Beitrag #2
04.12.2022, 08:40
Hallo!
Der Reihe nach:
Erstmal toll, dass Du dich mit Deinen Gedanken nach außen wendest und Deine, wie Du sagst "Neutochter", so akzeptierst wie sie ist und versuchst alles zu verstehen und Harmonie herzustellen. - Das ist leider nicht immer selbstverständlich.
"Unauffälligkeit" in der Kindheit: Ich sprech jetzt mal von mir... Ich war auch "unauffäliig" in meiner Kindheit, sogar mit Fußball, Actionfiguren, Comics etc. - teilweise, weil ich mich wirklich für solche Dinge interessiert habe und noch immer tue und teilweise, weil ich einfach Angst hatte was wäre, wenn andere merken, dass ich eben irgendwie "anders" bin und nicht ganz in die "Burschen-Schublade" passe. "Traditionell weiblich"-konnotierte Interessen wie Malen oder Nähen habe ich erst ausgelebt, nachdem ich meinem sozial-männlichen Kokon entschlüpft war.
Der elterliche Schock: Ich denke, für die meisten Eltern ist es zuerst nicht ganz einfach zu erfahren/erkennen, dass man das eigene Kind die ganze Zeit einem Geschlecht zugeordnet hat, das diesem Kind gar nicht entspricht. Man hat sich daran gewöhnt, es in einer bestimmten Weise anzusprechen, in einer definierten Weise über dieses Kind zu denken und es dementsprechend zu behandeln. Ich würde daher sagen: Keine Sorge, ein Schock ist wohl ganz normal. - War bei meinen Eltern genauso, bei meinem Vater noch deutlich intensiver als bei meiner Mutter, die es eigentlich recht gut aufgenommen hat.
Der Name: Namen sind wichtig, sie sind Teil der Identität. Auch, wenn sich diese gerade erst so richtig entfaltet. Obwohl ich einen Namen als meinen eigenen gewählt habe, den meine Eltern vorgesehen hatten, wäre ich "korrekt ausgestattet" geboren worden, fiel es ihnen anfangs etwas schwer mich auch so anzusprechen. Auch der Sprung von "Susanne" zur von mir eigentlich als selbstverständlich erwarteten Kurz/Kose-Form "Susie" hat ein bisschen gedauert. Und bis dahin war jedes Mal, dass mein "alter Name"/Deadname verwendet wurde, egal ob absichtlich oder nicht, und jedes falsche Pronomen nicht nur ärgerlich, sondern wie ein kleiner, manchmal auch großer Nadelstich ins Herz. Um den Übergang für meine Eltern zu erleichtern, hatten wir uns für eine kurze Zeit auch darauf geeinigt, einen neutralen Spitznamen zu benutzen, der für mich erträglich war. Jedenfalls bis dieser mir dann auch zu blöd war. So gesehen ist die Sache mit dem neutralen Spitznamen, zumindest auf Zeit, wahrscheinlich eine gute Idee.
Der Stil: Wir alle probieren uns wohl irgendwann stilmäßig aus. Mehr oder weniger extrem. Ich will nicht behaupten, dass die Befürchtung Deines Mannes, Eure älteste (Neu)tochter würde wie eine Dragqueen herumlaufen, wird irgendwann wahr. Ich will damit nur sagen, dass es sein kann, dass es vielleicht auch eine Phase geben wird, in der sie ihren persönlichen Stil finden wird. Zumindest bei mir war es so und auch, wenn in dieser Hinsicht die Meinung meiner Mutter bis heute nicht immer vollständig mit meinen Vorstellungen übereinstimmt, bin ich doch bis heute froh über ihren Rat. Wichtig war für mich, dass sie immer ein Gespür dafür hatte, dass ich manche Dinge einfach selbst erkennen musste, wenn ich sicher war, dass z.B. mein Rock nicht zu kurz ist ;-) - Nur am Rande: Die "pubertäre Kurzrock-Phase" ging bei mir recht schnell vorüber und ich fand zu einem dezenten, eher eleganten Stil, mit dem ich aus der "gesamt-weiblichen Menge, wenn dann nur positiv heraussteche.
Zwischen den Stühlen stehen: Da kann meine Mutter ein Lied davon singen. Ich muss dazusagen, mein Vater war anfangs überhaupt nicht begeistert, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Sie wollte auch, dass ich glücklich bin, aber ich habe ihr angesehen und es auch live mitbekommen, wie sehr das ihre Ehe belastetet hat. Die Lehre aus den ca. 4 intensiven Jahren bis die Wogen sich geglättet haben: Redet darüber. Redet über alles, das Euch belastet und auch über die Ängste, die mit dieser "Veränderung" einhergehen. Und tut das als Familie. Vielleicht nicht über jede Kleinigkeit, aber wenn das Herz schwer ist oder ein Gefühl einem die gute Laune vermiest, dann auf jeden Fall! Denn das ist nicht nur Unterstützung für Euch, sondern auch für Eure Kinder.
Kurzum: Es wird besser. Die nächste Zeit (eventuell Jahre) könnte etwas stürmisch werden, hart und teilweise ziemlich schwierig, aber als Familie kann man sie durchstehen. Wichtig ist das Reden und nie aufzugeben. Habt den gleichen Mut, den Eure "Neutochter"/Große aufgebracht hat, sich Euch anzuvertrauen und begleitet Sie auf ihrem Weg. Was am Ende zählt ist doch eigentlich nur das Glücklich-Sein, wie auch immer das aussehen mag, und die Liebe zueinander.
