Diskriminierung in der Arbeit ohne Personenstandsänderung (PÄ)
RE: diskriminierung in der arbeit ohne Pä
Beitrag #81
(10.02.2016, 19:31)Mike-Tanja schrieb:
Im Gleichbehandlungsrecht geht es um - erraten - Rechtsfragen. Und das Geschlecht ist hier eine rechtliche Kategorie: dychotomisch, zweitgeteilt, schwarz oder weiß, rosa oder blaues Strampelhoserl. Tertium non datur, wie die (Küchen-) Lateinerin sagt, eine dritte Variante gibt es nicht.

[...hier gekürzt ...]

Was kann man also tun? Den Versuch, eine Diskriminierung als Frau (auf Grund des Geschlechts, § 3 GlBG) geltend zu machen, wird man vor der PÄ rechtlich nicht "daheb'n". Der einzige gangbare Weg wäre es daher, mit einer Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung (§ 17 Abs. 1 5. Fall GlBG) zu argumentieren. Das Problem ist, dass man damit seine eigene Position verwischt und verzerrt, denn mrs.moustache ist ja nicht diskriminiert worden, weil sie lesbisch oder schwul ist. Sie ist diskriminiert worden, weil ihre Geschlechtsidentität ohne amtliche Anerkennung nicht anerkannt worden ist.

Tanja, du unterliegst hier objektiv einem schwerwiegenden Irrtum:

Das GlBG stellt weder auf Frau und Mann per se ab, noch auf das im Geburtenbuch eingetragene Hebammengeschlecht. Schutzzweck ist hingegen die Nichtdiskriminierung aufgrund des Geschlechts. Das Geschlecht ist hier ebensowenig rechtlich definiert, wie auch im sonstigen österreichischen Recht. Die Definition von Geschlecht, ie was Frau und was Mann ist, ergibt sich, wie du ja weißt, nur aus der RSpr und wird je Rechtsbereich durchaus auch unterschiedlich ausgelegt.

Im Fall des GlBG ist mensch nicht nur vor Diskriminierung aufgrund des rechtlich-amtlichen bi-polaren Geschlecht geschützt, sondern auch aufgrund des Identitätsgeschlechts bzw. der Geschlechtsidentität, wie sich ja auch aus der einige Seiten in dem Thread vorher verlinkten Kurzinformation der Gleichbehandlungsanwaltschaft Gleichbehandlung für TransGender Personen und Intersexuelle (2011) ergibt (auf die du dich, siehe weiter unten zitiert, ja auch bezogen hast), siehe:

Gleichbehandlungsanwaltschaft schrieb:Der im Gleichbehandlungsgesetz verwendete Begriff „Geschlecht“ beinhaltet sowohl das biologische Geschlecht (im Englischen als „sex“ bezeichnet) als auch das soziale Geschlecht („gender“). Darüber hinaus kann „Geschlecht“ in diesem Zusammenhang auch die Geschlechtsidentität („gender identity“) meinen.

Geschlecht in diesem Sinn ist keine fixe Kategorie, sondern beruht auf gesellschaftlichen Vereinbarungen, Konstruktionen und Zwängen. Es ist dadurch auch wandelbar. [sic!]

[...]

Daraus folgt, dass auch bereits _vor_ einer PÄ nichts rechtlich zu "daheb'n" ist: Eine TG-Person ist auch vor bzw. überhaupt auch ohne PÄ im Sinne des Geschlechts des GlBG von der Nichtdiskriminierung umfasst. Der von dir angedachte Umweg "Der einzige gangbare Weg wäre es daher, mit einer Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung (§ 17 Abs. 1 5. Fall GlBG) zu argumentieren" "verwischt und verzerrt" nicht nur die "eigene Position", sondern wäre von der falschen Tatsachenbehauptung abgesehen, obendrein auch eine Eigendiskriminierung, wenn man/frau sich selbst in ein anderes "Kastl" steckt (oder glaubt, sich stecken zu müssen) um zum eigenen Recht zu kommen.

