Beitrag #48
30.04.2018, 08:26
Oh, das ist eine sehr radikale Sicht, männlich oder weiblich identifizierte Intersexen als "trans" zu bezeichnen. Aber das gab es tatsächlich alles schon vor über 20 Jahren.
Genauso, Geschlechtszuweisungen mit chirurgischen Mitteln (radikal gesehen: IGM = Intersex Genital Mutilation) und psychosozialen Strategien (radikal gesehen: Psychoterror) als "Zwangstranssexualisierung" zu bezeichnen. Das werden sicherlich nicht alle IS so sehen (und TS nicht unbedingt sehr schmeichelhaft finden), aber es ist verständlich, daß Leute, die sich endlich aus diesem (leider immer noch üblichen) Gesinnungssumpf befreien konnten, sehr aggressiv werden konnten. Vor manchen hatte ich wirklich Angst. Obschon ich gleichzeitig sah, wie elend es denen ging.
Es gab allerdings tatsächlich auch schon lange vorher sogar teilweise recht schonungslose Kritiken an dieser "Zuweisungspraxis" von wissenschaftlicher Seite. Hat nur wohl mal wieder keiner gelesen, oder zumindest nicht beherzigt, oder auch alle Bedenken leichtfüßig vom Tisch gewischt.
Ich mag hier auch an die von Yogeśvara präsentierte Statistik denken, wonach sich trotz veränderter Richtlinien nichts an der Zahl der Zwangs-OPs geändert hat. Geschweige, daß die ganzen schönen Diskussionen der 1990er Jahre sowieso effektiv nichts gebracht haben. Manchmal denke ich, Mediziner verhalten sich wie nasse Mehlsäcke Mir fällt dazu das häßliche Wort Gaslighting ein, das nun schon seit ein paar Jahren in Berichten auftaucht, wie v.a. Eltern und weitere Umfelder mit TS umgehen. Ob IS das so sähen, weiß ich nicht.
IS, die sich als IS definierten (also so gesehen als "cis"), bezeichneten das oft als "politische Identität". Die hatten sogar manchmal "Kampfnamen". Wie die so für sich dachten, ist mir nie klar geworden. Manche Äußerungen hätte ich so interpretieren können, als seien die – unabhängig von offizieller Zuweisung und politischer Programmatik – männlich oder eher männlich identifiziert. Es gab (und gibt immer noch) etliche, die ab irgendwann Testosteron nahmen, selbst wenn sie sie an einer offiziell weiblichen Zuweisungen rein formal nichts änderten. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Aber ich bin nicht davon überzeugt, daß es nichts zu bedeuten hat.
Da kann natürlich zumindest der Versuch zu einem IS Essenzialismus mit drin stecken, also eine Variante von biologistischem Determinismus. "Nature vs. nurture" spielte in den damaligen Diskursen ohnehin eine große Rolle, und die fanden ja auch ganz toll, daß Diamond nach 20 Jahren endlich mit Money über den berüchtigten Fall Reimer abrechnen konnte. Da gab es dann noch einen weiteren publizierten Fall (eigentlich ja von MGM = Male Genital Mutilation), der es aber zumindest damals besser ging. Und Fälle von Kloakenekstrophie hat man auch gleich mit beigemengt.
Irgendwie trägt IS als TS vs. CS zu verschubladen zu deren Verständnis aber wohl ähnlich viel bei wie sie nach hetero vs. homo wegzusortieren. Wie die eine in dem Interview gegen Ende der Sendung lachend sagte, wäre sie homosexuell, so hätte sie nicht so viel Auswahl Aber schön, was geht eine breitere Öffentlichkeit überhaupt deren Gefühlsleben an?
Anders gesagt, wenn ich jemanden in Features wie [±inter ±trans ±homo ±polyamorös usw.] zerlegen kann, dann habe ich den irgendwo in ein n-dimensionales Koordinatensystem eingetragen. Aber außer eine konventionelle Denkungsart zu bedienen habe ich nichts damit gewonnen.
