Beitrag #20
09.09.2012, 23:09
Liebe Frau Danielle,
Danke für Ihre Worte. Ich antworte erst jetzt, ich war ein paar Tage im Ausland und hatte keinen Zugang.
Mir ists wirklich nicht gut gegangen, als ich meinen letzten Beitrag hier verfasst hab, und ich geb zu, ich bin ein schönes Stück ins Hysterische abgeglitten. Aber trotzdem glaub ich, es steht eine wichtige Beobachtung drin.
Vielleicht verstehn Sie mich nicht richtig, wenn ich davon rede, sich selbst, mich selbst zu verlieren und mir gleichgültig zu sein. Und trotzdem sind die Momente, in denen mir das gelingt, die eigentlich glücklichen. Beispiele:
Wenn ich im Hörsaal vor meinen Studierenden steh und ihnen einen diffizilen Beweis verständlich machen soll, kann ich mir gar nicht leisten, an mich selbst zu denken. Erstens weil ich alle meine Konzentration auf die HörerInnen und den Stoff verteilen muss, um den Kontakt zu erhalten und mich auch sachlich nicht zu verheddern, und zweitens, weil ich halb umkäme vor Angst, wenn ich mir dieser ausgesetzten Frontalposition voll bewusst würde. Ich tu einfach, was ich tu.
Ein wunderschönes Beispiel von Selbst-Verlieren hab ich bei meiner Logopädin erlebt. Ich bin auf der Matte gelegen, und sie hat mir vorgemacht - zum Nachsingen - düdüdüdüdü - immer einen Halbton hinauf und wieder runter. Es war so gleichmäßig und ihre Stimme so klar und leicht. Plötzlich war mir das Therapieziel gleichgültig, ob ich männlich oder weiblich klinge. Mich hat nur interessiert, wie man so gleichmäßig dü-dü-dü singen kann.
In der Musik kann ich es oft erleben, zum Beispiel, wenn Bruckner den ersten Satz seiner siebten Symphonie zum Abschluss führt. Fast zögernd und leise setzt das Thema ein, schaukelt sich immer mehr auf, in immer weiteren Wellen, zwischen immer mehr Stimmen, bis die freudigen, strahlenden Trompeten mit ihren aufsteigenden Dur-Dreiklängen den Satz beenden. Da gibt es keinen Platz für "mich", da ist alles Klang und Farbe und Bewegung!
Ich verlier mich, wenn ich Bleistift kauend auf meiner Couch die letzte Viertelpotenz einer infinitesimal kleinen Zahl epsilon suche, oder wenn ich spüre, wie bei einer Prüfung die Nervosität des Studenten in Begeisterung übergeht, weil er den Stoff versteht, und dann gar nicht genug davon bekommt, mir vorzuführen, was er kann.
Es gibt natürlich auch ganz traurige und furchtbare Gelegenheiten, bei denen man sich selbst verliert.
Nur unter Menschen (wenn man von meiner Berufstätigkeit absieht, wo ich das schützende Manterl einer Frau Professor um mich trage) wills mir nicht gelingen. Da spür ich immer mich selbst, und eine dünne unsichtbare, aber undurchlässige Haut zwischen mir und den andern. Und solang es mir nicht gelingt, auch da für mich unwichtig zu sein, damit ich nach aussen hören und fühlen kann, seh ich keinen Weg, Brücken zu schlagen. Ich glaub, um diese Haut gehts in Wirklichkeit, nicht ob ich Mann oder Frau bin, nicht ob reich oder arm, klug oder naiv, hüsch oder hässlich ... Vielleicht verstehn Sie mich jetzt besser, und auch ein bisserl die Verzweiflung an der vertrackten Situation, in der ich mich vergessen möchte und nicht vergessen kann, dass ich mich nicht vergesse.