(10.02.2016, 19:31)Mike-Tanja schrieb:
Umgekehrt ist der Arbeitgeber nämlich verpflichtet, seine Arbeitnehmer/innen vor jeder "Belästigung" (das ist ein fast unendlich weiter Begriff, der im Gleichbehandlungsrecht vom Pograpschen über berufliches Mobbing bis zum Erzählen boshafter Witze reicht) zu schützen (§ 21 GlBG). Angesichts der Weite und Unbestimmtheit des Belästigungsbegriffs werden viele dem Arbeitgeber Verständnis entgegenbringen, wenn er sich da in einem konkreten Streitfall auf die amtlich gezogenen Geschlechtergrenzen beruft.

Wenngleich der erste der beiden Sätze mit der Verpflichtung des AG seine AN/innen vor jeder Belästigung zu schützen volle Richtigkeit hat, so stimmt der zweite Satz zwar möglicherweise aus dem Verständnisaspekt, rechtlich hält dieses Verständnis, sich auf die amtlich gezogenen Geschlechtergrenzen zu berufen, jedoch nicht, siehe oben.

Was das Thema der Fürsorgepflicht des AG seinen AN/innen gegenüber betrifft, so umfasst die auch die Versorgung mit bedarfsgerechten, zumutbaren Toilettenanlagen und, so generell vorhanden, Sozial- bzw. Umkleideräumen. Einer geouteten Transfrau ist die verordnete Benützung einer Herrentoilette genauso nicht zumutbar, wie auch einem geouteten Transmann die verordnete Benützung einer Damentoilette nicht zumutbar ist. Von der anderen Seite aus betrachtet, ist es hingegen auch den anderen Arbeitnehmerinnen nicht zumutbar als Frau sich das WC mit einem Transmann, bzw. als Mann sich das WC mit einer Transfrau, teilen zu müssen.

Verordnet der AG der Transfrau, dass sie die Damentoilette nicht benützen darf (schlimm genug), so ist das mindeste im Rahmen seiner Fürsorgepflicht, dass er dafür sorgt, dass der Transfrau eine adäquate Toilettenlösung zur Verfügung steht. Ohne dies ist die Antwort einer Kündigung bei Missachtung des Toilettenverbots schlichtweg eine verpönte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Daran führt kein Weg vorbei.

(10.02.2016, 19:31)Mike-Tanja schrieb:
Die Broschüre der Gleichbehandlungsanwaltschaft, die jemand dankenswerterweise verlinkt hat, geht auf die heikle Frage der WC-Benützung am Arbeitsplatz bezeichnenderweise nicht ein. Man könnte m.E. leichter Schadenersatz durchsetzen, wenn man einen Job trotz bester Qualifikation nicht bekommen hat, weil man als Tivi en femme zum Vorstellungsgespräch erschienen ist, als mrs.moustaches Problem zu lösen.

Dass die genannte Kurzinformation ("Broschüre") die WC-Benützung am Arbeitsplatz nicht expressis verbis anführt, ist auch gar nicht notwendig. Denn:

Gleichbehandlungsanwaltschaft (hervorgehoben in roter Schrift) schrieb:Das Gleichbehandlungsgesetz verbietet Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts im Bereich der Arbeitswelt (Privatwirtschaft) und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen [...].

Der Begriff der Dienstleistungen im Bereich der Arbeitswelt umfasst auch die Zurverfügungstellung von adäquaten Sanitäranlagen am Arbeitsplatz.

(10.02.2016, 19:31)Mike-Tanja schrieb:
Rechtlich schlechte Karten also, wie ich es auch drehe und wende. Sad [...]

MMn ist das Gegenteil der Fall: Die Karten sind aus oben angeführten Argumenten sogar sehr gut.
Zitat



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