Beitrag #26
31.03.2021, 20:50
Da sage noch mal jemand, der ORF nähme sich Kritik nicht zu Herzen.
Heute um 20.15 bekam ich eine Antwort auf die oben genannte Email:
Sehr geehrte Frau xxxxxx,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Rückmeldung zur Sendung „Tatort – Die Amme“ vom 14. März 2021.
Wir haben die Kritik ausführlich intern besprochen und Ihre Anregungen an die zuständige Redaktion weitergegeben. Im Sinne unserer Verantwortung als öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist Ihre Rückmeldung für unsere Arbeit besonders wertvoll. Mit Ihren Anmerkungen tragen Sie zu laufenden Diskussionsprozessen bei.
Gerne übermitteln wir Ihnen folgende Stellungnahme der zuständigen Redaktion:
Wir hatten ganz andere Ziele mit dieser Geschichte und insbesondere mit der Zeichnung der Figur „Janko“. Wir haben dieses Ziel ganz offensichtlich nicht (vollständig) erreicht, sondern Bedenken wachgerufen, die ich klarerweise nicht ohne weiteres wegerklären kann. Aber gestatten Sie mir bitte dennoch einen Versuch der Einordnung!
Geschichten im Allgemeinen und Kriminalgeschichten im Speziellen leben üblicherweise davon, dass zunächst bloß fragmenthafte Ereignisabfolgen strukturiert und in ein kausales Ganzes gebracht werden. Eine Story braucht immer Anfang, Mitte und Schluss – und am Schluss sollte nach Möglichkeit jede Frage nach dem Wie und Warum einer Handlung geklärt sein. Im Krimi geschieht das üblicherweise so, dass wir als Betrachtende wissen wollen, wer wen und vor allem warum Böses angetan hat. „Weil Person A dies oder jenes erlebt hat, reift in ihr der der Plan, Person B zu ermorden. Und weil dabei die Indizien x, y und z erhalten blieben, konnte Person C den Fall klären.“
Wahrnehmungspsychologisch und dramaturgisch ist das ein sehr klares Modell. Es hat aber eine große Schwäche, mit der wir uns in „Die Amme“ intensiv auseinandergesetzt haben: je näher ich Person A komme, je besser ich sie kenne und verstehe, desto mehr trägt dies das Risiko einer gewissen Legitimation in sich. („Ah, deshalb ist der Mord geschehen, jetzt versteh ich…“) - Bei der Beschäftigung mit der Figur Janko hatten wir daher diesmal den Anspruch, eine Figur zu erzählen, welche sich derartigen Zuschreibungen und kausalen Erklärungen gegenüber weitestgehend versperrt. Bei ihm sollte so wenig wie möglich seine Taten erklären oder legitimieren. Weder eine irgendwo aufgerollte Kindheitsgeschichte, keine bestimmte Störung aufgrund eines erlittenen Traumas, natürlich auch kein rationales Motiv und schon gar keine Fetischisierung oder Sexualisierung der Taten. Anders als bei den allermeisten anderen Täter*innenfiguren aus Fernsehkrimis wissen wir bei diesem Film unglaublich wenig über einen Täter, der uns von der ersten Minute bis kurz vor Ende dauernd vor Augen steht und Böses tut. Und das Wenige, das wir wirklich über ihn wissen, geht in eine sehr archaische, rudimentäre Richtung. Janko ist ein wahrscheinlich wirklich psychisch schwer gestörter Charakter, der in dem gottgleichen Größenwahn handelt, er wäre besser imstande für Kinder zu sorgen als deren leibliche Mütter. Indem er eine in seinen Augen „böse Mutter“ (ein Konzept der Psychoanalytikerin Melanie Klein) zum Verschwinden bringt, setzt er sich selbst sowohl in seiner Phantasie als auch in der realen Welt an deren Stelle und übernimmt die Aufgabe des Kümmerns um die entführten Kinder. Zumindest nimmt er das für sich in Anspruch. Ob das zutrifft, warum er das tut, was ihn so weit getrieben hat, welche Vorgeschichte dieser Wahn hat, erzählt uns der Film dagegen nicht. Auch der Umstand, dass er wiederholt die Rollen wechselt und teils in Frauenkleidern, dann wieder in der Kluft eines männlichen verdeckten Ermittlers (Janko war tatsächlich Polizist, unser Ermittler lässt ihn einmal sogar dahingehend überprüfen) auftritt, verschafft uns alles andere als ein klares Bild von der Psyche des Täters.
