Transgender… und wie geht’s weiter
Transgender… und wie geht’s weiter
Beitrag #1
Was bin ich eigentlich? Nun bin ich Mitte 40 und es brauchte bis jetzt, um zu sehen was ich nie sehen wollte. Bin bin queeeeer? Für mich war diese community immer etwas sehr „Spezielles“ von meiner Erziehung her passte das einfach nicht. Aber ich konnte sie zumindest tolerieren und dachte…wow die haben einen Weg gefunden um „glücklich“ zu sein. Aber worin besteht dein Glück. Nun ich bin verheiratet, Kind, Haus, Autos, Freundeskreis… was will „Mann“ mehr? Zumindest sieht das nach außen hin so aus. Tief in mir fühle ich viel weicher, das wusste ich schon immer. Und ja ich erfülle eine Menge Klischees, die mir mehr oder weniger freiwillig abtrainiert wurden. Rotblondes Haar, umprogrammierter Linkshänder, furchtbare Kita und Schulzeit (einfach immer gemobbt / als rothaariges Mädchen bezeichnet worden und auch gefühlt, aber das durfte einfach nicht sein! Zuhause hatte ich gerne Prinzessinnen Kleider getragen bis ich 12 war, dann passte nichts mehr) ich hasse Gewalt, zeichne gerne, bin kreativ, gleich langer Ring- / Zeigefinger, kann bis heute noch richtig werfen oder fangen (rückwärts einparken hat ungewöhnlich gedauert …heute geht das sogar mit Anhänger). Erst mit der Lehre konnte ich versuchen eine richtige männliche Rolle zu spielen und später mit einer 2 Ausbildung noch mehr vertiefen. Nun war ich ein „Mann“ mit allem was meine Potenz größer erschienen ließ. Sport Coupé, nur noch schwarze Klamotten …dunkle Musik und erlebte meine weibliche Seite an meinen Partnerinnen aus., weine jedoch viel schneller als meine Frau bei Liebesfilmen (deshalb schaue ich sowas erst gar nicht mehr) ich habe einen IT Job (so wie fast alle) … und ich hasse bestimmte Körperteile an mir die ich nicht näher beschreiben möchte, ich bin Teilzeit Magersüchtig (derzeit wieder mal starkes Untergewicht) und will ich wenn ich vor dem Spiegel stehe ein besseres Po Taille Verhältnis versuche meinem Körper aufzuzwingen… aber ich verliere meinen ohnehin kaum vorhandenen Po dabei)Ich bin gefangen in diesem Körper und habe es nie zur Kenntnis genommen das ich trans* sein könnte , denn ich dachte ich habe wenn dann nur einen Fetisch. Allein die Tatsache das ich eine Frau geheiratet habe machte mich im Kopf zur CIS Person.
Ich konnte das super übertragen so lange die Liebe frisch war. Wenn ich jedoch zu viel Zeit für mich hatte, begann ich mir wieder die Nägel zu lackieren und bestellte Kleider für mich und fühlte mich dann wohler. Bis ich eine neue Partnerin mit Kind fand, dann wieder einen „reset“ ausgelöst und ich lebte wieder als Femininer Mann vor mich hin. Dies ging aber immer nur so lange gut wie die Schmetterlinge in meinem Bauch überlebten. Ich hätte gerne meine Leidenschaft mit meinen Partnerinnen geteilt / mich aber nie getraut… aber nun. Und ich wusste nie so wirklich woran meine Beziehungen zerbröselt sind…. Mit Kind war vieles anders
Nun habe ich mir 10 Jahre Zeit gelassen hatte. Sie kennt meine hohen Schuhe, wäscht sogar meine Kleider mit ihren und ich trage sie auch im Haus oder Garten, weil ich mich gerade bei diesen Temperaturen einfach wohler damit fühle. Sie findet das nicht schön, duldet es aber.
Ich wollte niemals Kinder haben (habe aber das Verantwortungsbewusstsein gegenüber und reiß mich zusammen bis ich wieder Zeit für mich habe).
Was meine Ehe betrifft: Natürlich funktioniert dieser Körper, aber ich kann ihn auf Dauer nicht genießen und massakriere ihn regelrecht nur damit er mir weiblicher erscheint.