Hier ist alles so starr. Es ist so wichtig, ob man Frau ist oder sich als Frau fühlt, und wann man sich als Frau fühlen darf. Das Wichtigste, wenn jemand neu in unseren Kreis kommt (wenn ich, Skeptikerin und ein wenig Fremde, von "unserem" Kreis hier vorlaut reden darf) ist nicht: Wie ist dieser Mensch und was fühlt er? Sondern: Welche Diagnose der Transidentität kommt ihm zu? Es ist so wichtig, ob man transident sagt oder transsexuell, und wie man in Wahrheit transsexuell ist. Es gibt uns und die Gesellschaft, und die Gesellschaft tut uns Unrecht und akzeptiert uns zu wenig, weil sie nicht begreift, dass wir die "Natürlichen" sind und sie unverständig und unbelehrt. Es gibt alle die Untaten und das Unverständnis, das Erziehende, Mitmenschen, Ärzte, Psychiater, Beamte an uns verübt haben und die wir nie vergessen dürfen, damit endlich die Gerechtigkeit einkehrt, um die wir kämpfen müssen.
Immer die Plastikhaut zwischen uns und den andern, wobei strittig ist, wer eigentlich "wir" sind, und wo die schicksalhafte Grenze zu den andern nun wirklich verläuft.
Ich komm ganz gut zurecht damit, dass ich mich als Frau fühle und versuche, auch so hinüberzukommen - auch wenn ich das durchaus als eine Abnormalität des Charakters betrachte. Und wenn mich die Menschen als transgeschlechtlich erkennen, weil mein Passing ja doch für eine perfekte Täuschung nicht reicht: Wenn sie mich dann doch akzeptieren, dann empfinde ich das als ein Geschenk und freu mich. Ich will ja ich sein und nicht von einer Maske in die andere flüchten. Aber das ewige Schwanken in seelischen Grenzzuständen, immer mit eingeschränkter Leistungs- und Kontaktfähigkeit, das nicht aufmachen können und nicht leicht werden können: das empfind ich als Defekt und Persönlichkeitsstörung. Ich seh sie, aber ich kann (noch?) nicht drüber.
Hier steh ich und kann nicht anders, Gott helfe mir weiter. (Martin Luther).
Danke für Ihre Worte. Ich antworte erst jetzt, ich war ein paar Tage im Ausland und hatte keinen Zugang.
Mir ists wirklich nicht gut gegangen, als ich meinen letzten Beitrag hier verfasst hab, und ich geb zu, ich bin ein schönes Stück ins Hysterische abgeglitten. Aber trotzdem glaub ich, es steht eine wichtige Beobachtung drin.
Vielleicht verstehn Sie mich nicht richtig, wenn ich davon rede, sich selbst, mich selbst zu verlieren und mir gleichgültig zu sein. Und trotzdem sind die Momente, in denen mir das gelingt, die eigentlich glücklichen. Beispiele:
Wenn ich im Hörsaal vor meinen Studierenden steh und ihnen einen diffizilen Beweis verständlich machen soll, kann ich mir gar nicht leisten, an mich selbst zu denken. Erstens weil ich alle meine Konzentration auf die HörerInnen und den Stoff verteilen muss, um den Kontakt zu erhalten und mich auch sachlich nicht zu verheddern, und zweitens, weil ich halb umkäme vor Angst, wenn ich mir dieser ausgesetzten Frontalposition voll bewusst würde. Ich tu einfach, was ich tu.
Ein wunderschönes Beispiel von Selbst-Verlieren hab ich bei meiner Logopädin erlebt. Ich bin auf der Matte gelegen, und sie hat mir vorgemacht - zum Nachsingen - düdüdüdüdü - immer einen Halbton hinauf und wieder runter. Es war so gleichmäßig und ihre Stimme so klar und leicht. Plötzlich war mir das Therapieziel gleichgültig, ob ich männlich oder weiblich klinge. Mich hat nur interessiert, wie man so gleichmäßig dü-dü-dü singen kann.
