TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
Beitrag #1
Hmmm, ich weiß nicht, von wem der Mythos: "ich oute mich jetzt mal und dann fühle ich mich um soooooooooo viel besser als vorher!!" stammt, aber auf mich trifft er definitiv nicht zu. 

Ja, ich bin Trans* und möchte und kann nicht als Mann leben, jedoch fällt es mir schwer, mich im Beruf tagtäglich als die geoutete TS-Frau zu positionieren, ohne dass ich mich unwohl und beobachtet fühle, da ja jetzt ausnahmsweis ALLE wissen, was mit mir los ist. Und vor allem auch deshalb, weil mich fast alle seit über 10 Jahren als Nicht-Frau in Erinnerung hatten. 
Die Bemühung vieler im Job ist sehr groß, aber trotzdem ist es eine tägliche Herausforderung für die meisten, mich mit dem neuen Pronomen anzusprechen. Auch beim Kundenkontakt habe ich das subjektive Gefühl, dass es als schwuler Mann für das Gegenüber mit mir leichter war als jetzt, wo ich offiziell eine SIE bin...

Eine besonders hohe Diskrepanz erlebe ich zwischen Berufswelt und Außenwelt. Während ich für 95% in der Außenwelt eine Frau bin (was sehr, sehr, seeeeehr angenehm ist!!) ist es im Job irgendwie eher so: ja, dass ist der Clemens*, der jetzt eine Clementine* ist und das ist auch gut so, denn sie hat es sich ja eigentlich schon immer gewünscht aber... Ich trag also immer den Stempel der Trans*Frau, bei manchen Kunden sicher auch "die Transe die mal ein schwuler Mann war" auf mir! 

Neuanfang nach meinen zwei OPs wäre sicher eine Option! Denn im Betrieb werde ich immer die etwas andere Frau sein, die mal etwas anderes war...

*fiktiver Name - bin ja ned leichtsinnig Wink
Bye  Die Stimme ist viel größer als die visuelle Erscheinung eines Menschen (Rufus Beck)  Bye
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RE: TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
Beitrag #2
Das ist leider oft so, geht nicht nur Dir so... Menschen Leute sind Gewohnheitstiere (oder dumm oder Sadisten oder mehrfaches zusammen)...
[Bild: avatar_202.jpg] „NATSUME! NATSUMEe! NATSUMEee!“ — Nyanko-Sensei en.wikipedia.org/wiki/Natsume%27s_Book_of_Friends
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RE: TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
Beitrag #3
Befreiung oder Beeinträchtigung?

Warum "oder"?

Es ist beides.

Viel Glück und Erfolg bei deinem Neustart. Wink
~ Schônheit, Weisheit, Stârke ~
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RE: TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
Beitrag #4
@Bonita - wie wahr!!

Zuerst gewöhnen sie sich an uns, dann werden sie eh süchtig ;-)

Scherz beiseite. Ich habe außerhalb meines KlientInnen-Kreises (Streetworkerin/Jugendzentrum) eine "100%-Outing-Quote" erfüllt. Jetzt muss ich auch mal sagen, dass ich das Wort "Outing" zum Speibn find!
Mein Arbeitskollege hat angolanische Wurzeln - na der hatte gar keine andere Chance als sich als Schwarzer zu "outen" - ihr grübelt jetzt vielleicht. Aber der Sinn dahinter: wir outen uns und werden damit plötzlich zur Minderheit. Viele Menschen haben diese "Wahl" erst gar nicht. Und noch kein Hetero hat sich mir gegenüber als Hette geoutet. Klingt komisch ist aber so. Ich hasse das!

Und heute schnappte ich mir ersten 3 15jährigen (2 Mädels und 1 Junge - und zwischen Junge und einem Mädel funkts grad so toll jugendlich - i love it) - sitz mit ihnen an der Bar und zeige ihnen mal meine Dokumente und denk mir, schön sachte...