Tief in mir drin glaubte ich, ich habe etwas krankhaftes in mir. Etwas was einfach nicht sein darf, aber warum nicht?
Nun hatte ich vor 3 Monaten so einen Flash Effekt. Um mich herum öffnete sich die Welt für „divers“ … das war total neu für mich und wie immer belächelte ich es erst einmal. Und dann nahm ich mir Zeit und durchwühlte (in Kleid und Corsage) wie jeden Abend in letzter Zeit das Internet. … und dann… hmmm … hey vielleicht bist du ja auch ein bisschen transfeminin. …. Aber nein … das sind alles komische Menschen und du bist anders. Ich legte alles wieder bei Seite und so ging das mehrere Abende, je mehr ich über mich herausfand um so sicherer und trauriger wurde ich. Bis ich kollabierte und es meiner Frau beichtete. Trotz all dieser Anzeichen vorher, ist sie so verletzt und will definitiv mit keiner Frau zusammenleben. Also startete ich eine Therapie, ging in Selbsthilfegruppen und war sogar in der Psychiatrie, aber jeder bescheinigte mir nur… hey du bist vermutlich trans* und das ist voll normal und nicht krank. Aber das bringt mich auch nicht weiter. Nach einem verkorksten Urlaub und 3 Wochen selbst Reflektion komme ich nicht weiter. Ich habe mir über 40 Jahre Zeit gelassen und nun will ich gerne alles auf einmal erfahren, anziehen und erleben wollen. Ich weiß jetzt zwar was ich bin, aber anstatt mein Problem damit zu lösen, haben sich neue noch viel größere Probleme aufgetan.
Es ist viel zu spät, ich bin viel zu groß und habe viel zu breite Schultern für eine Frau. Mein Gesicht passt überhaupt nicht. Dafür habe ich eine sehr gute Figur und für einen Mann der schönen Hände hat mit großen femininen Fingernägeln die sich sehr gut in Form bringen lassen. Wie geht es jetzt weiter für mich. Wie seid ihr weiter vorgegangen. Und das wichtigste… was ziehe ich an? Ich hasse Perücken ich möchte meine Haare bis zu den Schultern tragen, aber das wird Jahre dauern und mein Testosteron hat innerhalb der letzten 30 Jahre ganz schön Schaden hinterlassen. Ich werde keine 100% Frau, das weiß ich, es wird ein ewiger Kampf. Die Opfer werden riesig. Ich werde meine Frau und meine Tochter verlieren und am Ende allein dastehen. Und warum mache ich das dann? Nur damit ich mich besser fühle…? Bin ich überhaupt trans*? Und habe ich die Kraft dazu? Transpersonen sind für mich die mutigsten Menschen die ich bisher kennen gelernt habe. Man fühlt sich wie auf einer Party in der alle super verkleidet sind und man selbst hat das schlechteste Kostüm an und muss dazu stehen. Wir werden nie Perfekt sein. Aber wie soll man sich auf die Straße trauen, wenn man es nicht mal schafft in seinem Kleidchen dem Postboten die Tür zu öffnen. Trotz Therapeuten, Selbsthilfe und Psychiatrie. Woher nehmt ihr nur eure Kraft. Einen Mann zu spielen ist ausgesprochen primitiv dagegen, aber eine Frau ist viel kritischer! Ich würde sooo gerne weitere Schritte gehen. Es ist schon etwas anderes ob man durch das Leben erzogen wird oder alles auf einmal in Frage stellt und ein komplett anderes Leben führen will, aber ist es denn wirklich so anders? Ist denn überhaupt noch was transfeminines in mir?
 PS: ich möchte niemals eine Olivia Jones werden, sondern einfach nur verschmelzen mit der Welt ohne aufzufallen (wenn ich mal ein Kleid anhabe, das wäre ein wirklicher Traum.)  ... ich suche andere Transpersonen die ähnliches durchgemacht haben. Bitte meldet euch. Was zieht man bloß an?

