Beiträge: 2
Themen: 2
Registriert seit: Jun 2019
Beziehung zu Forum/Thema: Trans-Mann
Land: Österreich
"Passing" Privileg.
"Ich hätte nie gedacht, dass du Trans bist."
"Ich dachte tatsächlich, dass du ein Junge wärst."
Zwei Sätze, die ich regelmäßig zu hören bekomme, so wie auch gestern Abend. Ein Treffen in einer Bar zwischen Freunden und mir, um ein wenig zu trinken und sich zu amüsieren. Alles läuft so wie gewohnt, als zwei mir unbekannte Personen dazustoßen und eine Unterhaltung mit uns beginnen. Wir verstehen uns, tauschen uns miteinander aus, bis meine mittlerweile etwas angeheiterte Freundin erwähnt, dass ich Trans sei. Überraschung auf den Gesichtern der zwei Personen, die mich bislang wie jeden anderen Mann im Raum behandelt hatten. "Ich hätte nie gedacht, dass du ein Mädchen bist." Ein Satz, der mich einerlei geschmeichelt als auch gekränkt hat. Ein Teil in mir war glücklich, dass andere, insbesondere Fremde, mich bereits jetzt als Mann wahrnehmen. Immerhin starte ich erst dieses Jahr im November mit meiner Hormontherapie. Der andere Teil in mir war gekränkt, da man mich plötzlich aufgrund meines Körpers, vollkommen anders betrachtete und auch behandelte.
Manche Personen meinen, dass ich das sogenannte "Passing" Privileg besitze, da ich bereits jetzt als Mann bzw. Junge wahrgenommen werde. Einerseits verstehe ich, dass ich es vermutlich leichter als andere Trans Personen habe, andererseits finde ich, dass jeder von us, unabhängig davon wie sehr wir uns rein äußerlich "anpassen", jederzeit Diskriminierung oder auch unangenehmen Momenten ausgesetzt sein können. Ich persönlich würde gern wissen was ihr von dem sogenannten "Passing" Privileg haltet und ob auch ihr bereits ähnliche Erfahrungen hattet.
Patricia1975
Nicht (mehr) registriert
RE: "Passing" Privileg.
Als "Spätberufene" verstehe ich, was du meinst. Ich habe bis zu meinem 42. Lebensjahr versucht, einen Mann darzustellen. Ich habe versucht, die Rolle so gut wie möglich zu spielen.
Nach über einem Jahr HRT und der GAOP letzten Jahres bin ich nun 44. Passing war und ist für mich ebenso wie "gendern" ein Reizwort für mich. Weil ich wohl immer als Frau+ erkannt werden werde. Das ist so. Trotz einer sehr guten weiblichen Figur, bleiben eben die Gesichtszüge in dem Alter doch irgendwie erhalten.
Wie oft habe ich in stillen Momenten darüber nachgedacht, was alles möglich oder nötig wäre. Glottoplastik, FFS, Brustimplantate. Ich denke immer wieder darüber nach und noch komme ich immer wieder zu dem Schluß, dass ICH MIR selber sehr gefalle.
Eine einfache Aussage. Doch darum geht es. Ich konnte mich früher nicht in den Süpiegel sehen und mir gefallen. Ich mochte meine Stimme nicht. Und jetzt, jetzt wo das für die "anderen" wichtiger wäre um mich richtig wahrzunehmen ist mir das an mir egal. Jetzt passt für mich alles.
Nur die "anderen" sind jetzt die, die verwirrt sind. Nicht mehr ich. Und jetzt soll ich dagegen auch wieder was unternehmen?
Ich war gestern auf der Pride in Linz und danach bin ich mit einem Freund und seiner Lady noch was trinken gegangen. Ihn kannte ich noch als ich anatomisch ein Mann war. Er spricht es oft genug aus, dass es für ihn eine "Hammer"-Info war, dass ich jetzt Patricia bin und nicht mehr Patrick. Er ist auch ein ziemlicher Lebemann. Er und wenige andere von früher haben das echt toll aufgenommen.