Resultat - Gelächter, weil die eine gleich meint, man hat mir die Dokumente falsch ausgestellt. Erwidere ich nein, nein - das gehört schon so. Sie, ja wan kannst denn das wieder ändern? Ich, hab ich eben erst gemacht letztes Monat. Sie, ??? Ich, ich bin transsexuell, das kennt ihr ja...
Dann hat die eine weitergemacht mit Malen nach Zahlen und die beiden unwissend Verknallten waren wieder mit sich beschäftigt.

Mal gucken, wie es weitergeht - morgen feiern wir eh Weltfrauentag im Jugendzentrum hehe
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RE: TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
Beitrag #5
(07.03.2018, 15:45)sternschnuppe schrieb: Hmmm, ich weiß nicht, von wem der Mythos: "ich oute mich jetzt mal und dann fühle ich mich um soooooooooo viel besser als vorher!!" stammt, aber auf mich trifft er definitiv nicht zu.
Ich schätze mal von jenen Leuten, die vorher längere Zeit ein Doppelleben führen mussten und vor Freunden, der Familie oder in der Arbeit die alte Rolle spielen mussten, obwohl sie beispielsweise schon Hormone nahmen oder privat nur noch richtig gekleidet unterwegs waren.

Es ist ein immenser Druck, neben dem gesamten Weg, den man als Transgender geht, auch noch zwei verschiedene Leben zu leben und dabei stets von der Angst begleitet zu sein, aufzufliegen - sei es etwa durch Kleidung, die man penibelst vor dem Partner versteckt oder durch Menschen, die bereits Bescheid wissen und unabsichtlich vor anderen etwas ausplaudern könnten, die davon noch keine Ahnung haben.

Niemandem fällt es leicht, sich zu outen und als es damals bei mir so weit war, bin ich selber wie auf Nadeln gesessen, aber im Endeffekt ging es mir danach sehr wohl besser, weil ich mich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verstecken musste und das für mich eine große Erleichterung war.

Ich bin sowieso der Meinung, dass es besser ist, gleich die Wahrheit zu sagen und dann zu wissen, wie man dran ist, als mitunter so lange zu warten, bis einen die entsprechenden Personen damit konfrontieren, weil sie entweder von Dritten informiert wurden oder selber bereits Verdacht geschöpft haben. Insbesondere bei Letzterem wird das Vertrauen sehr darunter leiden oder überhaupt ganz verloren gehen ...
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RE: TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
Beitrag #6
(07.03.2018, 15:45)sternschnuppe schrieb: Hmmm, ich weiß nicht, von wem der Mythos: "ich oute mich jetzt mal und dann fühle ich mich um soooooooooo viel besser als vorher!!" stammt, aber auf mich trifft er definitiv nicht zu. 

Ja, ich bin Trans* und möchte und kann nicht als Mann leben, jedoch fällt es mir schwer, mich im Beruf tagtäglich als die geoutete TS-Frau zu positionieren, ohne dass ich mich unwohl und beobachtet fühle, da ja jetzt ausnahmsweis ALLE wissen, was mit mir los ist. Und vor allem auch deshalb, weil mich fast alle seit über 10 Jahren als Nicht-Frau in Erinnerung hatten. [hier gekürzt]
Ja, das ist blöd, aber es ist so - unabänderlich. Du kannst keine Cis-Frau werden. Auch nach einem Neuanfang in einem fremden Land bei perfektem Passing kann jemand deine Vergangenheit aufdecken. Damit musst Du einfach leben. Das Streben nach äußerer Perfektion in der Geschlechtsrolle kann nur die Wahrscheinlichkeit eines "Auffliegens" verändern. 
- Sag' Du mir, in welche Schublade ich passe! Wave   -
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RE: TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
Beitrag #7
(07.03.2018, 15:45)sternschnuppe schrieb: habe ich das subjektive Gefühl, dass es als schwuler Mann für das Gegenüber mit mir leichter war als jetzt, wo ich offiziell eine SIE bin...

