Schweizer Ethikkommission Humanmed: Empfehlungen für besseres Los von Intersexuellen
Schweizer Ethikkommission Humanmed: Empfehlungen für besseres Los von Intersexuellen
Beitrag #1
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/26078225 schrieb:«OPs an Zwittern sind kein Problem von gestern»

von Simon Hehli - Babys, die weder als Buben noch als Mädchen zur Welt kommen, werden häufig operiert. Künftig sollen Ärzte mit Genitalkorrekturen warten, bis die Betroffenen selber entscheiden können.

[FOTO] Die vom Bundesrat beauftragte Ethikkomission will, dass unnötige Operationen an kleinen Hermaphrodithen verboten werden - zur grossen Befriedigung von Daniela Truffer, die schon lange für das Anliegen kämpft. (Bild: Keystone)

Der Anblick ist für die meisten betroffenen Eltern ein Schock. Da freuen sie sich auf ein Mädchen oder einen Jungen – und dann lässt sich beim Baby nicht eindeutig erkennen, welches Geschlecht es hat. Pro Jahr kommen in der Schweiz etwa 30 bis 40 Kinder als Intersexuelle auf die Welt. Das bedeutet, dass ihr Genital weder eindeutig ein Penis noch eine Vagina ist – dabei gibt es verschiedene Ausprägungen wie den Mikropenis oder eine penisähnliche Klitoris.

Im Umgang mit solchen Babys tut sich unsere Kultur schwer. Die Behörden verlangen von Eltern, dass sie bei der amtlichen Beurkundung der Geburt das Geschlecht ihres Kindes angeben. Jahrzehntelang war den Ärzten deshalb klar, was zu tun ist: Mit einer Operation wurden die Geschlechtsorgane der Kleinen in eine eindeutige Form gebracht, auch wenn keine gesundheitliche Gefahr drohte – der Einfachheit halber kam dabei in den meisten Fällen ein Mädchen heraus.

Erst, wenn die Kinder entscheiden können

Die Frage, ob das operierte Geschlechtsorgan später funktionsfähig und empfindsam sein würde, stand dabei ebenso wenig im Vordergrund, wie die Frage, was der Eingriff für die Psyche der Betroffenen bedeutet. Mittlerweile findet ein Umdenken statt. Am Freitag stellte die Ethikkommission Humanmedizin im Auftrag des Bundesrates eine Reihe von Empfehlungen vor, um das Los der Intersexuellen zu verbessern.

Im Zentrum steht die Forderung nach Selbstbestimmung. Geschlechtsoperationen im Kleinkind-Alter sollen nur noch dann durchgeführt werden, wenn sie medizinisch notwendig sind – etwa bei erhöhter Krebsgefahr. In allen anderen Fällen sollen die Betroffenen entscheiden, wenn sie in ein urteilsfähiges Alter gekommen sind: Wollen sie überhaupt eine Operation? Wenn ja, möchten sie weibliche oder männliche Genitalien?

Die IV soll auch nach 20 zahlen

Die Medizinethiker schlagen vor, dass Eltern und Kinder von der Geburt an eine kostenlose psychosoziale Beratung erhalten, damit es zu keinen Schnellschuss-Entscheidungen kommt. Zudem sollen Intersexuelle ihr bei der Geburt festgelegtes Geschlecht künftig unbürokratisch ändern können.

Auch will die Kommission die erwachsenen Intersexuellen besserstellen: Die IV soll ihnen auch nach dem 20. Altersjahr noch gewünschte Operationen oder psychologische Therapie bezahlen. Damit die Betroffenen auch in späteren Jahren noch gegen wegen rechtswidriger Eingriffe klagen können, regen die Ethiker an, die Verjährungsfristen zu ändern.

Der Vergleich mit Mädchenbeschneidungen

«Die Vorschläge sind der Hammer!», freut sich Daniela Truffer, die Präsidentin des Vereins Zwischengeschlecht.org. Sie kam als Zwitter – wie sie selbst sagt – zur Welt und wurde zu einem Mädchen operiert. «Ich wünschte mir, ich hätte selber darüber entscheiden können», sagt sie gegenüber 20 Minuten Online. «Einen Teil der Operationen hätte ich sicher nicht gemacht.»

