Aufstieg des "C.", wie alle nahen Vertrauten ihn nennen, anzuhören.

Den anderen und Hauptteil bilden eben jene "Aufzeichnungen des Rarus", das tagebuchartige Journal des gleichnamigen Sklaven, der Julius Caesar als Privatsekretär diente. Der homosexuelle Rarus, über dessen unglückliches Privat- und Liebesleben man auch einiges erfährt, überliefert den Klatsch und Tratsch der römischen Schickeria ebenso wie seine Kommentare zu dramatischen wirtschaftlichen und politischen Ereignissen.

Brecht interpretiert die römische Geschichte, deutlich aber nicht gewaltsam verfremdet, natürlich durch die Brille des Marxisten. In der späten römischen Republik kämpft eine bornierte aristokratische Grundbesitzerklasse (die Senatspartei bzw., wie sie historisch auch genannt wurde, die "Optimates", die Partei der Elite) mit der aufsteigenden Schicht frühkapitalistischer Unternehmer und Bankiers (als deren politischer Arm die "Populares", die Volkspartei oder Demokraten fungiert), von Brecht stets kurz "die City" genannt, um die Macht. Das proletarische Volk, gespalten in arbeitslose aber stimmberechtigte römische Bürger und rechtlose Sklaven, wird von City wie Senat stets manipuliert und betrogen. Dem intriganten Senator Catilina gelingt es beim Versuch, im Auftrag einer City-Clique einen Putsch gegen die Regierung des Konsuls Cicero vorzubereiten, beinahe eher versehentlich und beiläufig, die breiten Volksmassen zu einigen. Er geht darauf als tragischer Revolutionsheld unfreiwillig im Kampf unter, als die City seiner Bewegung die finanzielle Unterstützung entzieht und sie nach allen Regeln der Kunst spaltet und verrät. Der demokratische Politiker Caesar spielt denn auch bei der Liquidierung des "Catilinaputsches" eine recht unrühmliche Rolle.

Julius Caesar, der Militärdiktator in Spe Pompejus, dessen Schwager und Adjutant Oberst Nepos, der Miet- und Geldhai Crassus, Cicero, Cato der Jüngere, Führer der Senatspartei ("der alte Säufer") Catilina und zahlreiche andere vielleicht aus dem Latein- oder Geschichtsunterricht schemenhaft bekannte Gestalten treten auf. Nur verschwommen wird sichtbar, dass Brecht klare Parallelen zwischen dem "entwickelten" Kapitalismus des auf Caesars Diktatur folgenden Kaiserreichs und dem faschistischen Europa der 1930er Jahre ziehen wollte (wenn er etwa in Spicers Nachbarn Vastius Alder eine Karikatur des italienischen Dichters und Mussolini-Sympathisanten Gabriele D’Annunzio zeichnet). Brecht lehrt uns, dass auch die oft heldenhaft verklärte Geschichte der Antike ohne Blick auf die Wirtschafts- und Klassenverhältnisse nur verzerrt verstanden werden kann.

Im Folgenden noch zwei kurze markante Auszüge. Rarus berichtet auf dem Höhepunkt der "Catilinasache" über den dramatischen Showdown zwischen den demokratischen Frontmännern Caesar und Crassus (Spitzname "der Schwamm"):

