Rechtsfragen rund um die gaOP
RE: Rechtsfragen rund um die gaOP
Beitrag #7
(09.11.2011, 12:23)Jo* schrieb: Die Problematik der "Körperverletzung" durch genitalanpassende Operationen ist nicht so weit hergeholt. Es war zu entscheiden, unter welchen Umständen genitalanpassende Operationen als Heilbehandlung zu werten sind. [hier gekürzt]
Danke für's Posten der Materialien zur geltenden Fassung von § 90 StGB, Jo, ich trage noch den Volltext der einschlägigen Bestimmungen des StGB (in der geltenden Fassung) nach:
Zitat:
Einwilligung des Verletzten

§ 90. (1) Eine Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit ist nicht rechtswidrig, wenn der Verletzte oder Gefährdete in sie einwilligt und die Verletzung oder Gefährdung als solche nicht gegen die guten Sitten verstößt.

(2) Die von einem Arzt an einer Person mit deren Einwilligung vorgenommene Sterilisation ist nicht rechtswidrig, wenn entweder die Person bereits das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat oder der Eingriff aus anderen Gründen nicht gegen die guten Sitten verstößt.

(3) In eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen, kann nicht eingewilligt werden.

Spannendes juristisches Thema, ich habe mich kurz mal gestern ein wenig intensiver damit beschäftigt.

Wir reden hier über die Einwilligung in Verletzungen (und Gefährdungen) als einen wichtigen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund, das heißt einen zusätzlichen Tatbestand, der, wenn erfüllt, eine an sich verbotene und strafbare Handlung (den Schnitt des Chirurgen in die Brust bei einer "Schönheitsoperation", den Fausthieb des Boxkämpfers ins Gesicht des Gegners, das gestreckte Bein des Verteidigers im Strafraum beim Fußball, etc.) rechtmäßig macht. Man willigt entweder in den konkreten Erfolg (z.B. bei einem chirurgischen Eingriff) oder in die abstrakte Gefährdung (z.B. beim [Kampf-] Sport) ein. Je nachdem ist die Reichweite der Einwilligung zu beurteilen (der Fußballer willigt etwa in die Gefahren des gestreckten Beins ein, nicht aber darin, vom Tormann mit einem Gummiknüppel aus dem Strafraum geprügelt zu werden, während der Boxer durchaus damit rechnen muss, ordentlich Prügel einzustecken).

Eine lege artis (nach den Regeln der Kunst oder Wissenschaft, Stichwort: "Behandlungsrichtlinien", hier spielen die strafrechtlich herein) durchgeführte Heilbehandlung durch eine/n entsprechend qualifizierte/n und befugte/n Ärztin/Arzt nach Einwilligung der/des umfassend und richtig aufgeklärte/n Patientin/Patienten (oder im Notfall auch ohne) erfüllt nach einer Meinung nicht einmal den Tatbestand der Körperverletzung (braucht daher auch keinen Rechtfertigungsgrund) bzw. ist nach anderer Meinung durch den eigenen, speziellen Rechtfertigungsgrund der "Heilbehandlung" gedeckt (so etwa Loebenstein, Die strafrechtliche Haftung des Arztes bei operativen Eingriffen - ein Überblick, ÖJZ 1978, 309). Im Gesetz gibt es für diese Differenzierung allerdings keine ausdrückliche Grundlage, das ist reine Interpretation (laut Loebenstein unter Bezugnahme auf § 110 StGB).

Die ansonsten hier vom Gesetzgeber angewendete, oft gebrauchte Rechtsfigur der "Sittenwidrigkeitsklausel" erlaubt es, ein Gesetz flexibel und im Einklang mit der sozialen Wirklichkeit zu vollziehen. Würde man allein auf den Tatbestand einer "Heilbehandlung" abstellen, hätte sonst die sogenannte "Schönheitschirurgie" tatsächlich ein massives Problem. Heute werden Brustvergrößerungen oder Liftings aber als sozial adäquat und nicht anstößig empfunden, die Risiken sind beherrschbar, daher ist eine entsprechende Einwilligung nach absolut herrschender Meinung gültig und wirksam. Bertel/Schwaighofer (Öster. Strafrecht BT I (3. Aufl), Rz 4 zu § 90) definieren Sittenwidrigkeit in diesem Zusammenhang etwa so: "Sie [die Einwilligung] widerspricht den guten Sitten, wenn dem vorbildlichen Menschen die Sorge um die Gesundheit des Opfers wichtiger wäre als die Rücksicht auf dessen Wünsche."

Bei Eingriffen im Genitalbereich wie Kastration oder Sterilisation ohne medizinische Indikation betreten wir also eine Grauzone, die de iure schon beim Stechen von Ohrlöchern oder Piercings beginnt. In einer überalterten Gesellschaft mit starkem sozialen Zusammenhalt (Generationenvertrag!) könnte die Frage der Sittenwidrigkeit solcher Eingriffe z.B. anders gesehen werden als in einer tendenziell unter Überbevölkerung leidenden Gesellschaft, die die Entscheidungsfreiheit des Individuums hochhält. Hier gibt's außerdem die Sonderregel des Abs 2 (Altersgrenze: 25 Jahre).

Fazit: fiele die Diagnose F-64.0 aus dem ICD, würden sich Chirurgen, die eine gaOP ausführen (aber theoretisch auch andere Mediziner/innen, die an der Behandlung mitwirken), nicht zwingend strafbar machen. Denn damit würde sich ja weder an der gesundheitlichen Situation von Transsexuellen, noch an der Rechtslage irgendetwas ändern, es hätten sich nur die wissenschaftlichen Standards, an denen die medizinische Indikation der gaOP als Heilbehandlung zu messen wäre, verschoben. Der Rechtfertigungsgrund der erteilten Einwilligung könnte die Mediziner/innen aber immer noch decken. Aber auf Grund der dadurch ausgeweiteten Grauzone müsste leider in der sozialen Realität damit gerechnet werden, dass die wenigen österreichischen Chirurgen, die überhaupt eine gaOP machen, dies dann wegen des rechtlichen Risikos ablehnen (die Frage, was mit der Deckung durch die Sozialversicherung ist, klammere ich hier überhaupt aus).

Ich würde in dieser Situation als Chirurgin einfach nach Absprache mit der Patientin/dem Patienten hergehen, einen Operationstermin für eine gaOP ansetzen und dies bei Polizei und Staatsanwaltschaft anzeigen. Sind die der Meinung, dass der Eingriff strafbar wäre, müssten sie intervenieren oder gar anrücken, um mich schon vor dem Stadium des Versuchs davon abzuhalten (§§ 21 Abs 2, 22 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz).

Und dann schauen wir weiter - aber das ist natürlich Theorie und Spekulation!

§ 90 Abs 3 StGB halte ich auf die gaOP, wie schon gesagt, nicht für anwendbar, weil Ziel der gaOP zwar sicher die Veränderung aber nicht die Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens ist. Die von Jo präsentierten Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren bestätigen diese Meinung.
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Zitat



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