Beitrag #19
18.09.2018, 19:57
aus dem Rechtspanorama der "Presse":
Ehe doch nicht für alle? Eher unwahrscheinlich
Knapp bevor jene Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wirksam wird, wonach auch homosexuelle Paare heiraten können, will die FPÖ die Ehe für Heteros sichern. – Warum die Erfolgsaussichten gering sind.
Wien. Vorige Woche hat die FPÖ bei ihrer Klausur in Frauenkirchen mit der Ankündigung aufhorchen lassen, die vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) verfügte Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare doch noch zu hinterfragen. Bloß die Eingetragene Partnerschaft solle für alle möglich sein. Zuvor hatte der von der ÖVP nominierte Justizminister Josef Moser in einem „Presse“-Interview seinen Willen bekundet, dem Erkenntnis des Höchstgerichts zu folgen, „das besagt, Ehe für alle und Eingetragene Partnerschaft für alle“. Wie wahrscheinlich ist es also, dass Homosexuelle ab dem 1. Jänner 2019 doch nicht heiraten dürfen? Eine Abwägung in fünf Punkten.
1. Was hat der Verfassungsgerichtshof genau gesagt?
Der Gerichtshof hat (mit seinem Erkenntnis G 258-259/2017 vom 4. Dezember 2017) drei Wortpaare mit Wirkung Ende 2018 aus zwei Gesetzen gestrichen: Die Wortfolge „verschiedenen Geschlechts“ aus § 44 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs, sodass künftig auch Paare gleichen Geschlechts heiraten können sollen; zugleich hat er die Wortfolgen „gleichgeschlechtliche Paare“ und „gleichen Geschlechts“ aus dem Eingetragene Partnerschaft-Gesetz eliminiert und so die Eingetragene Partnerschaft für Mann und Frau geöffnet. Das damals SPÖ-geführte Kanzleramt hatte nicht gewollt, dass die Regierung die Regelungen verteidigt. Die Entscheidung gilt als schwach begründet, weil der Gerichtshof mit keinem Wort offenlegt, dass und warum er von seiner bisherigen Linie abweicht: Es war seine ständige – und auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebilligte – Judikatur, dass die Ehe verschiedengeschlechtlichen Paaren vorbehalten bleiben darf. Außerdem war mit der wichtigste Grund der Aufhebung, dass Eingetragene Partner durch Bekanntgabe ihres Familienstandes ihre sexuelle Orientierung offenlegen müssten – als ob diese „Diskriminierung“ nicht auch durch Nennung des Vornamens des (Ehe-)Partners ausgelöst würde. Aber sehr klar hat der VfGH den Schluss gezogen: „Die gesetzlich Trennung verschiedengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Beziehungen in zwei unterschiedliche Rechtsinstitute verstößt damit gegen das Verbot des Gleichheitsgrundsatzes, Menschen auf Grund personaler Merkmale wie hier der sexuellen Orientierung zu diskriminieren.“
2. Welche Rolle spielt die Möglichkeit, Kinder zu bekommen?
Der VfGH hat kommentarlos jene Wendung in § 44 ABGB belassen, nach der Ehepartner ihren Willen erklären, Kinder zu zeugen. Das können naturgemäß nur heterosexuelle Paare. Darauf stützt sich die FPÖ, wenn sie sich für eine ihrer Meinung nach sachliche Differenzierung zwischen Ehe (nur für Heteros) und Eingetragener Partnerschaft (für alle) ausspricht. Allerdings: Zivilrechtsexperten sehen im Kinderwunsch keine unbedingte Ehepflicht, ebenso wenig wie in der an gleicher Stelle erwähnten Unzertrennlichkeit. Auch das gemeinsame Wohnen, an sich eine Ehepflicht, kann einvernehmlich anders geregelt werden. Außerdem ist bisher unbestritten, dass auch Heiratswillige, die aus biologischen Gründen (z. B. wegen ihres Alters) keine Kinder bekommen können, heiraten dürfen.
3. Könnte und würde der VfGH heute anders entscheiden?
Die Überlegungen der FPÖ widersprechen klar der Entscheidung des VfGH. Diese dürfte im Haus am Hof allerdings sehr umstritten gewesen sein (die seltsame Begründung gilt als Indiz dafür). Und seit sie gefallen ist, hat sich die Zusammensetzung des Gerichtshofs – der Koalition rechts der Mitte entsprechend – geändert: Die FPÖ hat zwei Vertraute ans Höchstgericht geschickt, nämlich den Linzer Öffentlichrechtler Andreas Hauer und den Wiener Anwalt Michael Rami; die ÖVP einen, und zwar den ehemaligen Justizminister und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter. Allerdings sind zugleich zwei der 13 Stimmführer am Höchstgericht weggefallen, die eher der konservativen Seite zuzurechnen sind: Eleonore Berchtold-Ostermann, die in Pension gegangen ist, und Vizepräsidentin Brigitte Bierlein, die seit ihrem Aufstieg zur Präsidentin nur noch ausnahmsweise ein Stimmrecht hat (nämlich bei der sehr seltenen Stimmengleichheit unter den übrigen Mitgliedern). Abgesehen davon, dass die Höchstrichter sich bei ihren Entscheidungen nicht sklavisch der jeweiligen Partei verpflichtet fühlen, die sie nominiert hat, haben sich die Mehrheitsverhältnisse unter Vizepräsident Christoph Grabenwarter und den zwölf einfachen Mitgliedern nur geringfügig geändert (8:5 statt 7:6 zu Lasten der SPÖ-Tickets). Dazu kommt, dass der Gerichtshof nicht mir-nichts-dir-nichts von seiner Rechtsprechung abweichen sollte. So sehr auch die Homosexuellen-Entscheidung genau unter diesem Aspekt kritisiert wurde, so sehr würde der Begründungsaufwand für eine neuerliche Kehrtwende steigen.