Truffer beharrt darauf, dass weder Ärzte noch Eltern das Recht hätten, über irreversible Eingriffe an Kindern zu entscheiden – und vergleicht die Operationen an Intersexuellen mit den religiös begründeten Mädchenbeschneidungen, die sie ebenso ablehnt.

90 Prozent sind operiert

Auch wenn sich Truffer durch die Arbeit der Ethikkommission zum ersten Mal auch von einer offiziellen Stelle ernst genommen fühlt – zu Ende ist ihr Kampf noch lange nicht. Der Bundesrat schrieb zwar im Juni 2011, Genitaloperationen würden heute nur noch vorgenommen, wenn sie medizinisch zwingend seien.

Doch Truffer mag daran nicht glauben. Sie verweist auf eine Studie aus dem Jahr 2008 mit Daten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Lübecker Soziologin Martina Jürgensen kommt darin zum Schluss, dass sich eine Mehrheit der intersexuellen Kinder bis zum Alter von drei Jahren mindestens einer Operation unterziehen lassen musste. Bei den heute Erwachsenen sind es sogar 90 Prozent. Deshalb sagt Truffer: «Es ist einfach nicht wahr, dass die Operationen an Zwittern ein Problem von früher sind.»

Ps: Die Kommentarfunktion wurde dort mit ziemlich "heftigen Meinungen" garniert... Dodgy
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(Schweiz) Karin Plattner: Mein Kind ist Bub und Mädchen
Beitrag #2
http://www.blick.ch/news/schweiz/basel/m...09458.html schrieb:
Tabu-Thema Intersexualität – jetzt spricht eine Mutter

Mein Kind ist Bub und Mädchen

Ihr Kind (13) ist weder Bub noch Mädchen. Doch Karin Plattner versteckt sich nicht, sie kämpft gegen das Tabu.


18.11.2012 Von Sarah Weber (Text) und Sabine Wunderlin (Fotos)

[FOTO] Karin Plattner (42) aus dem Baselland ist Mutter eines intersexuellen Kindes (13).

[FOTO] Plattner erkundigte sich, ob es einen medizinischen Grund für die Operation gab. «Nur gesellschaftliche Gründe», lautete die Antwort.


Sie strahlt Fröhlichkeit und Lebensfreude aus – von Belastung, Scham und Sorgen keine Spur. Sie will kein Mitleid, sie will aufklären. Karin Plattner (42) aus dem Baselland ist Mutter eines intersexuellen Kindes (13). Der Teenager ist weder eindeutig Mädchen noch Bub. Intersexualität ist in der Schweiz ein Tabu. «Ich wusste vor 13 Jahren auch nicht, was das ist», sagt Plattner. Dann kam ihr Baby auf die Welt.

«Die Hebamme untersuchte das Neugeborene und sagte zu mir: ‹Ich weiss nicht, was es ist›», erzählt die Unternehmerin. «Ich war ratlos und machte mir Sorgen,dass es nicht gesund ist. Ich fragte bei den Ärzten nach. Doch niemand konnte genau sagen, was los ist.»

Die Plattners sind verwirrt. Das Kind kommt in ein anderes Spital, wird zum Testobjekt: Hormonstatus, genetische Untersuchungen, Ultraschall, verschiedene Ärzte untersuchen alles Mögliche.

«Ich lag geschwächt im Spital. Bekannte und Freunde riefen an, fragten: ‹Und? Was ist es?› Ich wusste es nicht. Das war nicht einfach.» Drei Tage nach der Geburt verlangt das Standesamt einen Namen. «Ein Name muss eindeutig männlich oder weiblich sein. Wir hatten für unser Kind erst einen Kosenamen.»

Die Ärzte haben eine Lösung parat. «Nach all den Tests sagten sie, dass sie aus unserem Kind ein Mädchen machen wollen.» Das Kind habe wahrscheinlich eine Gebärmutter und eine Vagina. Als Genitalien hat es eine vergrösserte Klitoris.

«Auf welches WC geht es?»

«Die Ärzte erklärten, dass sie aus diesem Genital keinen Buben machen könnten. Der Penisaufbau sei viel schwieriger, als eine künstliche Vagina zu formen», erzählt Karin Plattner. Die Mediziner drängen auf eine Entscheidung. «Sie warnten uns vor Problemen, wenn wir das Kind nicht operieren lassen. Was macht es im Schwimmen, im Turnen, auf welches WC geht es?», erzählt die Mutter. «Sie sagten auch, ich dürfe das niemandem sagen, das würde das soziale Aus für meine Familie bedeuten, das Kind werde gemobbt.»