In der Musik kann ich es oft erleben, zum Beispiel, wenn Bruckner den ersten Satz seiner siebten Symphonie zum Abschluss führt. Fast zögernd und leise setzt das Thema ein, schaukelt sich immer mehr auf, in immer weiteren Wellen, zwischen immer mehr Stimmen, bis die freudigen, strahlenden Trompeten mit ihren aufsteigenden Dur-Dreiklängen den Satz beenden. Da gibt es keinen Platz für "mich", da ist alles Klang und Farbe und Bewegung!
Ich verlier mich, wenn ich Bleistift kauend auf meiner Couch die letzte Viertelpotenz einer infinitesimal kleinen Zahl epsilon suche, oder wenn ich spüre, wie bei einer Prüfung die Nervosität des Studenten in Begeisterung übergeht, weil er den Stoff versteht, und dann gar nicht genug davon bekommt, mir vorzuführen, was er kann.
Es gibt natürlich auch ganz traurige und furchtbare Gelegenheiten, bei denen man sich selbst verliert.
Nur unter Menschen (wenn man von meiner Berufstätigkeit absieht, wo ich das schützende Manterl einer Frau Professor um mich trage) wills mir nicht gelingen. Da spür ich immer mich selbst, und eine dünne unsichtbare, aber undurchlässige Haut zwischen mir und den andern. Und solang es mir nicht gelingt, auch da für mich unwichtig zu sein, damit ich nach aussen hören und fühlen kann, seh ich keinen Weg, Brücken zu schlagen. Ich glaub, um diese Haut gehts in Wirklichkeit, nicht ob ich Mann oder Frau bin, nicht ob reich oder arm, klug oder naiv, hüsch oder hässlich ... Vielleicht verstehn Sie mich jetzt besser, und auch ein bisserl die Verzweiflung an der vertrackten Situation, in der ich mich vergessen möchte und nicht vergessen kann, dass ich mich nicht vergesse.
Hier ist alles so starr. Es ist so wichtig, ob man Frau ist oder sich als Frau fühlt, und wann man sich als Frau fühlen darf. Das Wichtigste, wenn jemand neu in unseren Kreis kommt (wenn ich, Skeptikerin und ein wenig Fremde, von "unserem" Kreis hier vorlaut reden darf) ist nicht: Wie ist dieser Mensch und was fühlt er? Sondern: Welche Diagnose der Transidentität kommt ihm zu? Es ist so wichtig, ob man transident sagt oder transsexuell, und wie man in Wahrheit transsexuell ist. Es gibt uns und die Gesellschaft, und die Gesellschaft tut uns Unrecht und akzeptiert uns zu wenig, weil sie nicht begreift, dass wir die "Natürlichen" sind und sie unverständig und unbelehrt. Es gibt alle die Untaten und das Unverständnis, das Erziehende, Mitmenschen, Ärzte, Psychiater, Beamte an uns verübt haben und die wir nie vergessen dürfen, damit endlich die Gerechtigkeit einkehrt, um die wir kämpfen müssen.
Immer die Plastikhaut zwischen uns und den andern, wobei strittig ist, wer eigentlich "wir" sind, und wo die schicksalhafte Grenze zu den andern nun wirklich verläuft.
Ich komm ganz gut zurecht damit, dass ich mich als Frau fühle und versuche, auch so hinüberzukommen - auch wenn ich das durchaus als eine Abnormalität des Charakters betrachte. Und wenn mich die Menschen als transgeschlechtlich erkennen, weil mein Passing ja doch für eine perfekte Täuschung nicht reicht: Wenn sie mich dann doch akzeptieren, dann empfinde ich das als ein Geschenk und freu mich. Ich will ja ich sein und nicht von einer Maske in die andere flüchten. Aber das ewige Schwanken in seelischen Grenzzuständen, immer mit eingeschränkter Leistungs- und Kontaktfähigkeit, das nicht aufmachen können und nicht leicht werden können: das empfind ich als Defekt und Persönlichkeitsstörung. Ich seh sie, aber ich kann (noch?) nicht drüber.
Hier steh ich und kann nicht anders, Gott helfe mir weiter. (Martin Luther).