Grundsatzdiskussion (Unterschiede), die Xte
RE: Zum ersten Mal raus.....
Beitrag #8
(21.07.2016, 22:40)Mike-Tanja schrieb:
(21.07.2016, 11:13)Eva_Tg schrieb: Ich wiederhole mich gerne nochmal: Gemäß der aktuellen modernen Nomenklatur wird der Begriff Transsexualität durch den Begriff Transidentität ersetzt, da es sich nach moderner Auffassung nicht um ein Thema der Sexualität, sondern der Identität handelt. [hier gekürzt]
Und die Quelle dieser "aktuellen modernen Nomenklatur" wäre? Im ICD-10 steht immer noch "Transsexualismus" - was tatsächlich und mit Recht kritisch betrachtet und ziemlich sicher demnächst ersetzt wird -, aber die psychiatrischen und psychologischen Disziplinen haben sich meines Wissens auf den Begriff "Gender-Dysphorie" geeinigt.

Dein Wissen ist aber nur oberflächlich. Das der ICD neu verfasst wird ist offensichtlich, damit liegt es auf der Hand, dass die dort verwendeten Begriffe veraltet sind.
Möchtest du also behaupten, im veralteten aber noch gültigen ICD steht aber noch "Transsexualismus", damit ist es in Ordnung die Betroffenen damit (fremd) zu betiteln? Entgegen dem ausdrücklichen Wunsch und der Eigendefintion der Mehrheit der Betroffenen? Möchtest du wirklich so respektlos auftreten? Ich glaube nicht?
Desweiteren ist der ICD nicht das Maß aller Dinge und da er in Englisch verfasst wird stehen viele Experten den verwendeten Begriffen kritisch gegenüber, da die Begriffe oder ihre Übersetzung sich nicht mit der Praxis, die sie erleben, deckt.
Im Großteil des deutschsprachigen Raums hat sich inzwischen der Begriff Transidentität für die Diagnose 64.0 durchgesetzt.

Hier ein Zitat aus dem Deutschen Ärzteblatt: Selbst der Begriff „Transsexualität“ scheint nach heutigem Erkenntnisstand nicht mehr zutreffend. Denn bei diesem Phänomen stehen weniger die Sexualität und ihre Ausrichtung als vielmehr die Identität, das Selbstbild im Mittelpunkt. Daher wird heute zum Teil der Begriff „Transidentität“ verwendet.
Ausgabe April 2008, Seite 174
Das war vor 8 Jahren, heute ist es nahezu allgemein gültig.

Weitere Ausführungen wären die von Prof. Dr. Wolfgang Senf:
Statt der Begriffe ‚Transidentität’ und ‚Transidente’ werden häufig, vor allem von Betroffenen,
synonym die Begriffe ‚Transgender’ oder ‚Transidente’ benutzt. Die Vermeidung „sexuell“
ist nachvollziehbar, wenn es darum geht, deutlich zu machen, dass es bei der Transidentität
eben nicht um sexuelle Verhaltensabweichungen oder Störungen geht, sondern es sich
um eine Besonderheit in der Entwicklung der Geschlechtsidentität handelt, bei der die sexuelle
Orientierung oder Sexualpräferenz nur ein Teilaspekt ist.
Insbesondere ist eine eindeutige Abgrenzung zum Transvestitismus zu ziehen, ein von Magnus
Hirschfeld (1910) geprägter Begriff für all die Männer und Frauen, die freiwillig Kleidung
tragen, welche üblicherweise von dem Geschlecht, dem sie körperlich zugeordnet sind,
nicht getragen werden. Der Wunsch nach langfristiger Geschlechtsumwandlung oder chirurgischer
Korrektur besteht nicht (ICD-10 F64.1).
Für die Transidentität (ICD-10 F64.0) schlagen wir vor, den Begriff der Störung nach ICD-10
zu vermeiden. Transidentität ist eine unvermeidbare bio-psycho-soziale Besonderheit in der
Entwicklung der Geschlechtsidentität, die aufgrund der dadurch gegebenen oft erheblichen
Belastungen und bei unzureichender medizinischer und psychotherapeutischer Betreuung
sekundär zu psychischen Störungen führen kann (Clement U, Senf W 1996; Senf W, Happich
F, Senf G 2007).
Wolfgang Senf: Transidentität (Tanssexualität)