Sowas ähnliches dachte ich mir im Nachhinein durchaus auch. In schwachen Momenten sogar mit einem Anflug von Bedauern, denn für manche Leute schien ich ja so ganz ok gewesen zu sein, auch wenn unser Verhältnis nicht wirklich geklärt war (was für mich nun nicht so ganz ok war).

Und wirklich gekümmert haben die sich um mich dann doch nicht, nicht mal nachgefragt. Von meinem Privatleben machten die sich sicherlich irgendwelche Vorstellungen, was ich dann leicht irritierend fand. Die dachten, ich würde halt... was auch immer. Ganz so einfach war es für mich aber nicht, aber das hat keiner gesehen, sich nicht gekümmert.

(Wobei das bei mir ziemlich offensichtlich war, daß es mir nicht gut bei alledem ging. Ich war weder fähig, noch willens, das zu verstecken oder auch nur herunterzuspielen.)

(07.03.2018, 15:45)sternschnuppe schrieb: Ich trag also immer den Stempel der Trans*Frau, bei manchen Kunden sicher auch "die Transe die mal ein schwuler Mann war" auf mir!

Same here. Bei einigen Leuten schien in deren Bild von mir die Grenze zwischen "Tunte" und "Transe" doch ziemlich verwischt. Aber vielleicht war da sogar was dran. Sicherlich hat es das mir auch leichter gemacht, das war dann eine Entwicklung, die "plausibel" schien. Bei oberflächlicher Betrachtung halt.

Für mich war das freilich nicht ganz so einfach. Habe mich auch nicht sehr verstanden gefühlt.

(07.03.2018, 20:15)Patricia1975 schrieb: Mein Arbeitskollege hat angolanische Wurzeln - na der hatte gar keine andere Chance als sich als Schwarzer zu "outen" - ihr grübelt jetzt vielleicht. Aber der Sinn dahinter: wir outen uns und werden damit plötzlich zur Minderheit. Viele Menschen haben diese "Wahl" erst gar nicht.

Ja, da wären wir auch schon fast beim Thema Intersektionalität, also Mehrfachdiskriminierung. Mit meinem "passing privilege" als Deutsche ist das nun auch nicht allzuweit her.

(07.03.2018, 20:15)Patricia1975 schrieb: Und noch kein Hetero hat sich mir gegenüber als Hette geoutet. Klingt komisch ist aber so. Ich hasse das!

Natürlich nicht. Heten gehen mal ganz frech davon aus, daß man sie wie selbstverständlich für Heten hält.

(07.03.2018, 23:08)quote='Mike-Tanja schrieb: Auch nach einem Neuanfang in einem fremden Land bei perfektem Passing kann jemand deine Vergangenheit aufdecken.

Kann ich bestätigen. Da tauchten einmal über ca. 1½ Jahre verteilt gleich mehrere Leute aus einer meiner alten Umgebungen auf. Für eine war das wie das selbstverständlichste von der ganzen Welt, wie ich mich zwischenzeitlich entwickelt hatte (s.o.), falls sie nicht ohnehin schon davon gehört hatte (oder mich auch bei einem Kurzbesuch von weitem gesehen). Eine andere war eine ziemliche Nullcheckerin, die fing vor versammelter Mannschaft damit an, ob ich einen Bruder hätte, fragte dann immer weiter. Ich gab ihr völlig korrekte Antworten, versuchte dabei zu lächeln, obschon ich doch verunsichert war. Die anderen jener Leute konnten sich an mich wohl gar nicht so recht erinnern. Insgesamt war das aber keine nennenswerte Beeinträchtigung.

Mein Problem war eher, daß ich mich in diesem Milieu von Anfang an nicht wohlfühlte. Ich konnte mit diesem Leuten nicht, war echt erleichtert, als ich da endlich wieder weg war.
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RE: TS-Outing - Befreiung oder Beeinträchtigung?
Beitrag #8
Ich stelle immer öfter fest, dass ich ziemlich Probleme mit meinem Klientel in der Arbeit bekommen werde. Egal wie sehr mein AG und meine KollegInnen hinter mir stehen. Ist eben "spezielles" Klientel...
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