Transgender… und wie geht’s weiter
RE: Transgender… und wie geht’s weiter
Beitrag #2
Hallo Jenny!

Ich lese hier schon längere immer wieder mal rein, habe mich bis heute aber nie registriert und war eigentlich gar nicht darauf aus, mich hier aktiv zu Wort zu melden. Aber Dein Beitrag hat mich jetzt dazu gebracht, mich zu registrieren, obwohl ich eigentlich dringend ins Bett sollte.

Vorweg: Ich kann Dir natürlich nichts raten. Manches ist bei uns zwar ähnlich, manches aber auch gar nicht. Der große Unterschied, der für Dich sicher alles viel, viel schwerer macht, ist der Umstand, dass Du Frau und Tochter hast. Das habe ich nicht, weil Beziehungen bei mir einfach nie längerfristig geklappt haben. Im Nachhinein ja auch kein Wunder. Ich war nie die Person, die sich eine Hetero-Frau dauerhaft wünscht. So viele Kompromisse habe ich nie gemacht. Meine Persönlichkeit habe ich trotz allen Zwangs, als "Mann" herumrennen zu müssen, nie komplett versteckt.

Was aber ähnlich ist, ist unser Alter. Und dass ich jahrzehntelang dachte, dass eine Transition bei mir mit einem Ergebnis, mit dem ich leben könnte, sowieso nie möglich wäre.

Ich bin (nur) ein paar Jahre jünger als Du, habe aber ähnlich lange wie Du gewartet. Bis es mir einfach zu blöd geworden ist. Bis ich immer mehr wahrgenommen habe, dass es da draußen gar nicht so wenige Menschen gibt, die es tatsächlich schaffen, ihrer Persönlichkeit auch im Wege einer Transition zum Ausbruch zu verhelfen. Bis ich begriffen habe, dass ich mein Leben eher "abwickle" und "manage", anstatt wirklich zu leben. Und dann habe ich mich vorgetastet. Schritt für Schritt. Und jeder davon hat sich gut und so angefühlt, dass ich mir sehr sicher war, keinen Schritt davon wieder zurück gehen zu wollen. Inzwischen bin ich als die Frau unterwegs, die ich bin. Und das funktioniert trotz ganz vieler Zweifel, die ich - ganz ähnlich wie Du, glaube ich - hatte, erstaunlich gut. Ich dachte, mein Körper könnte das nie glaubwürdig transportieren, aber es hat sich durch die hormonelle Umstellung so unendlich viel zum Positiven verändert; mehr als ich für möglich gehalten oder zu erträumen gewagt hätte. Aber auch innerlich. Vorher hat sich das "Ich sein" immer anstrengend angefühlt, jetzt habe ich das Gefühl, einfach ich sein zu können. Alles passt immer mehr zusammen. Und die Menschen rund um mich herum spüren das und sagen mir das auch. Selbst Menschen, von denen ich das nie erwartet hätte. Menschen, die nicht in einem urbanen Umfeld unterwegs sind. Menschen, die bisher nie nennenswert mit dem Thema zu tun hatten.

Ja, ich habe sicher auch Glück. Und ja, ich bin in vielerlei Hinsicht privilegiert und erspare mir daher sicher so manche Probleme, die andere haben, bzw. habe dadurch erst gewisse Möglichkeiten. Aber trotzdem halte ich es für wichtig, hier auch mal zu schreiben, dass es diese meine Erfahrung auch gibt. Nicht nur die Schlechten, nicht nur das Anstrengende, nicht immer geht alles schief. Es ist noch einiges zu tun, aber alleine schon das Gefühl, dass nun seit einigen Jahren sich alles endlich in die "richtige" Richtung entwickelt, die vielen Momente mit Freudentränen in den Augen, die Umarmungen und begeisterte Aufnahme durch meine besten Freundinnen und und und... all das lässt mich eigentlich nur eines bereuen. Nämlich, dass ich es nicht viel früher durchgezogen habe.

Gibt es irgendeine Garantie dafür, dass alles/vieles so gut läuft? Leider nicht. Macht es eine Familie wie bei Dir viel schwerer? Ja, klar. Zu diesem Aspekt kann ich Dir daher auch nicht viel raten. Da sind andere berufener.

Aber wenn es darum geht, dass Du davon ausgehst, dass Dein Körper keine guten Voraussetzungen bietet, dass Du "zu alt" bist usw., dann lass Dich deshalb auf gar keinen Fall davon abhalten, ganz konkret Deine Möglichkeiten abzuchecken. Haare kann man evtl. transplantieren, für unangenehme dunkle Haare am Körper gibt es Laser, die in vielen Fällen helfen können, bei der Körperform können Hormone sehr viel verändern, wie ich es gerade mit großer Begeisterung an mir erlebe. Wenn man die Kraft aufbringen kann, idealerweise selbst etwas Organisationstalent und Durchhaltevermögen mitbringt, ist oft sicher mehr möglich als man glaubt. (Und ja, ich weiß, dass das nicht jeder*r kann. Und ja, das ist nicht okay und sollte nicht so sein, dass man Vieles selbst schultern muss.)

Und, ach ja, Olivia Jones wollte ich auch nie werden. Das ist aber auch etwas Anderes. Alles okay, aber etwas anderes, als was Du fühlst und ich fühle. Wir sind einfach Mädels, die das auch ausstrahlen und leben wollen. Nicht für eine Bühne, nicht als Show, nicht als Abwechslung zwischendurch. Sondern im Alltag, ganz normal, meistens unauffällig. :-)

So, und jetzt ist es wirklich Schlafenszeit. Aber wenn Du irgendetwas wissen möchtest, Gedanken austauschen oder was auch immer. Melde Dich gern. Ich wünschte mir, ich hätte viele Möglichkeiten zwanzig Jahre früher erkannt und gehabt.
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RE: Transgender… und wie geht’s weiter - von New girl in town - 22.09.2020, 01:10

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