Beitrag #8
05.10.2016, 19:00
(05.10.2016, 15:46)invisible schrieb:(05.10.2016, 09:10)Eva_Tg schrieb: Eigentlich gibt es darauf nur eine Antwort, wenn der Schmerz zu groß wird, dann muss man sein Leben ändern.
Das Kernproblem bei Transidentität ist ganz einfach, dass man kein Leben im biologischen Geschlecht führen kann. Es ist nicht möglich. Man ist damit einfach überfordert, weil man permanent darum bemüht ist die Erwartungen an die soziale Rolle zu erfüllen. Von den, ich nenne sie jetzt mal "Minderwertigkeitskomplexen" wegen dem eigenen Aussehen ganz zu schweigen.
Ich habe das große Glück dass ich in meinem Umfeld nicht gezwungen bin, die männliche soziale Rolle (die ich verabscheue) wirklich zu spielen. Das liegt vielleicht an meinem Beruf, oder ich habe einfach nur Glück.
Aber bei mir findet niemand was dabei dass ich als "Mann" lange Haare habe, oder ab und zu mit meinem Kilt zur Arbeit komme. :-) Niemand erwartet von mir, stark zu sein oder den Primaten zu geben.
Die Komplexe wegen dem Aussehen hab ich natürlich schon. Ich will mich zur Zeit ja nichtmal in den Spiegel schauen.
Was nicht heißt, dass ich mich selbst nicht annehme oder lieb haben kann. Ich gebe mir ja nicht die Schuld an diesem Zustand.
Na ja, gezwungen wirst du schon, jeder spricht dich mit Herr an, das ist nicht nur bloße Höflichkeit, sondern impliziert auch gewisse Erwartungen an die Geschlechterrolle. Männer und Frauen unterscheiden sich eben nicht nur durchs Aussehen und die Anrede. Das alles aufzuzählen und zu erklären würde den Rahmen sprengen, aber mit Transidentität weiß man einfach das man die Rolle, die einem durch das Geburtsgeschlecht zugewiesen wurde einfach nicht auasfüllen und leben kann.
Und über das andere muss ich jetzt ein wenig lächeln, als begeisterte Laiendarstellerin auf Mittelalter-Märkten weiß ich das ein Kilt ein Kleidungsstück nur für Männer ist und absolut nichts mit einem Rock zu tun hat. Ich als Frau würde nie im Leben einen Kilt anziehen, da würde ich mir lächerlich vorkommen. Und die langen Haare? Fast alle meine Freunde aus der Mittelalter-Szene haben lange Haare, viele sogar mit aufwändig geflochtenen Zöpfen.
Also Kleidung und Frisur lassen eher auf den kulturellen Hintergrund als auf das Geschlecht schließen.
Mal so als Gegenfrage was ist Make-up oder BHs oder Pumps, wie würde dein Umfeld da reagieren?
Bei Transidentität geht es eigentlich darum, wie nehmen andere mein Geschlecht wahr und behandeln sie mich entsprechend meinem Geschlecht? Vor der Transition wird man immer falsch eingeordnet, weil die Menschen nur nach der Biologie gehen. Aber später gehen sie dann eher nach der sozialen Rolle, wobei natürlich das Aussehen und das eigene Verhalten eine große Rolle spielen.
Ich kann hier nur für meine Person sprechen, aber selbst wenn ich mit zusammen gebundenen Haaren und leichtem Make-up da sitze und viele Menschen vielleicht mein Geburtsgeschlecht erkennen/erahnen, werde ich eher gefragt, ob ich mal ein Mann war, als dass ich gefragt werde ob ein Mann bin. Ich hoffe dieser Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist verständlich.
(05.10.2016, 15:46)invisible schrieb:(05.10.2016, 09:10)Eva_Tg schrieb: Das alles hält an nicht ewig aus, vielleicht 10 Jahre, vielleicht 20 Jahre, aber bestimmt nicht ein ganzes Leben lang. Es hilft auch nichts sich in Arbeit, Hobbies oder Beziehungen zu flüchten, weil es exstenzielle Probleme sind, die immer da sind.
Ich habe Angst dass es bei mir genau so ist wie du schreibst - dass es jetzt immer schlimmer wird.
Ich will dich nicht entmutigen, aber da die Schere zwischen dem was man empfindet und dem wie andere einen wahrnehmen immer weiter auseinander geht, kann es sehr wohl noch schlimmer werden.
Ich kann wieder nur für meine Person sprechen, aber bei mir war es letztlich so schlimm, dass ich nicht mal mehr als Mann arbeiten konnte.
Wie gesagt Transidentität ist ein exstenzielles Problem, aber was das letztlich für die Betroffenen bedeutet verstehen die wenigsten.
(05.10.2016, 15:46)invisible schrieb:(05.10.2016, 09:10)Eva_Tg schrieb: Wenn man sich outet und die Transition beginnt, heißt es nicht das es automatisch besser wird, aber man lernt dann hoffentlich besser mit den eigenen Problemen umzugehen. Und dann kann man hoffentlich irgendwann das eigene Leben besser meistern.
Das ist ein sehr bedeutender Punkt. Wenn man sich traut, diesen Schritt zu gehen erwartet man natürlich das alles besser wird. Warum sonst dieses Risiko eingehen und diese große Last auf sich nehmen? Ich glaube ich bin einfach von meinem ganzen Lebensweg so verunsichert dass ich kein Risiko eingehen will - mit der Konsequenz dass ich in manchen schmerzvollen Situationen verharre.
Aber zu lernen, das eigene Leben besser zu meistern, steht das nicht jedem offen auch ohne Transition?
Natürlich steht das jedem offen, aber wenn man von Transidentität betroffen ist, dann gibt es wenig bis gar keine Alternativen. Das sind zwar keine Gesetzmässigkeiten, aber Erfahrungswerte aus vielen, vielen Einzelfällen.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, was meine Therapeutin mir bei unserer zweiten oder dritten Sitzung auf den Kopf zu sage, nämlich: "Sie werden ihr Leben nur in den Griff kriegen und mit sich selbst ins Reine kommen, wenn komplett als Frau leben."
Ich weiß nicht, ob das irgendwas mit Risiko zu tun hat, oder der Angst davor, aber irgendwann wird der Schmerz einfach zu groß. Dann spielt die Angst auch keine Rolle mehr.
Zu viel Wahrheit wird nicht erkannt; Zu viel Tod am Wegesrand.
Erst auf den zweiten Blick; Erkennst du was dahinter steckt.
Erst auf den zweiten Blick; Erkennst du was dahinter steckt.