Und seit 2 Monaten habe ich einen Freund. Und auch wenn wir uns aus der BDSM-Szene kennen und alles ohnehin etwas schräg bei uns abläuft. Er lässt keinen Zweifel daran, dass ich für ihn eine vollkommene Frau bin.
Und doch, manchmal wenn im Freibas liege, oder in der Sauna und die anderen Frauen beobachte ... bin ich dankbar und glückselig, dass ich es bis hierher geschafft habe. Denn ich sehe die anderen Frauen, die das alles, was ich mir wünschte von Geburt an haben. Alles, wofür ich gekämpft habe - sogar mein Kind - ist ihnen in den Schoß gelegt worden. Und sie fragen MICH oft, wie das so ist und dass sie sich das nicht vorstellen können...
...und ich entdecke immer mehr, dass die wichtige Frage für mich nicht ist, ob sie sich das vorstellen können. Sondern es für mich vielmehr die Tatsache ist, dass ich mir ja NIE vorstellen konnte und es jetzt nicht nicht kann, wie es ist "normal" zu sein. Das alles - Busen, Vagina, etc - immer gehabt zu haben im Einklang mit dem Geschlechtsbewusstsein.
Und wenn mir das wieder bewusst wird, weine ich vor Glück aus unendlicher Dankbarkeit, dass alles irgendwie jetzt gut wurde.
Sunburst
Nicht (mehr) registriert
RE: "Passing" Privileg.
(30.06.2019, 07:21)evankun schrieb: und ob auch ihr bereits ähnliche Erfahrungen hattet.
Ja. Bei rein äußerlicher Betrachtung sah ich schon vor HET aus wie ein Mädchen.
Wie das war, wenn mich jemand zu kennen glaubte bzw. outete, stand leider auf einem anderen Blatt.
(Überflüssig zu erwähnen, "white passing privilege" hatte ich nicht. Meine Akkulturiertheit hält sich zudem in gewissen Grenzen. Es ist nur deren Ignoranz zu verdanken, daß die Leute in D dachten: "Ach, die kommt ja schon zurecht." Nun gut, dieser Ignoranz ist dann auch zu verdanken, daß man sich meist nicht für mich interessierte, ich fast schon etwas außerhalb des Geschlechter- und Beziehungssystems stand )
(30.06.2019, 07:21)evankun schrieb: Ich persönlich würde gern wissen was ihr von dem sogenannten "Passing" Privileg haltet
Zu meiner Zeit gab es Begriffe "Passing" oder auch "Stealth" noch gar nicht, glaube ich jedenfalls. Geschweige dann auch noch das als "Privileg".
Solche Lebensperspektiven hätte ich damals nicht entwickeln können. Eher kann man Marmelade an die Wand nageln Wie ich mich entwickeln hätte können, wäre ich 10, 20, 30 Jahre jünger, kann ich ja nicht erspekulieren.
(30.06.2019, 07:21)evankun schrieb: Manche Personen meinen, dass ich das sogenannte "Passing" Privileg besitze, da ich bereits jetzt als Mann bzw. Junge wahrgenommen werde. Einerseits verstehe ich, dass ich es vermutlich leichter als andere Trans Personen habe, andererseits finde ich, dass jeder von u[n]s, unabhängig davon wie sehr wir uns rein äußerlich "anpassen", jederzeit Diskriminierung oder auch unangenehmen Momenten ausgesetzt sein können.
Dem kann ich nur beipflichten.
Beiträge: 715
Themen: 67
Registriert seit: Nov 2014
Beziehung zu Forum/Thema: Trans-Frau
Land: Österreich
RE: "Passing" Privileg.
Natürlich gibt es so was wie ein 'Passing-Privileg'.
Wenn ich im jeweiligen Wunschgeschlecht wahrgenommen werde, kann ich mir aussuchen ob ich mich als TS/TI oute oder nicht. Ohne das Passing-Privileg hab ich diese Wahl gar nicht, mein Äusseres, meine Stimme, etc. outen mich ja automatisch.
