Standards of Care 7 veröffentlicht
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Beitrag #1
Da auch diese Rubrik m.E. nach ein Einstiegsthema braucht, nehme ich mir die Freiheit, als "Anreisser" eine Meldung zu re-posten, die Angelika am 5. Oktober 2011 auf der Hauptseite von transgender.at platziert hat:

Zitat:Standards of Care 7 veröffentlicht

Angelika,5.10.2011, 13:01

Am 25. September 2011 veröffentlichte die World Professional Association for Transgender Health (WPATH) die siebte Ausgabe ihrer Standards zur medizinischen Begleitung von Transmenschen. Wichtige Neuerungen sind:

Jegliche Ansätze, Trans wegtherapieren zu wollen, werden als unethisch abgelehnt.

Psychotherapie ist keine zwingende Voraussetzung mehr für die Abgabe von Hormonen und für Operationen. Gestrichen ist auch der Alltagstest.

Bisher stand im Zentrum, wie sich Transmenschen gegenüber den Medizinern zu beweisen haben, um die notwendige Behandlung zu bekommen. Nun zählt, was die Fachleute für ihre Klient_innen am besten tun können, was der einzelne Transmensch braucht für seine Gesundheit insgesamt.

Grundsätzlich gehen die Standards of Care 7 nicht mehr davon aus, dass Trans für sich eine Krankheit ist und anerkennen, dass es auch Transmenschen gibt, die ohne medizinische Betreuung glücklich sind. Im Vordergrund steht der einzelne Transmensch mit seinen individuellen Bedürfnissen.

Die neuen Standards anerkennen Geschlechtsidentitäten ausserhalb von absolut Mann oder absolut Frau.

Hervorgehoben wird, dass für die Gesundheit nicht nur die medizinische Versorgung wichtig ist, sondern auch eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und Vorurteile, die Toleranz und ein positives Bild vermittelt.

(Quelle: http://www.transgender-network.ch/2011/0...fentlicht/)
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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #2
schön und gut, aber was haben die denn für einen geltungswert für (inter) nationales recht?

so gut ich es finde, trans~ nicht mehr als krankheit anzuerkennen, einen großen nachteil wird es wohl haben: die krankenkassen werden keine kosten mehr übernehmen, was wohl v.a. für einkommensschwache menschen ein problem darstellt...
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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #3
(10.10.2011, 13:05)Lara K schrieb: schön und gut, aber was haben die denn für einen geltungswert für (inter) nationales recht?
Sie haben wohl keine unmittelbare und zwingende Bindungswirkung. Es ist die sachverständige, kollektive Äußerung eines einschlägigen Berufsverbandes. Aber man kann darauf verweisen, weil das in etwa auch der "Stand der wissenschaftlichen Diskussion" sein dürfte. Eine gesetzgebende Körperschaft oder eine oberste Verwaltungsbehörde lässt sich mitunter überzeugen, wenn man ihr nachweist, dass Pi x Daumen neunzig Perzent der einschlägigen Fachleute (Ärztinnen und Ärzte, Psycholog/inn/en, Psychotherapeut/inn/en) zu einer bestimmten Meinung gelangt sind.
Zitat:so gut ich es finde, trans~ nicht mehr als krankheit anzuerkennen, einen großen nachteil wird es wohl haben: die krankenkassen werden keine kosten mehr übernehmen, was wohl v.a. für einkommensschwache menschen ein problem darstellt...
Aus meiner Sicht ist nicht Transidentität die Krankheit, sie kann aber die Ursache von (Sekundär-) Erkrankungen sein, Depressionen, verschiedene psychosomatischen Störungen, etc.