Unter anderem deshalb gab in dem Film die Nebenspur des Crackfalls, einerseits als klassische Blindspur für die Ermittler, andererseits als zusätzliche Aufladung der Täterfigur. Zusammengefasst – Janko ist ein irritierend erratischer Charakter, der sich den üblichen psychologischen und Motivzuschreibungen entzieht.
Außer jener, dass er ohne Schuldbewusstsein Böses zu tun imstande ist.
In diesem Punkt sollte sich Janko auch deutlich von den historischen Filmfiguren Norman Bates (Psycho) und Billy The Kid (Silence oft he Lambs) unterscheiden. Diese Figuren haben nämlich letztlich beide eine kohärente Lebensgeschichte, die ihre Taten einordnet. Der eine verwandelt sich in pathologischer Überwindung eines Traumas in die Imago seiner eigenen tyrannischen Mutter, die er ermordet hat, der andere wiederum plant seine buchstäbliche Metamorphose zur Frau. Unser Janko ist da anders, ungreifbar, er hat kein echtes Ziel, er ist in all seinen unauflöslichen Widersprüchen letztlich gar kein fassbarer „Charakter“, er ist einfach nur der TÄTER – der am Ende der Geschichte von Bibi Fellner und Moritz Eisner überführt wird.
Soweit unser Plan. Der offenbar nicht oder zumindest nicht zur Gänze aufgegangen ist. Da waren wir bei allen Überlegungen und Bemühungen scheinbar nicht gut genug.
Für uns Programmmacher*innen eröffnet Kritik immer den Anspruch, es besser zu machen, sensibler oder präziser vorzugehen. Im Fall der „Amme“ werden wir das selbstverständlich ebenso halten.
Freundliche Grüße
Magdalena Fischer
Heute um 20.15 bekam ich eine Antwort auf die oben genannte Email:
Sehr geehrte Frau xxxxxx,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Rückmeldung zur Sendung „Tatort – Die Amme“ vom 14. März 2021.
Wir haben die Kritik ausführlich intern besprochen und Ihre Anregungen an die zuständige Redaktion weitergegeben. Im Sinne unserer Verantwortung als öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist Ihre Rückmeldung für unsere Arbeit besonders wertvoll. Mit Ihren Anmerkungen tragen Sie zu laufenden Diskussionsprozessen bei.
Gerne übermitteln wir Ihnen folgende Stellungnahme der zuständigen Redaktion:
Wir hatten ganz andere Ziele mit dieser Geschichte und insbesondere mit der Zeichnung der Figur „Janko“. Wir haben dieses Ziel ganz offensichtlich nicht (vollständig) erreicht, sondern Bedenken wachgerufen, die ich klarerweise nicht ohne weiteres wegerklären kann. Aber gestatten Sie mir bitte dennoch einen Versuch der Einordnung!