Besonders doof komme ich mir vor, wenn ich an meinen Freund damals in den tiefsten 1970ern denke. Hätte der mir nicht gesagt, daß seine Mutter mit ihm bei irgendsoeinem verrückten Professor vorstellig geworden wäre, wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß er "IS" sein könnte. Mir ist auch nie klar geworden, wie seine Mutter überhaupt auf die Schapsidee gekommen war. Aber er hat sichtlich unter dem ganzen Blödsinn gelitten, den man ihm zugemutet hat. Aber wenn jemand von uns beiden TS war, dann war ich das (was er selbstredend wußte ).
Von "Non-Binary" habe ich erst vor ein paar Jahren mal gehört. Kritik an Binarismus ist sicherlich älter, aber ob das im Intersex Movement damals eine größere Rolle spielte, weiß ich nicht.
Tja, das sind sehr gute Fragen: was ist eine "Identität"? was ist ein "Wesen"? Wenn mir dazu etwas sinnvolles einfällt, kann ich ja mal dazu zu schreiben versuchen
Aber non-ternary gefällt mir, das hat etwas widerständiges.
Man könnte sogar noch weiter gehen. Etwa fand ich den Artikel von Fausto-Sterling ("The five sexes: why male and female are not enough." The Sciences 33/2 (March/April 1993): 20-26), obschon der so viel losgetreten hat, nicht so originell. Eine Idee dabei war, "weibliche Pseudohermaphroditen" (ferms), "echte Hermaphroditen" (herms) und "männliche Pseudohermaphroditen" (merms) in den Rang eigener Geschlechter zu erheben. Das war eine ganz witzige Provokation, aber die Fausto-Sterling weiß selber, daß der phänomenologische Bereich von IS viel komplexer ist, schreibt auch, daß man das anders hätte machen können. Es ging also um das Aufbrechen des Binarismus. Es wäre ergo damals müßige Spielerei gewesen, eine "anti-quinäre" Position aufzubauen. Nach den Entwicklungen der letzten 25 Jahre könnte man das vielleicht sogar interessanter finden.
Intergender ist auch schon eine sehr alte Idee, oder nunmehr eben inter* (als Wildcard für Intersex und/oder Intergender). Diese ganzen Ideen wie auch NB, Crossgender etc. etc. scheinen zumindest für mich aus der Distanz schon so irgendwie ähnlich.
Genauso, Geschlechtszuweisungen mit chirurgischen Mitteln (radikal gesehen: IGM = Intersex Genital Mutilation) und psychosozialen Strategien (radikal gesehen: Psychoterror) als "Zwangstranssexualisierung" zu bezeichnen. Das werden sicherlich nicht alle IS so sehen (und TS nicht unbedingt sehr schmeichelhaft finden), aber es ist verständlich, daß Leute, die sich endlich aus diesem (leider immer noch üblichen) Gesinnungssumpf befreien konnten, sehr aggressiv werden konnten. Vor manchen hatte ich wirklich Angst. Obschon ich gleichzeitig sah, wie elend es denen ging.
Es gab allerdings tatsächlich auch schon lange vorher sogar teilweise recht schonungslose Kritiken an dieser "Zuweisungspraxis" von wissenschaftlicher Seite. Hat nur wohl mal wieder keiner gelesen, oder zumindest nicht beherzigt, oder auch alle Bedenken leichtfüßig vom Tisch gewischt.
Ich mag hier auch an die von Yogeśvara präsentierte Statistik denken, wonach sich trotz veränderter Richtlinien nichts an der Zahl der Zwangs-OPs geändert hat. Geschweige, daß die ganzen schönen Diskussionen der 1990er Jahre sowieso effektiv nichts gebracht haben. Manchmal denke ich, Mediziner verhalten sich wie nasse Mehlsäcke Mir fällt dazu das häßliche Wort Gaslighting ein, das nun schon seit ein paar Jahren in Berichten auftaucht, wie v.a. Eltern und weitere Umfelder mit TS umgehen. Ob IS das so sähen, weiß ich nicht.