Weitere Auszüge aus Arbeitspapieren des Bundes wären:
In der Literatur unterliegt die Begriffsverwendung dem stärksten Wandel. Von ‚Transsexualität‘ wird in nicht fachspezifischer Literatur gesprochen, etwa Gesamt-Kommentierungen des Grundgesetzes oder des AGG, die die Rechtsprechung des BVerfG erwähnen, dort findetsich auch noch der Begriff „Geschlechtsumwandlung“ (teilweise synonym für „Transsexualität“ verwendet), vereinzelt sogar noch „Transsexualismus“. Fachliteratur, die sich explizit mit Fragen von Trans* und Inter* beschäftigt, spricht nicht mehr von Geschlechtsumwandlungen, sondern gegebenenfalls von Angleichungsoperationen, wohl aber noch relativ verbreitet von „Transsexuellen“. Es hat sich aber im Laufe der letzten zehn Jahre zunehmend den Begriff ‚transgender‘ anstelle von ‚transsexuell‘ etabliert, um die Abgrenzung von dem binären und pathologisierenden, von Medizin und Sexualforschung der 1970er Jahre geprägten Begriff der ‚Transsexualität‘ zu verdeutlichen. Inzwischen wird auch von ‚Transgeschlechtlichkeit‘, Transidentität‘ und ‘Trans*‘ gesprochen.
‚Intersexualität‘ und ‚intersexuell‘ sind weit verbreitete, aber nicht unumstrittene Begriffe.
Wegen der durch ‚Intersexualität‘ suggerierten Nähe zu Sexualität werden auch die Begriffe
„intergeschlechtlich“ oder „zwischengeschlechtlich“ verwendet, mit „inter*“ der Bezug
auf Geschlecht weg- bzw. offengelassen oder es wird befürwortet, von „intersexuiert“ zu
sprechen, um die ungewollte Vergeschlechtlichung zu verdeutlichen.
Welche Bezeichnung verwendet wird, ist jedoch nicht allein abhängig vom Autor_innenwillen, sondern gerade in der Rechtswissenschaft auch davon, ob der jeweilige Verlag
die Schreibweise der Wahl akzeptiert. Dies betrifft insbesondere die Verwendung der
Trunkierung (Inter*, Trans*), welche Ausdruck der Vielzahl der Identitäten ist, die mit dem
Begriff gemeint sein können und die rechtlichen Schutz beanspruchen können, ohne Verengung
auf pathologisierende oder medikalisierende Voraussetzungen. Die Besorgnis, Sprachkonstruktionen
könnten ‚unzulässig‘ sein, begleitet Debatten um Geschlechterfragen bereits
seit dem sog. Binnen-I und setzt sich mit den hier untersuchten Fragen aktuell bei der Verwendung
des Unterstrichs (Gender_gap) fort, welcher die Möglichkeit eines Raums zwischen
der männlichen und der weiblichen Form aufzeigt. Der Sprachgebrauch in der Rechtswissenschaft
ist also – jedenfalls auch – abhängig davon, ob Wissenschaftler_innen die jeweils
Verantwortlichen bei den Printmedien von der Notwendigkeit der Begriffsverwendung/
Schreibweise überzeugen können.
Geschlechtliche Vielfalt Begrifflichkeiten, Definitionen und disziplinäre Zugänge zu Trans- und Intergeschlechtlichkeiten Begleitforschung zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität

Hier noch ein Zitat nach Udo Rauchfleisch:
Da es beim Thema Transsexualität/Transidentität viel begriffliche Verwirrung gibt, möchte ich am Anfang dieses Kapitels zunächst die Begriffe klären, die ich im Folgenden verwenden werde.
Im Allgemeinen wird in öff entlichen Diskussionen, aber auch im
wissenschaft lichen Bereich von »Transsexualität« gesprochen. Diese
Bezeichnung trifft jedoch nicht das Wesen dieser Menschen, da es
bei ihnen nicht um die sexuelle Ausrichtung oder die Art, wie sie
ihre Sexualität leben, geht, sondern um ihre Identität. Aus diesem
Grund wird in neuerer Zeit, auch unter Fachleuten, eher der Begriff
»Transidentität« verwendet. Nichttransidente werden auch als »Cis-
Personen« bezeichnet (Sigusch 1995).
Udo Rauchfleisch, Transsexualität – Transidentität

Und zum Schluss kann ich auch noch von meinen eigenen Erfahrungen berichten. Ich bin seit 2013 in Behandlung und während dieser ganzen Zeit wurde ich von keinem, weder von Psychologen noch von Juristen, als Transsexuelle bezeichnet. Man sprach auch nie über meine Transsexuallität, sondern immer über meine Transidentität. Weder in meiner Krankenakte, noch in den Gutachten für die PÄ wird werden die Begriffe "transsexuell" oder "Transsexualität" verwendet, es wird immer nur der Begriff Transidentität oder seine Ableitungen benutzt.
Ich habe zu unterschiedlichen Zeiten mehrere Gespräche mit verschiedenen Experten (Menschen, die diese Fachliteratur verfassen oder dazu beitragen) geführt und in deren Praxis und Sprachgebrauch wird für F64.0 nur noch Transidentität als Begriff verwendet. Wie gesagt meine Erfahrungen liegen höchstens drei Jahre zurück (und nicht 5 oder 10 Jahre, wie bei anderen Betroffenen) und sind damit praktisch aktuell.
Ich erinnere mich auch noch sehr gut an einen Dialog zwischen Prof. Dr. Annette Güldenring und mir, bei dem mir einmal der Begriff "transsexuell" rausgerutscht ist. Frau Glüdenring hat dann ganz verwundert nachgeharkt, ob ich diese veralteten Begriffe noch als Eigenbezeichnung verwende.
Wenn man von einer anerkannten Expertin freundlich aber bestimmt darauf hingewiesen wird, dass solche Begriffe falsch und veraltet sind, dann spricht das, glaube ich, für sich.

Ich denke mal, ich bin mit dem Sprachgebrauch von Fachleuten vertrauter als eine Person, die ihr Wissen aus dem ICD bezieht. Ich habe jahrelange Praxis-Erfahrung, natürlich nur in der Rolle der Patientin. Trotzdem kann ich sagen, dass die meisten Fachleute inzwischen zu dem Konsens gekommen sind, dass Transidentität der bessere Begriff ist. Und sei es nur aus reinem Pragmatismus, weil die Patienten sich damit wohler fühlen, anstatt permanent über ihre Sexualität zu reden.
Zu viel Wahrheit wird nicht erkannt; Zu viel Tod am Wegesrand.
Erst auf den zweiten Blick; Erkennst du was dahinter steckt.
WWW
Zitat



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