Die Plattners, überfordert von all den Aussagen, vereinbaren einen Operationstermin und geben dem Kind den Namen Franziska*.

Und das,obwohl die Tests auch ergeben haben, dass das Kind, genetisch betrachtet, eigentlich ein Bub ist: Es hat einen männlichen XY-Chromosomensatz. «Das machte mich einfach unsicher, ob es wirklich richtig ist, das Geschlecht jetzt zu entscheiden.»

Das Paar beginnt, im Internet zu recherchieren, liest alles, was es findet. «Nach Begegnungen mit anderen Betroffenen, die körperlich und psychisch extrem unter den Folgen der frühen Operation leiden, wuchs in uns der Widerstand gegen den Eingriff», erinnert sich Karin Plattner. «Ich erkundigte mich, ob es einen medizinischen Grund für die Operation gab. ‹Nur gesellschaftliche Gründe›, lautete die Antwort.»

Das überzeugte sie nicht. «Franziska ist gesund, aber halt anders. Wir entschieden uns, mit der Operation zu warten, bis sie selber mitreden kann.» Plattners sagen den Termin ab, nehmen ihr Baby nach Hause.

Dass Franziska anders ist, bleibt nicht lange unbemerkt. «Getratscht wird sowieso. Deshalb entschied ich mich, offen darüber zu informieren», sagt Karin Plattner. «Einmal sagte Franziskas Cousine beim Wickeln: ‹Ui, das ist ja gar kein Mädchen! Sie sieht ja anders aus!›» Plattner geht mit der Kleinen vor den Spiegel: «Ich fragte sie: ‹Hast du die gleiche Nase wie ich? Oder die gleichen Ohren?›» – «Nein», sagte die Cousine. «Ich erklärte ihr, dass Franziska halt dort ein bisschen anders aussieht», so Plattner. Damit sei das Thema für die Kleine erledigt gewesen.

Franziska wird weder Menstruation noch Kinder haben

Die Mutter musste auch Franziska erklären, was mit ihr los ist, warum sie anders ist. «Ich sagte ihr: ‹Es gibt Mädchen und Buben. Dazwischen gibt es noch ganz viele Varianten. Zu denen gehörst du. Du hast das Glück, dass du selber wählen darfst, was du lieber sein möchtest›», erzählt die Unternehmerin.

Franziska kommt in den Kindergarten, später in die Schule. «Ich informierte die Lehrpersonen und die engeren Gspänli. Niemand hat je negativ darauf reagiert, sondern das Thema war vom Tisch», sagt sie.

Franziska hat keine Probleme, Freunde zu finden. Sie ist aufgeschlossen, hat einen grossen Bekanntenkreis. «Damit ein Kind gemobbt wird, muss es nicht intersexuell sein. Andere sind dick oder haben sonst etwas. Im Alltag ist das für uns kein Thema mehr.»

Inzwischen ist Franziska 13 Jahre alt. Sie weiss, dass sie weder Menstruation noch Kinder haben wird. «Vielleicht hat sie auch mehr Mühe, später einen Partner zu finden. Diesen Weg muss sie gehen. Das kann ihr niemand abnehmen», so die Mutter. Doch jeder müsse schliesslich lernen, sich selber anzunehmen und zu mögen.

Karin Plattner ist froh, dass sie damals vor 13 Jahren ihr Kind so angenommen hat, wie es ist. «Wir wussten ja so wenig. Aber ich bereue das keine Sekunde. Ich bin sicher, dass unser Kind seinen Weg geht.»   

* Name geändert

Verein hilft Intersexuellen
Katrin Platter (42) ist Präsidentin des Vereins «Selbsthilfe Intersexualität». Den Verein gründete die Baselländerin, um sich mit anderen Eltern und Betroffenen zu vernetzen. Die Gruppe wehrt sich gegen voreilige Operationen von intersexuellen Kindern. Zudem engagieren sie sich mit Schulungen und politischer Arbeit gegen die Tabuisierung der Intersexualität. 
[Bild: avatar_202.jpg] „NATSUME! NATSUMEe! NATSUMEee!“ — Nyanko-Sensei en.wikipedia.org/wiki/Natsume%27s_Book_of_Friends
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