4. Wie könnte es jetzt politisch weitergehen?
In der Frage der Ehe für alle liegt ein Konflikt zwischen den Koalitionsparteien offen zu Tage. Die ÖVP scheint recht froh zu sein, dass der VfGH ihr die ideologisch stark befrachtete Entscheidung abgenommen hat. Sie zeigt sich nicht geneigt, davon abzurücken. Genau das will die FPÖ sehr wohl. Die Freiheitlichen sind aber taktisch im Nachteil, denn wenn es zu keiner Einigung in der Koalition kommt, dann folgt unausweichlich das, was der VfGH angeordnet hat: Ehe für alle und Eingetragene Partnerschaft für alle. Theoretisch wäre es zulässig, die Eingetragenen Partnerschaft aufzulassen (wie in Deutschland geschehen); das Institut der Ehe abzuschaffen, widerspräche hingegen der Europäischen Menschenrechtskonvention.
5. Was folgt, wenn der Gesetzgeber untätig bleibt?
Der VfGH hat in seinem knappen Erkenntnis nichts darüber gesagt, was mit Paaren geschehen soll, die von der Eingetragenen Partnerschaft zur Ehe (oder umgekehrt) wechseln wollen. Bisher gibt es dazu nur einen Erlass des Innenministeriums, wonach jene fünf Paare, die ihre Fälle vor den VfGH gebracht haben, nicht formvollendet ihre Partnerschaft auflösen müssen, um heiraten zu können. Eine klare gesetzliche Regelung für Umsteiger wäre allerdings wünschenswert. Von einer breit angelegten Diskussion über größeren Reformbedarf im Eherecht – Stichwort Scheidungsfolgen – ganz zu schweigen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2018)
Ehe doch nicht für alle? Eher unwahrscheinlich
Knapp bevor jene Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wirksam wird, wonach auch homosexuelle Paare heiraten können, will die FPÖ die Ehe für Heteros sichern. – Warum die Erfolgsaussichten gering sind.
Wien. Vorige Woche hat die FPÖ bei ihrer Klausur in Frauenkirchen mit der Ankündigung aufhorchen lassen, die vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) verfügte Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare doch noch zu hinterfragen. Bloß die Eingetragene Partnerschaft solle für alle möglich sein. Zuvor hatte der von der ÖVP nominierte Justizminister Josef Moser in einem „Presse“-Interview seinen Willen bekundet, dem Erkenntnis des Höchstgerichts zu folgen, „das besagt, Ehe für alle und Eingetragene Partnerschaft für alle“. Wie wahrscheinlich ist es also, dass Homosexuelle ab dem 1. Jänner 2019 doch nicht heiraten dürfen? Eine Abwägung in fünf Punkten.
1. Was hat der Verfassungsgerichtshof genau gesagt?
Der Gerichtshof hat (mit seinem Erkenntnis G 258-259/2017 vom 4. Dezember 2017) drei Wortpaare mit Wirkung Ende 2018 aus zwei Gesetzen gestrichen: Die Wortfolge „verschiedenen Geschlechts“ aus § 44 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs, sodass künftig auch Paare gleichen Geschlechts heiraten können sollen; zugleich hat er die Wortfolgen „gleichgeschlechtliche Paare“ und „gleichen Geschlechts“ aus dem Eingetragene Partnerschaft-Gesetz eliminiert und so die Eingetragene Partnerschaft für Mann und Frau geöffnet. Das damals SPÖ-geführte Kanzleramt hatte nicht gewollt, dass die Regierung die Regelungen verteidigt. Die Entscheidung gilt als schwach begründet, weil der Gerichtshof mit keinem Wort offenlegt, dass und warum er von seiner bisherigen Linie abweicht: Es war seine ständige – und auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebilligte – Judikatur, dass die Ehe verschiedengeschlechtlichen Paaren vorbehalten bleiben darf. Außerdem war mit der wichtigste Grund der Aufhebung, dass Eingetragene Partner durch Bekanntgabe ihres Familienstandes ihre sexuelle Orientierung offenlegen müssten – als ob diese „Diskriminierung“ nicht auch durch Nennung des Vornamens des (Ehe-)Partners ausgelöst würde. Aber sehr klar hat der VfGH den Schluss gezogen: „Die gesetzlich Trennung verschiedengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Beziehungen in zwei unterschiedliche Rechtsinstitute verstößt damit gegen das Verbot des Gleichheitsgrundsatzes, Menschen auf Grund personaler Merkmale wie hier der sexuellen Orientierung zu diskriminieren.“