Zitat:
24.11.
Der Senat hat gegen Catilina zu einem tödlichen Hieb ausgeholt! Der Mann des Volkes ist seit heute nacht Herr Cato von der Senatspartei! Man stelle sich vor!
In aller Frühe äußerst heftiger Auftritt zwischen C. und Crassus. Der "Schwamm" kam, sichtlich übernächtig, hereingeprustet und ließ C. aus der Fechtstunde holen. "Seit wann bist du in Rom zurück?" fragte C. feindlich. Crassus antwortete überhaupt nicht. Noch im Atrium berichtete er, nach Luft schnappend, daß eine Nachtsitzung des Senats stattgefunden habe, in der Cato durchsetzte, daß die "Kornspenden" wieder eingeführt würden. "Jetzt Kornspenden?" sagte C. ungläubig. "Ja", sagte der "Schwamm" und sah sich nach einem Stuhl um, "ich bin müde, ich stand die ganze Nacht auf der Kornbörse. Der Senatsbeschluß erfolgte erst gegen 3 Uhr früh. Kann ich etwas zu trinken haben?" - "Kornspenden! Und das sagst du mir erst jetzt um 8 Uhr?" schrie C. ihn an. Der "Schwamm" blinzelte. "Ich sage dir doch, ich hatte auf der Börse alle Hände voll zu tun, der Kornpreis rasselte von 20 auf 2 nieder - meinst du, das ist eine Kleinigkeit, eine solche Operation?" Plötzlich wurde er wütend. "Wieso muß das überhaupt ich dir sagen?" verteidigte er sich empört. "Warum warst du nicht selber im Senat? Wenn man einen Putsch macht, ist man eben nicht im Puff, sondern auf der Börse!" - "Man kann auch Politik machen", sagte C. verbissen, "und nicht nur Geschäfte!" Sie gingen, beide blaß, in die Bibliothek, ich ging hinterher. Es gab einen fürchterlichen Krach. Crassus gestand ein, daß er den Beschluß vorausgesehen hatte. Wie es sich herausstellte, hatte er tatsächlich in Korn auf Baisse spekuliert und deshalb ein Vermögen gemacht. C. warf ihm vor, daß er nur aus kommerziellen Gründen das Ganze vor ihm verheimlicht habe, obwohl es von großer politischer Bedeutung war. Der "Schwamm" leugnete und brachte vor, er habe lediglich nach einem Besuch bei Cato seine Maßnahmen getroffen. C. erstarrte. "Wann warst du bei Cato?" fragte er. Der "Schwamm" sah in tückisch an. "Kurz nachdem du dort warst", antwortete er. "Ich war für die Bewegung dort", schrie C. "Ich ebenfalls", der "Schwamm". C.: "Dann mußt du wissen, daß er nicht nachgab. Von Cato war nicht, was unter den Fingernagel geht, an Konzesionen zu erreichen!" Der "Schwamm": "Nicht damals, vor der Wahl! Er wußte doch, daß die City den Catilina nicht wirklich zum Konsul wählen lassen würde." C: "Und warum gibt Cato jetzt nach?" Der "Schwamm" hatte sich gesetzt. Er betrachtete C. abwägend und nicht freundlich. "Du bist sehr wenig im Bild, lieber Caius Julius, sagte er. "Er gibt nach, weil der Oberst Nepos zum Volkstribun gewählt ist, wie du vielleicht im Puff gehört hast, und weil sie vor Pompejus eine Scheißangst haben." C. blieb eine ganze Weile still. Anscheinend hatte er die Aufregung des Senats über die Gerüchte um Pompejus nicht so ernst genommen. "Auf Catilina hast du also überhaupt nicht gesetzt, keinen Augenblick, wie?" sagte er dann ausdruckslos. "Doch", sagte der "Schwamm" schnell, "aber ob Catilina oder der Senat Korn verteilt, das ist doch dem Kornpreis gleichgültig. Er fällt eben."

Nachdem "C.", mit dem Geld des Crassus zum Prätor (obersten Justizbeamten) gewählt, sich und führende Demokraten von der Verwicklung in Catilinas Umsturzversuch reinigen konnte, absolviert er ein obligates Jahr als Statthalter und Miltärbefehlshaber in Spanien, um sich danach um das Konsulat zu bewerben. Spicer rühmt C.s Statthalterschaft in Spanien als die erste moderne, nach wirtschaftlichen Kriterien organisiert Verwaltung einer römischen Provinz. Rarus berichtet dagegen:

Zitat:
12.2.694
Der Triumph ist unbedingt notwendig.Schon damit die unverschämten Witze Ciceros über C.s spanischen Feldzug außer Umlauf gesetzt werden. Er verbreitet, den Triumph C.s werde Pulcher von der Asiatischen Handelsbank abhalten. Die Namen der Schlachtorte werde man sich genau ansehen müssen, ob es nicht Firmennamen von Bankhäusern seien. Die größten Kämpfe hätten nämlich zwischen Schuldnern und Gläubigern stattgefunden, gefallen seien nur Aktien und gebrochen habe man nicht die Macht des Feindes, sondern Kontrakte. C. habe so viele Finanzexperte und Wucherer mitgebracht, daß die Truppen außerhalb des Lagers hätten stationiert werden müssen. Die Soldaten seien höchstens gelegentlich zur Bewachung von Geldschränken verwendet worden. Platte Witze, aber wirksam bei den unwissenden Leuten.

Die anderen beiden Bücher, auf die ich kurz Bezug genommen habe, sind Thornton Wilders Caesar-Briefroman "Die Iden des März" und Robert Harris (noch unvollendete) Cicero-Romantrilogie mit den Bänden "Imperium" und "Lustrum" (deutsch "Titan").
- Sag' Du mir, in welche Schublade ich passe! Wave   -
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