LG 
Jenny
Zitat

RE: Transgender… und wie geht’s weiter
Beitrag #2
Hallo Jenny!

Ich lese hier schon längere immer wieder mal rein, habe mich bis heute aber nie registriert und war eigentlich gar nicht darauf aus, mich hier aktiv zu Wort zu melden. Aber Dein Beitrag hat mich jetzt dazu gebracht, mich zu registrieren, obwohl ich eigentlich dringend ins Bett sollte.

Vorweg: Ich kann Dir natürlich nichts raten. Manches ist bei uns zwar ähnlich, manches aber auch gar nicht. Der große Unterschied, der für Dich sicher alles viel, viel schwerer macht, ist der Umstand, dass Du Frau und Tochter hast. Das habe ich nicht, weil Beziehungen bei mir einfach nie längerfristig geklappt haben. Im Nachhinein ja auch kein Wunder. Ich war nie die Person, die sich eine Hetero-Frau dauerhaft wünscht. So viele Kompromisse habe ich nie gemacht. Meine Persönlichkeit habe ich trotz allen Zwangs, als "Mann" herumrennen zu müssen, nie komplett versteckt.

Was aber ähnlich ist, ist unser Alter. Und dass ich jahrzehntelang dachte, dass eine Transition bei mir mit einem Ergebnis, mit dem ich leben könnte, sowieso nie möglich wäre.

Ich bin (nur) ein paar Jahre jünger als Du, habe aber ähnlich lange wie Du gewartet. Bis es mir einfach zu blöd geworden ist. Bis ich immer mehr wahrgenommen habe, dass es da draußen gar nicht so wenige Menschen gibt, die es tatsächlich schaffen, ihrer Persönlichkeit auch im Wege einer Transition zum Ausbruch zu verhelfen. Bis ich begriffen habe, dass ich mein Leben eher "abwickle" und "manage", anstatt wirklich zu leben. Und dann habe ich mich vorgetastet. Schritt für Schritt. Und jeder davon hat sich gut und so angefühlt, dass ich mir sehr sicher war, keinen Schritt davon wieder zurück gehen zu wollen. Inzwischen bin ich als die Frau unterwegs, die ich bin. Und das funktioniert trotz ganz vieler Zweifel, die ich - ganz ähnlich wie Du, glaube ich - hatte, erstaunlich gut. Ich dachte, mein Körper könnte das nie glaubwürdig transportieren, aber es hat sich durch die hormonelle Umstellung so unendlich viel zum Positiven verändert; mehr als ich für möglich gehalten oder zu erträumen gewagt hätte. Aber auch innerlich. Vorher hat sich das "Ich sein" immer anstrengend angefühlt, jetzt habe ich das Gefühl, einfach ich sein zu können. Alles passt immer mehr zusammen. Und die Menschen rund um mich herum spüren das und sagen mir das auch. Selbst Menschen, von denen ich das nie erwartet hätte. Menschen, die nicht in einem urbanen Umfeld unterwegs sind. Menschen, die bisher nie nennenswert mit dem Thema zu tun hatten.

Ja, ich habe sicher auch Glück. Und ja, ich bin in vielerlei Hinsicht privilegiert und erspare mir daher sicher so manche Probleme, die andere haben, bzw. habe dadurch erst gewisse Möglichkeiten. Aber trotzdem halte ich es für wichtig, hier auch mal zu schreiben, dass es diese meine Erfahrung auch gibt. Nicht nur die Schlechten, nicht nur das Anstrengende, nicht immer geht alles schief. Es ist noch einiges zu tun, aber alleine schon das Gefühl, dass nun seit einigen Jahren sich alles endlich in die "richtige" Richtung entwickelt, die vielen Momente mit Freudentränen in den Augen, die Umarmungen und begeisterte Aufnahme durch meine besten Freundinnen und und und... all das lässt mich eigentlich nur eines bereuen. Nämlich, dass ich es nicht viel früher durchgezogen habe.

Gibt es irgendeine Garantie dafür, dass alles/vieles so gut läuft? Leider nicht. Macht es eine Familie wie bei Dir viel schwerer? Ja, klar. Zu diesem Aspekt kann ich Dir daher auch nicht viel raten. Da sind andere berufener.

Aber wenn es darum geht, dass Du davon ausgehst, dass Dein Körper keine guten Voraussetzungen bietet, dass Du "zu alt" bist usw., dann lass Dich deshalb auf gar keinen Fall davon abhalten, ganz konkret Deine Möglichkeiten abzuchecken. Haare kann man evtl. transplantieren, für unangenehme dunkle Haare am Körper gibt es Laser, die in vielen Fällen helfen können, bei der Körperform können Hormone sehr viel verändern, wie ich es gerade mit großer Begeisterung an mir erlebe. Wenn man die Kraft aufbringen kann, idealerweise selbst etwas Organisationstalent und Durchhaltevermögen mitbringt, ist oft sicher mehr möglich als man glaubt. (Und ja, ich weiß, dass das nicht jeder*r kann. Und ja, das ist nicht okay und sollte nicht so sein, dass man Vieles selbst schultern muss.)

Und, ach ja, Olivia Jones wollte ich auch nie werden. Das ist aber auch etwas Anderes. Alles okay, aber etwas anderes, als was Du fühlst und ich fühle. Wir sind einfach Mädels, die das auch ausstrahlen und leben wollen. Nicht für eine Bühne, nicht als Show, nicht als Abwechslung zwischendurch. Sondern im Alltag, ganz normal, meistens unauffällig. :-)

So, und jetzt ist es wirklich Schlafenszeit. Aber wenn Du irgendetwas wissen möchtest, Gedanken austauschen oder was auch immer. Melde Dich gern. Ich wünschte mir, ich hätte viele Möglichkeiten zwanzig Jahre früher erkannt und gehabt.
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