Es besteht natürlich die Gefahr, dass die Krankenkasse sagt: O.k., für die Psychopillen oder vielleicht auch noch die Psychotherapie zahle ich (weil "Krankenbehandlung"), für Hormone oder gaOP aber nicht. Hier muss man der Kasse klar machen, dass sie so nur die Symptombekämpfung finanziert. Da wäre es gut, wenn man etwas Statistik und Kostenrechnung zu dieser Frage hätte.
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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #4
(11.10.2011, 15:15)Angelika schrieb: [hier gekürzt] Von der Forderung nach der totalen Entpathologisierung des Themas TS würde ich derzeit aber eher abraten, denn das könnte sehr schnell dazu führen, dass die KK in Zukunft auch die HRT und die GA-OP nicht mehr bezahlen würden. Hier müssen zuerst andere Rechtsvorschriften her, die die Sozialversicherungsträger in die Pflicht nehmen.
Ja, Angelika hat natürlich Recht, wenn sie die politischen und rechtlichen Risiken (für TS, die auf die Sozialversicherung angewiesen sind) darstellt. Ich glaube auch nicht, dass es realistisch ist, auf "andere Rechtsvorschriften" zu hoffen. Eine sozialversicherungsrechtliche "Lex TS", die eine umfassende Behandlung ohne klare Krankheitsdiagnose sicherstellen würde, wäre auch ein sehr grenzwertiger Fall, um nicht zu sagen: eine unsachliche Privilegierung von Trans*Menschen.

Umgekehrt sieht es für mich so aus, als wäre eine vom Transsexualismus entkoppelte De-Pathologisierung des Transvestitismus wissenschaftlich schwer zu argumentieren. Aus meiner laienhaften Sicht ist das ein und dasselbe psychisch-emotional deviante ("psychopathologische") Erscheinungsbild, nur in unterschiedlicher Intensität.

Ich möchte als Tivi aber nicht mit einem unsichtbaren Diagnoseetikett "F-64.1" auf dem Hirn herumlaufen. Eine psychiatrische Diagnose stellt in unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung, die fürsorgend aber auch bevormundend sein kann, immer noch ein Risiko dar - noch dazu eine, "von der ich nix hab", weil ich in Summe weder "dagegen" eine Krankenbehandlung noch "dafür" eine Psychotherapie brauche.

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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #5
Exclamation 
(11.10.2011, 15:15)Angelika schrieb: Von der Forderung nach der totalen Entpathologisierung des Themas TS würde ich derzeit aber eher abraten, denn das könnte sehr schnell dazu führen, dass die KK in Zukunft auch die HRT und die GA-OP nicht mehr bezahlen würden.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger gefällt mir die Nachricht, eh gesund und doch nicht krank zu sein. (!)

Auf jeden Fall wird man aufpassen müssen, daß sich nicht das Verhältnis zwischen Repression und Kontrolle und Bremsung auf der einen und die finanzielle "Gegenleistung" für diese gesetzlichen Zwänge verschlechtert, da ich schon befürchte, daß zwar im Sinne von "ist keine Krankheit, sondern Privatvergnügen" die Leistungen eingestellt, aber der Zugang und Dinge wie die Personenstandsänderung nicht in dem Maße vereinfacht und erleichtert wird, wie das dieser neue SoC-7 nahelegt, vor allem weil das m.E. eine ganz andere Gesellschaft vorraussetzen müßte, also ohnehin nicht wirklich einfacher werden kann, auf absehbare Zeit. Und vielleicht auch gar nicht werden sollte, etwa dadurch, daß die Endokrinologen und Chirurgen leichtfertig (ausgenommen natürlich umfassende Bonitätsüberprüfungen) tätig werden.

Vorallem zumal TS ohnehin von sozialem Abstieg und in weiterer Folge von finanzieller Not bedroht sind, ist das schon eine extreme Hürde, laut googlen kostet die GaOP um die 40'000.- Wer das normalverdienend ansparen kann, braucht dann allerdings wohl niemanden mehr von der Ernsthaftigkeit seiner/ihrer TS zu überzeugen. Und wer arbeitslos ist, oder einfach schlecht verdient, oder noch jung ist, hat eben Pech gehabt. Dafür werden Millionäre im Handumdrehen umoperiert, wenn sie vielleicht nur gerade eine kurze Psychose durchmachen oder auch einfach halt mal so aus einer Laune heraus?