Geschichten im Allgemeinen und Kriminalgeschichten im Speziellen leben üblicherweise davon, dass zunächst bloß fragmenthafte Ereignisabfolgen strukturiert und in ein kausales Ganzes gebracht werden. Eine Story braucht immer Anfang, Mitte und Schluss – und am Schluss sollte nach Möglichkeit jede Frage nach dem Wie und Warum einer Handlung geklärt sein. Im Krimi geschieht das üblicherweise so, dass wir als Betrachtende wissen wollen, wer wen und vor allem warum Böses angetan hat. „Weil Person A dies oder jenes erlebt hat, reift in ihr der der Plan, Person B zu ermorden. Und weil dabei die Indizien x, y und z erhalten blieben, konnte Person C den Fall klären.“
Wahrnehmungspsychologisch und dramaturgisch ist das ein sehr klares Modell. Es hat aber eine große Schwäche, mit der wir uns in „Die Amme“ intensiv auseinandergesetzt haben: je näher ich Person A komme, je besser ich sie kenne und verstehe, desto mehr trägt dies das Risiko einer gewissen Legitimation in sich. („Ah, deshalb ist der Mord geschehen, jetzt versteh ich…“) - Bei der Beschäftigung mit der Figur Janko hatten wir daher diesmal den Anspruch, eine Figur zu erzählen, welche sich derartigen Zuschreibungen und kausalen Erklärungen gegenüber weitestgehend versperrt. Bei ihm sollte so wenig wie möglich seine Taten erklären oder legitimieren. Weder eine irgendwo aufgerollte Kindheitsgeschichte, keine bestimmte Störung aufgrund eines erlittenen Traumas, natürlich auch kein rationales Motiv und schon gar keine Fetischisierung oder Sexualisierung der Taten. Anders als bei den allermeisten anderen Täter*innenfiguren aus Fernsehkrimis wissen wir bei diesem Film unglaublich wenig über einen Täter, der uns von der ersten Minute bis kurz vor Ende dauernd vor Augen steht und Böses tut. Und das Wenige, das wir wirklich über ihn wissen, geht in eine sehr archaische, rudimentäre Richtung. Janko ist ein wahrscheinlich wirklich psychisch schwer gestörter Charakter, der in dem gottgleichen Größenwahn handelt, er wäre besser imstande für Kinder zu sorgen als deren leibliche Mütter. Indem er eine in seinen Augen „böse Mutter“ (ein Konzept der Psychoanalytikerin Melanie Klein) zum Verschwinden bringt, setzt er sich selbst sowohl in seiner Phantasie als auch in der realen Welt an deren Stelle und übernimmt die Aufgabe des Kümmerns um die entführten Kinder. Zumindest nimmt er das für sich in Anspruch. Ob das zutrifft, warum er das tut, was ihn so weit getrieben hat, welche Vorgeschichte dieser Wahn hat, erzählt uns der Film dagegen nicht. Auch der Umstand, dass er wiederholt die Rollen wechselt und teils in Frauenkleidern, dann wieder in der Kluft eines männlichen verdeckten Ermittlers (Janko war tatsächlich Polizist, unser Ermittler lässt ihn einmal sogar dahingehend überprüfen) auftritt, verschafft uns alles andere als ein klares Bild von der Psyche des Täters.
Unter anderem deshalb gab in dem Film die Nebenspur des Crackfalls, einerseits als klassische Blindspur für die Ermittler, andererseits als zusätzliche Aufladung der Täterfigur. Zusammengefasst – Janko ist ein irritierend erratischer Charakter, der sich den üblichen psychologischen und Motivzuschreibungen entzieht.
Außer jener, dass er ohne Schuldbewusstsein Böses zu tun imstande ist.
In diesem Punkt sollte sich Janko auch deutlich von den historischen Filmfiguren Norman Bates (Psycho) und Billy The Kid (Silence oft he Lambs) unterscheiden. Diese Figuren haben nämlich letztlich beide eine kohärente Lebensgeschichte, die ihre Taten einordnet. Der eine verwandelt sich in pathologischer Überwindung eines Traumas in die Imago seiner eigenen tyrannischen Mutter, die er ermordet hat, der andere wiederum plant seine buchstäbliche Metamorphose zur Frau. Unser Janko ist da anders, ungreifbar, er hat kein echtes Ziel, er ist in all seinen unauflöslichen Widersprüchen letztlich gar kein fassbarer „Charakter“, er ist einfach nur der TÄTER – der am Ende der Geschichte von Bibi Fellner und Moritz Eisner überführt wird.
Soweit unser Plan. Der offenbar nicht oder zumindest nicht zur Gänze aufgegangen ist. Da waren wir bei allen Überlegungen und Bemühungen scheinbar nicht gut genug.
Für uns Programmmacher*innen eröffnet Kritik immer den Anspruch, es besser zu machen, sensibler oder präziser vorzugehen. Im Fall der „Amme“ werden wir das selbstverständlich ebenso halten.
Freundliche Grüße
Magdalena Fischer
Nicht zu hassen - um zu lieben bin ich da (Antigone)