2. Welche Rolle spielt die Möglichkeit, Kinder zu bekommen?
Der VfGH hat kommentarlos jene Wendung in § 44 ABGB belassen, nach der Ehepartner ihren Willen erklären, Kinder zu zeugen. Das können naturgemäß nur heterosexuelle Paare. Darauf stützt sich die FPÖ, wenn sie sich für eine ihrer Meinung nach sachliche Differenzierung zwischen Ehe (nur für Heteros) und Eingetragener Partnerschaft (für alle) ausspricht. Allerdings: Zivilrechtsexperten sehen im Kinderwunsch keine unbedingte Ehepflicht, ebenso wenig wie in der an gleicher Stelle erwähnten Unzertrennlichkeit. Auch das gemeinsame Wohnen, an sich eine Ehepflicht, kann einvernehmlich anders geregelt werden. Außerdem ist bisher unbestritten, dass auch Heiratswillige, die aus biologischen Gründen (z. B. wegen ihres Alters) keine Kinder bekommen können, heiraten dürfen.
3. Könnte und würde der VfGH heute anders entscheiden?
Die Überlegungen der FPÖ widersprechen klar der Entscheidung des VfGH. Diese dürfte im Haus am Hof allerdings sehr umstritten gewesen sein (die seltsame Begründung gilt als Indiz dafür). Und seit sie gefallen ist, hat sich die Zusammensetzung des Gerichtshofs – der Koalition rechts der Mitte entsprechend – geändert: Die FPÖ hat zwei Vertraute ans Höchstgericht geschickt, nämlich den Linzer Öffentlichrechtler Andreas Hauer und den Wiener Anwalt Michael Rami; die ÖVP einen, und zwar den ehemaligen Justizminister und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter. Allerdings sind zugleich zwei der 13 Stimmführer am Höchstgericht weggefallen, die eher der konservativen Seite zuzurechnen sind: Eleonore Berchtold-Ostermann, die in Pension gegangen ist, und Vizepräsidentin Brigitte Bierlein, die seit ihrem Aufstieg zur Präsidentin nur noch ausnahmsweise ein Stimmrecht hat (nämlich bei der sehr seltenen Stimmengleichheit unter den übrigen Mitgliedern). Abgesehen davon, dass die Höchstrichter sich bei ihren Entscheidungen nicht sklavisch der jeweiligen Partei verpflichtet fühlen, die sie nominiert hat, haben sich die Mehrheitsverhältnisse unter Vizepräsident Christoph Grabenwarter und den zwölf einfachen Mitgliedern nur geringfügig geändert (8:5 statt 7:6 zu Lasten der SPÖ-Tickets). Dazu kommt, dass der Gerichtshof nicht mir-nichts-dir-nichts von seiner Rechtsprechung abweichen sollte. So sehr auch die Homosexuellen-Entscheidung genau unter diesem Aspekt kritisiert wurde, so sehr würde der Begründungsaufwand für eine neuerliche Kehrtwende steigen.
4. Wie könnte es jetzt politisch weitergehen?
In der Frage der Ehe für alle liegt ein Konflikt zwischen den Koalitionsparteien offen zu Tage. Die ÖVP scheint recht froh zu sein, dass der VfGH ihr die ideologisch stark befrachtete Entscheidung abgenommen hat. Sie zeigt sich nicht geneigt, davon abzurücken. Genau das will die FPÖ sehr wohl. Die Freiheitlichen sind aber taktisch im Nachteil, denn wenn es zu keiner Einigung in der Koalition kommt, dann folgt unausweichlich das, was der VfGH angeordnet hat: Ehe für alle und Eingetragene Partnerschaft für alle. Theoretisch wäre es zulässig, die Eingetragenen Partnerschaft aufzulassen (wie in Deutschland geschehen); das Institut der Ehe abzuschaffen, widerspräche hingegen der Europäischen Menschenrechtskonvention.
5. Was folgt, wenn der Gesetzgeber untätig bleibt?
Der VfGH hat in seinem knappen Erkenntnis nichts darüber gesagt, was mit Paaren geschehen soll, die von der Eingetragenen Partnerschaft zur Ehe (oder umgekehrt) wechseln wollen. Bisher gibt es dazu nur einen Erlass des Innenministeriums, wonach jene fünf Paare, die ihre Fälle vor den VfGH gebracht haben, nicht formvollendet ihre Partnerschaft auflösen müssen, um heiraten zu können. Eine klare gesetzliche Regelung für Umsteiger wäre allerdings wünschenswert. Von einer breit angelegten Diskussion über größeren Reformbedarf im Eherecht – Stichwort Scheidungsfolgen – ganz zu schweigen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2018)