Also ich weiß nicht, ich leide genug um mich "krank", oder zumindest beeinträchtigt zu fühlen und alles in allem finde ich die Lösung der Kostenübernahme gegen Einhaltung von (lästigen, aber im Großen und Ganzen nicht total unvernünftigen) Auflagen besser, als was aus diesen SoC-7 folgen könnte.

LG, Carina
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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #6
(12.10.2011, 00:32)Carina_in_Graz schrieb: Also ich weiß nicht, ich leide genug um mich "krank", oder zumindest beeinträchtigt zu fühlen und alles in allem finde ich die Lösung der Kostenübernahme gegen Einhaltung von (lästigen, aber im Großen und Ganzen nicht total unvernünftigen) Auflagen besser, als was aus diesen SoC-7 folgen könnte.

LG, Carina

das seh ich genauso
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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #7
Wir müssen bei der Forderung nach Entpathologisierung sehr aufpassen, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten.

Ich kann es voll verstehen, dass TV´s und auch Post-OP-TS absolut kein Interesse daran haben den "Stempel der Geisteskrankheit" tragen zu müssen. Denn es ist nun mal keine Geisteskrankheit und auch keine psychische Störung.

Auf der anderen Seite aber, sind all jene TS, die Anpassungen wie z. B. HRT, GA-OP, etc. anstreben, weil sie das unbedingt benötigen,darauf angewiesen, dass es einen "Krankheitsbegriff" im ICD gibt, der die KK verpflichtet die "Linderungskostender Krankheit TS" zu übernehmen.

Wenn also die F64.x Reihe ersatzlos gestrichen würde, dann würden sich die KK sofort aus der verantwortung stehlen, und die Betroffenen würden auf den Kosten sitzenbleiben. Viele würden damit dann vermutlich gezwungen werden entweder still zu leiden, oder aber das Geld durch Prostitution im Rotlichtmillieu zu verdienen. Und genau das darf und kann es nicht sein.

Daher sollten wir uns, zusammen mit den Fachleuten, ansehen welche Diagnosen überflüssig sind, weil ohnehin kein Bedarf nach Behandlungen besteht, und uns daher ersatzlöos gestrichen werden sollten, sowie welche Diagnosen erhalten werden müssen, um die Kostenübernahmen sicherzustellen.

Ein Geschlechtswechsel ist kein Spass, und daher dürfen den TS nicht neue Steine in den Weg gelegt werden. Lieber krankheitswertig und die Behandlung wird bezahlt, als entpathologisiert und psychisch dann krank durch den Leidensdruck. Dieser muss auch in Zukunft durch HRT, GA-OP, etc. gelindert werden, und nicht durch Psychopharmaka und Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken.
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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #8
In den USA mag die neue Regelung ingesamt vorteilhaft sein, aber bei unserer Staatsquote und unserem Zwangsversicherungssystem haben wir im Prinzip bereits bezahlt (...es ist zumindest nicht schlimmer als bei Risikosportlern). Insofern sollte man sich vielleicht überlegen, eine europäische Variante der Behandlungsrichtlinien - angepaßt an die europäischen Sozialversicherungssysteme - anzustreben.
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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #9
seh ich aus deutscher sicht genauso. ich sag nur holland...
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RE: Standards of Care 7 veröffentlicht
Beitrag #10
(14.10.2011, 10:55)Lara K schrieb: seh ich aus deutscher sicht genauso. ich sag nur holland...

Sind wir (Ö+D) wirklich so eine Insel der Seligen? Gerade Holland hätte ich traditionell für fortschrittlicher (...no pun intended...) gehalten als uns, wegen einer Legislaturperiode wird sich da summa summarum auf lange Sicht genauso wenig ändern wie sich durch schwarz-blau bei uns geändert hat - hätte ich zumindest vermutet.

Außerdem könnte sich nicht einmal der gesamte deutschsprachige Raum auf Dauer gegen einen weltweiten Trend stellen, ich glaube, das ginge - wenn überhaupt - nur auf europäischer Ebene. Gut, ich kenne die Verhältnisse in den einzelnen Ländern nicht genau, aber daß der europäische Durchschnitt viel konservativer und engstirniger ist als wir, würde ich jetzt nicht unbedingt vermuten(?)
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