Beitrag #98
15.03.2012, 20:46
(15.03.2012, 17:43)Eva_Tg schrieb: [hier gekürzt] Nun, ob man sich selbst als psychisch gestört einstuft oder nicht, ist nicht zwangsweise mit dem Selbstbewußtsein verknüpft. Dies ist nur der Fall, wenn man eine Psychische Störung mit einer Krankheit gleichsetzt und wenn man Krankheit mit Minderwertigkeit gleichsetzt.
Wenn man das ganze allerdings als Teil der eigenen Persönlichkeit begreift und das als Schwäche sieht, dann ist das für das Selbstbewußtsein durchaus positiv.
Es ist ja schön, wenn es jemand mit einem Lächeln, breitem Rücken und großem Selbstbewusstsein locker wegsteckt, aber das geht am Ausgangspunkt der Debatte über die Psycho-Pathologisierung vorbei: letztere kann zur Diskriminierung eingesetzt werden, sie ist diskriminierend. Von außen her!
Natürlich nicht für jede und jeden, nicht immer und überall im Alltag, nicht in jedem Fall und unter allen Umständen! Aber sie verhindert z.B. mit, dass viele Transgender sich konsequent outen, denn man weiß ja nie, vielleicht torpediert es ja mal die weitere Karriereplanung, die Sicherheitseinstufung im öffentlichen Dienst (lest mal nach, welche Frage man als Punkt 15.c. im Formular laut Anlage B zu BGBl. II Nr. 114/2000 - Sicherheitserklärung für Zugang zu geheimer oder streng geheimer Information - beantworten muss!), oder vielleicht wird man irgendwann und irgendwo (auf einem Posten im Ausland - den man dann folgerichtig auch nicht bekommt) zum Problem für die Reputation der Firma erklärt!
Wer kann's wissen? Also, husch-husch, schnell wieder rein in den Kasten!
Ich halte die Pathologisierung z.B. für einen der wesentlichen Gründe, warum Tivis oft ein Doppelleben oder in der Frauenrolle eine Schattenexistenz führen, da sie ja in höherem Maße die Wahl haben. Aber es wäre doch gut für die Community, wenn wir - und damit meine ich nicht bloß "wir Transvestiten!" - in noch höherem Grad sozial präsent wären, oder?
Ja, man könnte (und wird hoffentlich!) Transvestitismus separat de-psycho-pathologisieren. Ja, mir ist bewusst, dass die Tatsache, dass F-64.0 oder F-64.1 in einem Diagnoseschlüssel steht, die kollektive soziale Reaktion auf TG-Menschen nicht allein bestimmt. Aber das Verschwinden dieser Diagnosen wäre nach meiner Überzeugung ein wichtiger Mosaikstein!
Bevor jetzt der Aufschrei und Angelikas lautes "Veto!" kommt: Die Kompromissformel, dass die soziale Sicherheit von transsexuellen Menschen Vorrang hat, soll nicht angetastet werden! Was mir aber an dieser pragmatischen Haltung und ihren Vertreterinnen und Vertretern etwas sauer aufstößt, ist, dass sie einerseits unterschwellig suggerieren, die Psycho-Pathologisierung sei eben der Preis, den wir - im speziellen die TS - dafür zu zahlen hätten, dass die Gesellschaft uns etwas gewährt, andererseits aber den Betroffenen dann wieder salbungsvoll versichern, sie seien in Wahrheit alle eh psychisch ganz normal bzw. müssten nur für psychisch "krank gelten" (O-Ton Angelika), damit die Kasse zahlt.
Sei's, wie es sei, die ICD ist nicht das "Gesetzbuch der Pathologie", sie vollzieht im Allgemeinen nur nach, zu welchen Schlussfolgerungen die Wissenschaften gekommen sind.
- Sag' Du mir, in welche Schublade ich passe! -