IS, die sich als IS definierten (also so gesehen als "cis"), bezeichneten das oft als "politische Identität". Die hatten sogar manchmal "Kampfnamen". Wie die so für sich dachten, ist mir nie klar geworden. Manche Äußerungen hätte ich so interpretieren können, als seien die – unabhängig von offizieller Zuweisung und politischer Programmatik – männlich oder eher männlich identifiziert. Es gab (und gibt immer noch) etliche, die ab irgendwann Testosteron nahmen, selbst wenn sie sie an einer offiziell weiblichen Zuweisungen rein formal nichts änderten. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Aber ich bin nicht davon überzeugt, daß es nichts zu bedeuten hat.
Da kann natürlich zumindest der Versuch zu einem IS Essenzialismus mit drin stecken, also eine Variante von biologistischem Determinismus. "Nature vs. nurture" spielte in den damaligen Diskursen ohnehin eine große Rolle, und die fanden ja auch ganz toll, daß Diamond nach 20 Jahren endlich mit Money über den berüchtigten Fall Reimer abrechnen konnte. Da gab es dann noch einen weiteren publizierten Fall (eigentlich ja von MGM = Male Genital Mutilation), der es aber zumindest damals besser ging. Und Fälle von Kloakenekstrophie hat man auch gleich mit beigemengt.
Irgendwie trägt IS als TS vs. CS zu verschubladen zu deren Verständnis aber wohl ähnlich viel bei wie sie nach hetero vs. homo wegzusortieren. Wie die eine in dem Interview gegen Ende der Sendung lachend sagte, wäre sie homosexuell, so hätte sie nicht so viel Auswahl Aber schön, was geht eine breitere Öffentlichkeit überhaupt deren Gefühlsleben an?
Anders gesagt, wenn ich jemanden in Features wie [±inter ±trans ±homo ±polyamorös usw.] zerlegen kann, dann habe ich den irgendwo in ein n-dimensionales Koordinatensystem eingetragen. Aber außer eine konventionelle Denkungsart zu bedienen habe ich nichts damit gewonnen.
Besonders doof komme ich mir vor, wenn ich an meinen Freund damals in den tiefsten 1970ern denke. Hätte der mir nicht gesagt, daß seine Mutter mit ihm bei irgendsoeinem verrückten Professor vorstellig geworden wäre, wäre ich nie auf die Idee gekommen, daß er "IS" sein könnte. Mir ist auch nie klar geworden, wie seine Mutter überhaupt auf die Schapsidee gekommen war. Aber er hat sichtlich unter dem ganzen Blödsinn gelitten, den man ihm zugemutet hat. Aber wenn jemand von uns beiden TS war, dann war ich das (was er selbstredend wußte ).
Von "Non-Binary" habe ich erst vor ein paar Jahren mal gehört. Kritik an Binarismus ist sicherlich älter, aber ob das im Intersex Movement damals eine größere Rolle spielte, weiß ich nicht.
Tja, das sind sehr gute Fragen: was ist eine "Identität"? was ist ein "Wesen"? Wenn mir dazu etwas sinnvolles einfällt, kann ich ja mal dazu zu schreiben versuchen
Aber non-ternary gefällt mir, das hat etwas widerständiges.
Man könnte sogar noch weiter gehen. Etwa fand ich den Artikel von Fausto-Sterling ("The five sexes: why male and female are not enough." The Sciences 33/2 (March/April 1993): 20-26), obschon der so viel losgetreten hat, nicht so originell. Eine Idee dabei war, "weibliche Pseudohermaphroditen" (ferms), "echte Hermaphroditen" (herms) und "männliche Pseudohermaphroditen" (merms) in den Rang eigener Geschlechter zu erheben. Das war eine ganz witzige Provokation, aber die Fausto-Sterling weiß selber, daß der phänomenologische Bereich von IS viel komplexer ist, schreibt auch, daß man das anders hätte machen können. Es ging also um das Aufbrechen des Binarismus. Es wäre ergo damals müßige Spielerei gewesen, eine "anti-quinäre" Position aufzubauen. Nach den Entwicklungen der letzten 25 Jahre könnte man das vielleicht sogar interessanter finden.
Intergender ist auch schon eine sehr alte Idee, oder nunmehr eben inter* (als Wildcard für Intersex und/oder Intergender). Diese ganzen Ideen wie auch NB, Crossgender etc. etc. scheinen zumindest für mich aus der Distanz schon so irgendwie ähnlich.