Es gibt sicher X Situationen wo das einen Unterschied macht (Jobsuche, Partnersuche,...) Ich persönlich habe vermutlich 2 Jobs nur deswegen bekommen, weil ich nichts über meine Vergangenheit erzählt habe. Die Probleme haben dann in beiden Fällen dann begonnen, als bekannt wurde das ich nicht immer so war wie ich jetzt bin.
Vielleicht ist diesbezüglich auch besser, gleich mit offenen Karten zu spielen, aber das bleibt jedem selbst überlassen.
Im übrigen kann ich dem was Patricia schon geschrieben hat, vollinhaltlich zustimmen. Wenn man mit sich selbst im Reinen ist, strahlt man das auch aus und das ist besser als jede Künstlichkeit (sagt die, die sich grade ihre Brüste vergrössern hat lassen... ).
IF AT FIRST YOU DON'T SUCCEED, FIX YOUR Ponytail AND TRY AGAIN.
Patricia1975
Nicht (mehr) registriert
RE: "Passing" Privileg.
Naja...
Da ich oft genug in Szenen in Linz und Wien unterwegs bin, wo es sehr ... körperbetont zugeht ... kann ich diesen Wunsch nachempfinden.
Ich habe einen traumhaften Körper für eine 44jährige. Kaum Falten, straffe Haut, Popo, groß, schlank, lange Beine ... und eine kleinen Mädchenbusen. Der bisher jedem Mann und jeder Frau gefallen hat. Mit passen die geilsten Kleider.
Und dennoch denke ich oft drüber nach. Ebenso an meine große tolle Nase ;-).
Und ja - wenn man dann plötzlich jemanden hat, wo man glaubt den oder die Richtige gefunden zu haben ... und dieser jemand bestätigt dir tagtäglich, dass alles gut ist und der Busen genau so toll aussieht wie der Rest für ihn ... dann ist mir das schon wieder egal ;-)
Beiträge: 57
Themen: 3
Registriert seit: Dec 2019
Beziehung zu Forum/Thema: Transsexuell
Land: Deutschland
RE: "Passing" Privileg.
(14.07.2019, 15:53)Patricia1975 schrieb: Ich habe einen traumhaften Körper für eine 44jährige. Kaum Falten, straffe Haut, Popo, groß, schlank, lange Beine ... und eine kleinen Mädchenbusen. Der bisher jedem Mann und jeder Frau gefallen hat. Mit passen die geilsten Kleider.
Und dennoch denke ich oft drüber nach. Ebenso an meine große tolle Nase ;-).
Hey Patricia
Aus deinen früheren Beiträgen weiß ich, wie schwer und steinig der Weg zur Frau für dich war. Um so mehr freut es mich zu lesen, dass du mit dir selbst zufrieden bist. Ich wünsche mir, dass alle die auf der Suche nach sich selbst (oder bereits auf dem Weg dorthin) sind, einmal auch sagen können: "Ja. Ich gefalle mir so wie ich bin und bin glücklich"
euch allen einen guten Rutsch nach 2020 !!
Liebe Grüße
Sophia
Beiträge: 276
Themen: 19
Registriert seit: Sep 2014
Beziehung zu Forum/Thema: Non-Binary
Land: Österreich
RE: "Passing" Privileg.
(30.06.2019, 07:21)evankun schrieb: Ich persönlich würde gern wissen was ihr von dem sogenannten "Passing" Privileg haltet und ob auch ihr bereits ähnliche Erfahrungen hattet.
Manche haben es, manche nicht. In beiden Fällen gewöhnt man sich wohl daran (wenn auch mit unterschiedlichen Folgen für die Psyche; im zweiten Fall wird man wohl leichter verbittert, zynisch, depressiv, panisch, soziophob, suizidal oder auch alles gleichzeitig).
Erfahrungen damit kann ich nicht bieten, aber ich merke, dass man sich irgendwann von der falschen Hoffnung, es mal zu haben, verabschiedet und dann lebt man einfach mit den oben beschriebenen psychischen Folgen sein "falsches" Leben solange man sein Leben lebt (laal soos).
Das Leben ist eine Komödie und wir sind die Clowns.
|