Ab wann kann man von Transsexuallität sprechen?
RE: Ab wann kann man von Transsexuallität sprechen?
Beitrag #93
Da ich MzF bin, konzentriere ich mich in meinen Beiträgen primär auf diese Richtung, ohne jede Wertung.
Ich denke, jede/jeder muss seinen eigenen Weg finden, mit dem er/sie leben kann. Manche brauchen die ganze Speisekarte, andere kommen mit bloßem Outing ihrer innersten Gefühle zurecht, andere switchen hin und her, wieder andere ... tanzen halt anders, als die andern. Wink Jeder nach seinen Bedürfnissen.
Die Spannbreite ist weit, die Übergänge fließend, und niemand sollte einer(m) anderen die Authentizität absprechen, weil er/sie einen anderen Lebensweg vertritt.
Nach vielen Jahren des Lebens als Frau, bin ich mir heute sicher, damals den für mich richtigen Weg gegangen zu sein. Trotzdem schaue ich manchmal noch in meinen Kalender, in den ich am Morgen des OP-Tags hineinschrieb: "I hope, I'am right."
Ganz sicher, kann man eben nie sein, auch wenn alle Therapeuten und behandelnden Ärzte meinten, ich wäre ein geradezu klassischer Fall und alles würde gut werden. Aber erst das spätere Leben zeigt, ob "man" wirklich richtig lag oder nicht. Das zeigen auch Fälle, die diesen endgültigen Schritt später bereuen.
Außerdem: Das Leben als Frau ist meist nicht so, wie "Mann" es sich am Anfang seiner Transformation vorstellt. (So er/sie überhaupt jemals dort ankommen, denn nur wenn man von der Masse als Frau wahrgenommen wird, erhält man auch ein weibliches Feedback. Alles andere ist mAn bloß auf Wohlwollen geschminkte Toleranz. Wink )
In vielen Postings lese ich immer nur Träumereien von schön und sexy sein, vom Miniröckchen, Schminke und Nagellack, Dauerwellen, den Nylonstrümpfen, und begehrlichen Blicken der Männer. Das ist nur Klischee und Fassade und hat mit dem Leben als Frau viel weniger zu tun, als manche glauben.
Der weibliche Alltag läuft mAn anders. Frau sein hat viel mit geschlechtsspezifischer Sozialisation zu tun. Mit weiblichen Lebensthemen, wie Kindern, Familie, (ein Thema über das ich hier kaum was lese). Angst vor dem Verlust sexueller Attraktivität, manchmal auch kombiniert mit Angst vor dem Verlust des Partners, geschlechtsspezifisch bedingten, gesellschaftlichen Benachteiligungen, von denen es eine Menge gibt - als Frau kann man sich nicht mehr so benehmen, wie das als Mann früher selbstverständlich war. (Von der völlig anders strukturierten, weiblichen Hackordnung am Hühnerhof mal ganz zu schweigen.) Und all das hat auch etwas mit Verlust von gesellschaftlicher Souveränität zu tun. Glaubt mir, es viel unkomplizierter und einfacher, in unserer Gesellschaft als Mann zu leben.
Das wird mir selbst bei so grundlegenden Dingen, wie dem Pinkeln bewusst. Ja, auch heute noch. Big Grin
Wie einfach und quasi überall möglich, war das als Mann, wie kompliziert und öffentlich tabuisiert, läuft das bei einer Frau ab. Ist halt jedes Mal ein halber Strip und auf die Schnelle und öffentlich kaum zu erledigen. Big Grin
Und bitte nicht vergessen, dass Frau auch älter wird, und damit sexuelle Attraktivität einbüßt. Immer noch ein enorm wichtiger Werte-Gradmesser in unserer männlich dominierten Gesellschaft. Gerade bei Frauen ist damit (leider immer noch) gesellschaftliches Ansehen verbunden, viel mehr, als ein älterer, dickbäuchiger Mann mit Doppelkinn und Schweinebacken zu verlieren hat.
"It's a mans mans world." Und das gilt immer noch!
Erst kürzlich habe ich mich mit einer hüschen, nahezu nicht erkennbaren Trans-Frau lange unterhalten, die sowohl beruflich als auch privat erfolgreich lebt. Sie sagte auf meine Frage, ob sie es wieder tun würde, folgendes: "Zu 51 Prozent JA, zu 49 Prozent NEIN. Ihr Argument: Es ist auf Dauer weit anstrengender, eine Frau zu sein, denn als Mann zu leben. Ich gebe ihr mit dieser Aussage Recht, auch wenn meine persönliche Statistik eher 75 zu 25 Prozent ausfällt.
Natürlich wissen wir beide nicht, was geworden wäre, wenn ... denn diese Entscheidung ist niemals eine freiwillige, sondern fast immer ein Überlebenskonzept, wenn auch der kreativen Art. Somit bleibt uns weit weniger Entscheidungsfreiheit, als manche Unbeteiligte glauben.
Nüchtern gesagt, halte ich ein Leben als physisch und mental gesunder Mann für ebenso lebenswert, wie das einer gesunden Frau. Leider war ich keines von beiden, sonst hätte ich mir viel Schmerzen und Leid erspart! Hätte es die gute Fee mit dem Zauberstab gegeben, lebte ich vermutlich heute noch im angestammten Geschlecht. Allerdings in einem, bei dem geschlechtliche Empfindung und Körper zusammen passten. Bin ich also keine echte Transsexuelle?
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