Beitrag #38
16.03.2018, 00:02
(15.03.2018, 02:11)Falling Snow schrieb: welcher vom geldinstitut eine "frau"anrede einfordert, während ebenjenes auf dem sprachlich generischen maskulin beharrt.
Wenn ich das richtig verstanden habe, ging es da um Bezeichnungen wie "der Kunde" vs. "die Kundin", irgendsowas halt.
Ich schaue nun gerade mal verunsichert auf meinen letzten Kreditkartenauszug. Anschrift ist "Frau ...", weiter unten steht irgendwo "Karteninhaber/in". Ginge das ok, oder habe ich da lediglich irgendwelche Sensibilitäten nicht entwickelt (s.u.)?
Zitat:wieso in aller welt bestehen menschen darauf, das sprache geschlechtsbezogen sein sollte. anders gesagt.... warum ist es so wichtig, das bei allem und jedem und so oft wie möglich bezug darauf genommen wird, was ich zwischen meinen beinen/schultern habe?
Weil Heten sexbesessene Monster sind, die immer nur an "das eine" denken können Ok, im Ernst, soziologisch (auch nicht gerade meine Lieblingswissenschaft ) gesprochen: es sind die potentiellen Beziehungen, die hier "verhandelt" werden.
Aber aus diesem Geschlechter- und Beziehungssystem bin ich schon seit frühester Kindheit unwiederbringlich 'raus (und muß mir etwas anderes/besseres einfallen lassen...). Ich fühle mich da auch nur vor den Kopf gestoßen, und "Erklärungen" sollte man sich ausgerechnet von meiner unbedeutenden Wenigkeit lieber nicht erwarten.
Zitat:muß dann, um es "allen" gerecht zu machen, die sprache übern jordan gebogen werden?
Mir verbiegt sich eher allmählich das Gehirn. So viel zum Thema "Sprache und Denken" Wenn man mehrsprachig ist, geht man peinlicherweise mal leicht über irgendetwas hinweg, auch über stilistische Fragen. Oder oft merkt man nicht einmal, was für eine Sprache das ist, in der man gerade etwas liest
Aber dann, es gibt ja Sprachen ganz ohne "grammatisches Geschlecht", welche mit Maskulina/Feminina/Neutra, Maskulina/Feminina, Animata/Inanimata (= belebt/unbelebt), Menschliche Maskulina/Menschliche Feminina/Sonstige Animata/Inanimata und noch etliches mehr. Wenn ich an die Gesellschaften denke, in denen jeweils so einige dieser Sprachen gesprochen werden, dann muß ich leider zugeben, mir ist da einiges nicht so recht geheuer.
Zitat:und her mit generischer grammatik für alle oder aber neutralen endungen, pronomen usw.
Das hätte mir gerade noch gefehlt, daß ich nochmal neu Deutsch lernen muß. Aber war ja klar: Eine Schlange, die sich um meinen Fuß gewickelt hat, verläßt mich nicht, ohne mich vorher gebissen zu haben.
(15.03.2018, 07:01)Bonita schrieb: In Ur-Sprachen gabs (gibts?) wohl eine neutrale Bezeichnung für Frau und Mann, es gab lediglich Worte/Bezeichnungen/Beschreibungen, wie sich dieser Mensch grade benimmt, was im Alltäglichen getan wird und werden muss usw usf. Klar zeigte da manches auf Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern.
Hölle! Du kennst Dich mit Sprachevolution, Paläolinguistik und sowas aus?
Es gäbe ja durchaus immer noch Wörter wie "Person", "Individuum", "Mensch" oder so. Das Problem ist, "Mann" oder "Frau" werden bevorzugt angewandt (vgl. Falling Snow's Ausführungen). Ich habe mich da auch mal mit einer ehemaligen deutschen Bekannten regelmäßig gestritten, weil die "Person" nur als Schimpfwort kannte und stur darauf beharrte. Dagegen käme ich mir bis heute echt blöd vor, wenn ich jemanden beleidigen wollte, "Person" zu sagen.
Zitat:Das hat sich dann (wohl zumindest) seit den monotheistischen Religionen (die mit nur einem - auch hier: "männlichen" - Gott) ins Patriachale gewandelt - es gab und gibt "heilige" Schriften, in denen dann sehr genau in Mann und (Koch-, Putz-, Kinderbetreu- und Gebär-) Sklave äh Frau unterschieden wurde - und im Grunde noch wird; Daraus entwickelten sich viele Worte/Bezeichnungen/Texte die für alle Menschen zu gelten hatten, ua Gesetze - und, da zumindest zwischen Frau und Mann "getrennt" wurde, Sprache da bereits ungerecht wurde und ist, aber sich letztlich auch unsere "modernere" Sprache entwickelte...
Ich frage mich auch, was mit diesen Leuten eigentlich los war Das muß schon ziemlich lange so gegangen sein.
Religion kann so herrlich kompliziert sein, es gibt ja nicht nur monotheistische Monolatrie, also Verehrung eines Gottes, weil er eine privilegierte Stellung hat – es aber durchaus noch so etwas wie Geister, Engel, Heilige usw. geben kann. Sondern auch polytheistische Monolatrie, also Verehrung eines Gottes, während man andere Gottheiten oder bestimmte Phänomene, philosophische Konzepte, abstrakte Ideen usw. anerkennt. Oder auch nur eine gewisse Tendenz zu letzterem hat. Es können auch Göttinnen eine sehr hohe Verehrung genießen, eine zentrale Rolle in der Mythologie spielen, etc.
Und dennoch können die Gesellschaften, in denen es solche Religionen gibt/gab, alles andere als egalitär sein – sowohl in Bezug auf Geschlecht, wie auch soziale Stratifizierungen. Dazu dann noch womöglich eine nur widerlich zu nennende "Biopolitik", auch zerstörerische Eingriffe in die Natur, etc.
Es versteht sich auch von selbst, wenn ich der Oberschicht angehöre, dann beute ich unweigerlich Männer wie Frauen aus Mittel- und Unterschicht (aber wahrscheinlich auch noch so einige andere aus der Oberschicht), männliche wie weibliche Dienstverpflichtete, Sklaven etc. aus, schädige die teils schwer an Leib & Seele, wenn ich nicht gleich für deren vorzeitiges Ableben sorge. Zugleich stecke ich aber auch selbst in Zwangszusammenhängen, werde meinerseits ausgebeutet, kann Intrigen, Ränkespielen, Palastrevolten, Protektion, Nepotismus etc. zum Opfer fallen.
Zwar sind "power relationships" ein Modethema, aber man darf sich das nicht gar zu einfach vorstellen.
Bisweilen versuche ich mir einzubilden, in manchen dieser Gesellschaften gab es wenigstens noch nicht-binäre Geschlechtersysteme. Und auch sonst war das Leben vielleicht nicht immer gar so unangenehm. Aber manchmal ist es mir auch in dieser Hinsicht nicht wirklich ganz so geheuer