LG Susanne
Der Reihe nach:
Erstmal toll, dass Du dich mit Deinen Gedanken nach außen wendest und Deine, wie Du sagst "Neutochter", so akzeptierst wie sie ist und versuchst alles zu verstehen und Harmonie herzustellen. - Das ist leider nicht immer selbstverständlich.
"Unauffälligkeit" in der Kindheit: Ich sprech jetzt mal von mir... Ich war auch "unauffäliig" in meiner Kindheit, sogar mit Fußball, Actionfiguren, Comics etc. - teilweise, weil ich mich wirklich für solche Dinge interessiert habe und noch immer tue und teilweise, weil ich einfach Angst hatte was wäre, wenn andere merken, dass ich eben irgendwie "anders" bin und nicht ganz in die "Burschen-Schublade" passe. "Traditionell weiblich"-konnotierte Interessen wie Malen oder Nähen habe ich erst ausgelebt, nachdem ich meinem sozial-männlichen Kokon entschlüpft war.
Der elterliche Schock: Ich denke, für die meisten Eltern ist es zuerst nicht ganz einfach zu erfahren/erkennen, dass man das eigene Kind die ganze Zeit einem Geschlecht zugeordnet hat, das diesem Kind gar nicht entspricht. Man hat sich daran gewöhnt, es in einer bestimmten Weise anzusprechen, in einer definierten Weise über dieses Kind zu denken und es dementsprechend zu behandeln. Ich würde daher sagen: Keine Sorge, ein Schock ist wohl ganz normal. - War bei meinen Eltern genauso, bei meinem Vater noch deutlich intensiver als bei meiner Mutter, die es eigentlich recht gut aufgenommen hat.
Der Name: Namen sind wichtig, sie sind Teil der Identität. Auch, wenn sich diese gerade erst so richtig entfaltet. Obwohl ich einen Namen als meinen eigenen gewählt habe, den meine Eltern vorgesehen hatten, wäre ich "korrekt ausgestattet" geboren worden, fiel es ihnen anfangs etwas schwer mich auch so anzusprechen. Auch der Sprung von "Susanne" zur von mir eigentlich als selbstverständlich erwarteten Kurz/Kose-Form "Susie" hat ein bisschen gedauert. Und bis dahin war jedes Mal, dass mein "alter Name"/Deadname verwendet wurde, egal ob absichtlich oder nicht, und jedes falsche Pronomen nicht nur ärgerlich, sondern wie ein kleiner, manchmal auch großer Nadelstich ins Herz. Um den Übergang für meine Eltern zu erleichtern, hatten wir uns für eine kurze Zeit auch darauf geeinigt, einen neutralen Spitznamen zu benutzen, der für mich erträglich war. Jedenfalls bis dieser mir dann auch zu blöd war. So gesehen ist die Sache mit dem neutralen Spitznamen, zumindest auf Zeit, wahrscheinlich eine gute Idee.
Der Stil: Wir alle probieren uns wohl irgendwann stilmäßig aus. Mehr oder weniger extrem. Ich will nicht behaupten, dass die Befürchtung Deines Mannes, Eure älteste (Neu)tochter würde wie eine Dragqueen herumlaufen, wird irgendwann wahr. Ich will damit nur sagen, dass es sein kann, dass es vielleicht auch eine Phase geben wird, in der sie ihren persönlichen Stil finden wird. Zumindest bei mir war es so und auch, wenn in dieser Hinsicht die Meinung meiner Mutter bis heute nicht immer vollständig mit meinen Vorstellungen übereinstimmt, bin ich doch bis heute froh über ihren Rat. Wichtig war für mich, dass sie immer ein Gespür dafür hatte, dass ich manche Dinge einfach selbst erkennen musste, wenn ich sicher war, dass z.B. mein Rock nicht zu kurz ist ;-) - Nur am Rande: Die "pubertäre Kurzrock-Phase" ging bei mir recht schnell vorüber und ich fand zu einem dezenten, eher eleganten Stil, mit dem ich aus der "gesamt-weiblichen Menge, wenn dann nur positiv heraussteche.
Zwischen den Stühlen stehen: Da kann meine Mutter ein Lied davon singen. Ich muss dazusagen, mein Vater war anfangs überhaupt nicht begeistert, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Sie wollte auch, dass ich glücklich bin, aber ich habe ihr angesehen und es auch live mitbekommen, wie sehr das ihre Ehe belastetet hat. Die Lehre aus den ca. 4 intensiven Jahren bis die Wogen sich geglättet haben: Redet darüber. Redet über alles, das Euch belastet und auch über die Ängste, die mit dieser "Veränderung" einhergehen. Und tut das als Familie. Vielleicht nicht über jede Kleinigkeit, aber wenn das Herz schwer ist oder ein Gefühl einem die gute Laune vermiest, dann auf jeden Fall! Denn das ist nicht nur Unterstützung für Euch, sondern auch für Eure Kinder.
Kurzum: Es wird besser. Die nächste Zeit (eventuell Jahre) könnte etwas stürmisch werden, hart und teilweise ziemlich schwierig, aber als Familie kann man sie durchstehen. Wichtig ist das Reden und nie aufzugeben. Habt den gleichen Mut, den Eure "Neutochter"/Große aufgebracht hat, sich Euch anzuvertrauen und begleitet Sie auf ihrem Weg. Was am Ende zählt ist doch eigentlich nur das Glücklich-Sein, wie auch immer das aussehen mag, und die Liebe zueinander.
LG Susanne